Heidenau. Breiter, offener Fremdenhass in der sächsischen Provinz: Auch Mütter mit Kinderwagen machen Front gegen die Flüchtlinge. Gewalt gegen die Polizei.

Der rechte Mob und mit ihm viele Bürger zeigen in Heidenau offen ihren Ausländerhass. Als am Freitagabend die ersten Flüchtlinge in einem früheren Baumarkt in der Kleinstadt bei Dresden Quartier beziehen wollen, versammeln sich Hunderte Menschen auf den Straßen zum Protest. Es kommt zu Gewalt. Böller, Flaschen und Steine fliegen auf Polizisten. Die setzen Tränengas ein, 31 von ihnen werden verletzt. Heidenau ist im Ausnahmezustand.

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Von Christopher Onkelbach

Zuvor laufen in dem rund 1000-köpfigen Demonstrationszug durch die Stadt neben, vor und hinter erkennbar Rechten auch scheinbar normale Bürger mit, darunter Frauen mit Kinderwagen und Kinder. Eine Frau schwenkt die schwarz-weiß-rote Flagge des untergegangenen Deutschen Kaiserreichs. Zwei andere bekunden auf einem großen Transparent, dass sie auf Asylbewerber hier bestens verzichten können. So empfängt Heidenau Menschen, die vor Krieg und Not aus ihrer Heimat flohen.

Einstimmung mit reichlich Bier

24 Stunden später wiederholt sich die Szenerie. Doch während am Freitag ein NPD-Mann zu dem anfangs friedlich verlaufenden Marsch aufrief, sind die Rechten nun spontan erschienen. Sie lungern an einem Supermarkt in Sichtweite des Baumarktes herum und stimmen sich mit reichlich Bier auf den Abend ein. Ein paar Heidenauer, aber bei weitem nicht so viele Schaulustige wie am Abend zuvor, schauen zu.

Strikt werden die rund 100 Rechten von jenen getrennt, die am Samstag Solidarität mit Flüchtlingen zeigen. Eine Gruppe von etwa 150 Menschen, darunter Politiker von Grünen, SPD und Linken, nimmt auch Kontakt zu den Asylsuchenden auf. Einige von ihnen kommen auf die andere Straßenseite und berichten von ihrem Schicksal.

Unterkunft liegt außerhalb

Heidenau hat nur etwa 16.000 Einwohner und liegt ein paar Kilometer elbaufwärts von Dresden. Die neue Flüchtlingsunterkunft für bis zu 600 Menschen liegt an der von Einkaufsmärkten gesäumten Bundesstraße 172 Richtung Pirna, schon etwas außerhalb und keineswegs in direkter Nähe zu einem Wohngebiet. Eigentlich dürfte sie keinen stören. Dennoch dominieren die Flüchtlinge seit Tagen das Ortsgespräch.

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Das ganze Ausmaß des Fremdenhasses zeigt sich in den Gesprächen oder in dem, was ungehemmt im Sprechchor skandiert wird - zum Beispiel am Freitagabend. Da werden Flüchtlinge als "Schweine" und "Viehzeug" beschimpft, da werden völlig aus der Luft gegriffene Bedrohungsszenarien an die Wand gemalt. "Eure Frauen werden alle vergewaltigt, ihr könnt sie nicht mehr schützen", ruft eine Frau mittleren Alters beschwörend einer Gruppe junger Männer zu.

Jugendliche skandieren verbotene Nazi-Lieder

Die Männer beobachten - Bierflasche in der Hand - das Geschehen in der Flüchtlingsunterkunft von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Jugendliche singen leise vor sich hin: "Die Reihen fest geschlossen" - eine Verszeile des verbotenen Horst-Wessel-Liedes der Nazis.

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Es fließt Alkohol, sehr viel Alkohol. Einige vertreiben sich Zeit mit diversen Verschwörungstheorien. Andere artikulieren ohne die geringste Hemmung oder Scham immer wieder, was sie von Asylbewerbern halten. Als viele Anwohner am Freitag nach Mitternacht nach und nach abwandern, bleibt der rechte Mob noch eine Weile unter sich. Dann löst sich der Spuk auf.

"Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern aussieht"

Flüchtlinge in DeutschlandIm früheren Baumarkt, der zum Schutz der Flüchtlinge umzäunt ist, bleibt das Geschehen am Samstag nicht unbemerkt. Immer wieder kommen Asylbewerber heraus und schauen bisweilen verängstigt auf das, was sich dort tut. Sakah ist 28 Jahre alt und stammt aus Kabul. Er kam allein. Drei Monate lang sei er unterwegs gewesen, meist zu Fuß, sagt der Afghane und zeigt nach unten. Seine Füße stecken in Sandalen und haben viele kleine Wunden.

Seine Fluchtroute über den Iran, Irak, die Türkei und Bulgarien bis nach Serbien kann er präzise beschreiben. Von Belgrad aus ging es mit dem Bus nach Deutschland. Sakah spricht im Unterschied zu dem meisten seiner Schicksalsgefährten schon ganz gut Englisch. Jetzt will er Deutsch lernen und am liebsten hier auch studieren. "Es gibt in Afghanistan keine Chance für mich", sagt der junge Mann.

Ausschreitungen vor Flüchtlingsheim

In diesem ehemaligen Baumarkt im sächsischen Heidenau ist eine Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet worden. Sie war Nächte lang Schauplatz rechtsradikaler Ausschreitungen.
In diesem ehemaligen Baumarkt im sächsischen Heidenau ist eine Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet worden. Sie war Nächte lang Schauplatz rechtsradikaler Ausschreitungen. © imago/CTK Photo
Zu Wochenbeginn scheint aber Ruhe einzukehren: Busse mit Flüchtlingen kommen an...
Zu Wochenbeginn scheint aber Ruhe einzukehren: Busse mit Flüchtlingen kommen an... © imago/CTK Photo
... und Bewohner spazieren die Straßen entlang.
... und Bewohner spazieren die Straßen entlang. © imago/CTK Photo
Polizei soll die Sicherheit der Flüchtlinge gewährleisten.
Polizei soll die Sicherheit der Flüchtlinge gewährleisten. © imago/CTK Photo
Flüchtlinge bekommen Unterstützung von einem tschechischen Aktivisten.
Flüchtlinge bekommen Unterstützung von einem tschechischen Aktivisten. © imago/CTK Photo
Am Abend haben Flüchtlinge ein Peace-Zeichen aus Teelichten geformt...
Am Abend haben Flüchtlinge ein Peace-Zeichen aus Teelichten geformt... © dpa
...und Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) spricht noch einmal mit Polizisten.
...und Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) spricht noch einmal mit Polizisten. © dpa
Am Montag hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Heidenau besucht. Er sprach mit Bürgern...
Am Montag hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Heidenau besucht. Er sprach mit Bürgern... © dpa
...und mit Flüchtlingen in der Unterkunft.
...und mit Flüchtlingen in der Unterkunft. © dpa
Bei Protesten gegen die Notunterkunft haben rechte Demonstranten zuvor Nächte lang randaliert.
Bei Protesten gegen die Notunterkunft haben rechte Demonstranten zuvor Nächte lang randaliert. © Getty Images
Nach gewalttätigen Ausschreitungen am Freitag (Foto)...
Nach gewalttätigen Ausschreitungen am Freitag (Foto)... © dpa
... griffen die Rechten auch am Samstagabend Polizisten an. Es flogen Flaschen, Steine...
... griffen die Rechten auch am Samstagabend Polizisten an. Es flogen Flaschen, Steine... © Getty Images
... und Feuerwerkskörper. Die Polizei...
... und Feuerwerkskörper. Die Polizei... © imago/Christian Ditsch
... sprach am Sonntag von  einer
... sprach am Sonntag von einer "offensichtlich organisierter massiven Attacke" der Rechten. © imago/Christian Ditsch
In einem ehemaligen Baumarkt in der Kleinstadt werden in diesen Tagen Flüchtlinge untergebracht. Auch am Samstag...
In einem ehemaligen Baumarkt in der Kleinstadt werden in diesen Tagen Flüchtlinge untergebracht. Auch am Samstag... © Getty Images
... trafen etwa 120 neue Flüchtlinge in der Notunterkunft ein. Die vier Busse...
... trafen etwa 120 neue Flüchtlinge in der Notunterkunft ein. Die vier Busse... © Getty Images
... fuhren diesmal ungehindert vor das triste Gebäude. In der Nacht zuvor ...
... fuhren diesmal ungehindert vor das triste Gebäude. In der Nacht zuvor ... © dpa
...hatten Hunderte Menschen die Zufahrt blockiert. Sie bepöbelten...
...hatten Hunderte Menschen die Zufahrt blockiert. Sie bepöbelten... © dpa
... die hilfesuchenden Menschen,...
... die hilfesuchenden Menschen,... © dpa
... warfen Müll auf die Straße...
... warfen Müll auf die Straße... © dpa
... und gingen mit Flaschen und Feuerwerkskörpern auf die Polizei los.
... und gingen mit Flaschen und Feuerwerkskörpern auf die Polizei los. © dpa
Ähnlich hässliche Szenen dann erneut am Samstag: Wieder...
Ähnlich hässliche Szenen dann erneut am Samstag: Wieder... © imago/Christian Ditsch
... versammelten sich rechte Demonstranten...
... versammelten sich rechte Demonstranten... © dpa
... auf der Straße vor der Notunterkunft. Dann...
... auf der Straße vor der Notunterkunft. Dann... © dpa
... griffen sie Polizisten an. Den rechten Demonstranten...
... griffen sie Polizisten an. Den rechten Demonstranten... © Getty Images
... standen Linke entgegen. Die Lager waren durch eine Straße voneinander getrennt.
... standen Linke entgegen. Die Lager waren durch eine Straße voneinander getrennt. © dpa
Bundesinnenminister Thomas de Maizière verurteilte die Ausschreitungen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière verurteilte die Ausschreitungen. © dpa
"Alle Asylbewerber und Flüchtlinge, ganz gleich ob sie später bleiben werden, haben das Recht auf eine anständige Unterbringung und Aufnahme, auf ein faires Verfahren", sagte der CDU-Politiker im ZDF. © dpa
"Wer Behörden daran hindert, das zu tun, der verlässt den Konsens der Demokraten. Das dürfen wir nicht hinnehmen", so de Maizière weiter. © dpa
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In der "Bild am Sonntag" konstatierte de Maizière... © dpa
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... "eine gewaltige Hilfsbereitschaft" der Deutschen Flüchtlingen gegenüber. Zugleich... © imago/Christian Ditsch
... gebe es aber einen Anstieg von Hass, Beleidigungen und Gewalt gegen Asylbewerber.
... gebe es aber einen Anstieg von Hass, Beleidigungen und Gewalt gegen Asylbewerber. "Das ist für unser Land unwürdig und unanständig", sagte der Minister. © dpa
"Jeder, der so denkt, sollte sich auch nur für einen Moment vorstellen, er wäre in der Situation der Flüchtlinge", sagte der Minister. "Jedem, der so handelt, treten wir mit der gesamten Härte des Rechtsstaates entgegen." © Getty Images
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Die Argumente der Gegendemonstranten kann er nicht recht verstehen. "Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern aussieht. Und wir wissen nicht, was wir tun sollen. Zurück können wir nicht", sagt Sakah.

Grüne fordern Kanzlerin Merkel zum Eingreifen auf 

Nach den rassistischen Ausschreitungen vor einer Asylunterkunft im sächsischen Heidenau kontrolliert die Polizei das Gebiet rund um die Einrichtung. Menschen wurden am Sonntagabend angesprochen und mussten sich teils ausweisen. In die Nähe des Gebäudes - einem früheren Baumarkt - wurden lediglich Unterstützer von Flüchtlingen gelassen. Etwa drei Dutzend Menschen, darunter Grünen-Politiker, drückten vor dem Heim ihre Solidarität mit den Menschen aus.

Im Umfeld der Unterkunft hätten sich immer wieder auch Schaulustige und erkennbar rechte Gegner versammelt, sagte Polizeisprecher Marko Laske. Diese seien von den Beamten persönlich angesprochen worden. "Potenzielle Gewalttäter werden so in die Öffentlichkeit gezogen, weil ihre Personalien aufgenommen werden", erklärte Laske. Dies habe auch eine abschreckende Wirkung.

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Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich verurteilt die rechten und rassistischen Ausschreitungen der Flüchtlingsunterkunft. "Mich erschüttern die Ereignisse zutiefst", erklärte der CDU-Politiker am Sonntag. "Das ist Menschenhass mit erschreckender Gewalt gegen Polizisten und gegen Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen." Der Regierungschef kündigte an, mit aller Macht dagegen vorzugehen. "Das ist nicht unser Sachsen. Hier verstößt eine Minderheit brutal gegen Werte und Gesetze Deutschlands."

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ändert angesichts der rechtsradikalen Proteste im sächsischen Heidenau die Route seiner Sommerreise und will an diesem Montag die dortige Flüchtlings-Notunterkunft besuchen. Gabriel sei vom Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) und vom stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) eingeladen worden, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministers am Sonntag. SPD-Chef Gabriel wäre das erste Mitglied der Bundesregierung, das sich angesichts der rechten Randale in Heidenau vor Ort ein Bild macht.

Grünen warnen vor rechtem Terrorismus

Auch Bundesinnenminister de Maizière äußerte sich inzwischen. "Alle Asylbewerber und Flüchtlinge, ganz gleich ob sie später bleiben werden, haben das Recht auf eine anständige Unterbringung und Aufnahme, auf ein faires Verfahren", sagte er im ZDF. "Wer Behörden daran hindert, das zu tun, der verlässt den Konsens der Demokraten."

Die Grünen forderten ein Eingreifen der Kanzlerin. "Ich warne vor einem neuen rechten Terrorismus à la NSU. Die Zögerlichkeit von Angela Merkel, hier die richtigen Worte zu finden, kann ich nicht mehr verstehen", sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt.

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Die Grünen-Politikerin machte auch der sächsischen Landesregierung Vorwürfe. Wenn ein rechter Mob in zwei Nächten nacheinander Menschen bedrohen könne, dann sei das Gewaltmonopol des Staates in Gefahr. "Heidenau ist eine direkte Folge der falsch verstandenen Toleranz der sächsischen Landesregierung gegenüber Pegida", sagte sie.

Bürgermeister ruft zu Menschlichkeit auf

Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) verurteilt die ausländerfeindliche Randale und forderte die Einwohner zur Solidarität mit Flüchtlingen auf. "Menschlichkeit ist gefragt, kein materielles Opfer", sagte er. Sachsen könne da noch viel leisten und Heidenau werde mitmachen.

Justizminister Heiko Maas (SPD) und Vizekanzler Sigmar Gabriel forderten ebenfalls, Polizei und Justiz in müssten "mit aller Härte" gegen rechtsradikale Gewalttäter vorgehen. (dpa)