Heidenau. Breiter, offener Fremdenhass in der sächsischen Provinz: Auch Mütter mit Kinderwagen machen Front gegen die Flüchtlinge. Gewalt gegen die Polizei.
Der rechte Mob und mit ihm viele Bürger zeigen in Heidenau offen ihren Ausländerhass. Als am Freitagabend die ersten Flüchtlinge in einem früheren Baumarkt in der Kleinstadt bei Dresden Quartier beziehen wollen, versammeln sich Hunderte Menschen auf den Straßen zum Protest. Es kommt zu Gewalt. Böller, Flaschen und Steine fliegen auf Polizisten. Die setzen Tränengas ein, 31 von ihnen werden verletzt. Heidenau ist im Ausnahmezustand.
Auch interessant
Zuvor laufen in dem rund 1000-köpfigen Demonstrationszug durch die Stadt neben, vor und hinter erkennbar Rechten auch scheinbar normale Bürger mit, darunter Frauen mit Kinderwagen und Kinder. Eine Frau schwenkt die schwarz-weiß-rote Flagge des untergegangenen Deutschen Kaiserreichs. Zwei andere bekunden auf einem großen Transparent, dass sie auf Asylbewerber hier bestens verzichten können. So empfängt Heidenau Menschen, die vor Krieg und Not aus ihrer Heimat flohen.
Einstimmung mit reichlich Bier
24 Stunden später wiederholt sich die Szenerie. Doch während am Freitag ein NPD-Mann zu dem anfangs friedlich verlaufenden Marsch aufrief, sind die Rechten nun spontan erschienen. Sie lungern an einem Supermarkt in Sichtweite des Baumarktes herum und stimmen sich mit reichlich Bier auf den Abend ein. Ein paar Heidenauer, aber bei weitem nicht so viele Schaulustige wie am Abend zuvor, schauen zu.
Strikt werden die rund 100 Rechten von jenen getrennt, die am Samstag Solidarität mit Flüchtlingen zeigen. Eine Gruppe von etwa 150 Menschen, darunter Politiker von Grünen, SPD und Linken, nimmt auch Kontakt zu den Asylsuchenden auf. Einige von ihnen kommen auf die andere Straßenseite und berichten von ihrem Schicksal.
Unterkunft liegt außerhalb
Heidenau hat nur etwa 16.000 Einwohner und liegt ein paar Kilometer elbaufwärts von Dresden. Die neue Flüchtlingsunterkunft für bis zu 600 Menschen liegt an der von Einkaufsmärkten gesäumten Bundesstraße 172 Richtung Pirna, schon etwas außerhalb und keineswegs in direkter Nähe zu einem Wohngebiet. Eigentlich dürfte sie keinen stören. Dennoch dominieren die Flüchtlinge seit Tagen das Ortsgespräch.
Auch interessant
Das ganze Ausmaß des Fremdenhasses zeigt sich in den Gesprächen oder in dem, was ungehemmt im Sprechchor skandiert wird - zum Beispiel am Freitagabend. Da werden Flüchtlinge als "Schweine" und "Viehzeug" beschimpft, da werden völlig aus der Luft gegriffene Bedrohungsszenarien an die Wand gemalt. "Eure Frauen werden alle vergewaltigt, ihr könnt sie nicht mehr schützen", ruft eine Frau mittleren Alters beschwörend einer Gruppe junger Männer zu.
Jugendliche skandieren verbotene Nazi-Lieder
Die Männer beobachten - Bierflasche in der Hand - das Geschehen in der Flüchtlingsunterkunft von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Jugendliche singen leise vor sich hin: "Die Reihen fest geschlossen" - eine Verszeile des verbotenen Horst-Wessel-Liedes der Nazis.
Auch interessant
Es fließt Alkohol, sehr viel Alkohol. Einige vertreiben sich Zeit mit diversen Verschwörungstheorien. Andere artikulieren ohne die geringste Hemmung oder Scham immer wieder, was sie von Asylbewerbern halten. Als viele Anwohner am Freitag nach Mitternacht nach und nach abwandern, bleibt der rechte Mob noch eine Weile unter sich. Dann löst sich der Spuk auf.
"Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern aussieht"
Flüchtlinge in DeutschlandIm früheren Baumarkt, der zum Schutz der Flüchtlinge umzäunt ist, bleibt das Geschehen am Samstag nicht unbemerkt. Immer wieder kommen Asylbewerber heraus und schauen bisweilen verängstigt auf das, was sich dort tut. Sakah ist 28 Jahre alt und stammt aus Kabul. Er kam allein. Drei Monate lang sei er unterwegs gewesen, meist zu Fuß, sagt der Afghane und zeigt nach unten. Seine Füße stecken in Sandalen und haben viele kleine Wunden.
Seine Fluchtroute über den Iran, Irak, die Türkei und Bulgarien bis nach Serbien kann er präzise beschreiben. Von Belgrad aus ging es mit dem Bus nach Deutschland. Sakah spricht im Unterschied zu dem meisten seiner Schicksalsgefährten schon ganz gut Englisch. Jetzt will er Deutsch lernen und am liebsten hier auch studieren. "Es gibt in Afghanistan keine Chance für mich", sagt der junge Mann.
Ausschreitungen vor Flüchtlingsheim
Die Argumente der Gegendemonstranten kann er nicht recht verstehen. "Vielleicht wissen sie nicht, wie es in unseren Ländern aussieht. Und wir wissen nicht, was wir tun sollen. Zurück können wir nicht", sagt Sakah.
Grüne fordern Kanzlerin Merkel zum Eingreifen auf
Nach den rassistischen Ausschreitungen vor einer Asylunterkunft im sächsischen Heidenau kontrolliert die Polizei das Gebiet rund um die Einrichtung. Menschen wurden am Sonntagabend angesprochen und mussten sich teils ausweisen. In die Nähe des Gebäudes - einem früheren Baumarkt - wurden lediglich Unterstützer von Flüchtlingen gelassen. Etwa drei Dutzend Menschen, darunter Grünen-Politiker, drückten vor dem Heim ihre Solidarität mit den Menschen aus.
Im Umfeld der Unterkunft hätten sich immer wieder auch Schaulustige und erkennbar rechte Gegner versammelt, sagte Polizeisprecher Marko Laske. Diese seien von den Beamten persönlich angesprochen worden. "Potenzielle Gewalttäter werden so in die Öffentlichkeit gezogen, weil ihre Personalien aufgenommen werden", erklärte Laske. Dies habe auch eine abschreckende Wirkung.
Auch interessant
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich verurteilt die rechten und rassistischen Ausschreitungen der Flüchtlingsunterkunft. "Mich erschüttern die Ereignisse zutiefst", erklärte der CDU-Politiker am Sonntag. "Das ist Menschenhass mit erschreckender Gewalt gegen Polizisten und gegen Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen." Der Regierungschef kündigte an, mit aller Macht dagegen vorzugehen. "Das ist nicht unser Sachsen. Hier verstößt eine Minderheit brutal gegen Werte und Gesetze Deutschlands."
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ändert angesichts der rechtsradikalen Proteste im sächsischen Heidenau die Route seiner Sommerreise und will an diesem Montag die dortige Flüchtlings-Notunterkunft besuchen. Gabriel sei vom Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) und vom stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) eingeladen worden, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministers am Sonntag. SPD-Chef Gabriel wäre das erste Mitglied der Bundesregierung, das sich angesichts der rechten Randale in Heidenau vor Ort ein Bild macht.
Grünen warnen vor rechtem Terrorismus
Auch Bundesinnenminister de Maizière äußerte sich inzwischen. "Alle Asylbewerber und Flüchtlinge, ganz gleich ob sie später bleiben werden, haben das Recht auf eine anständige Unterbringung und Aufnahme, auf ein faires Verfahren", sagte er im ZDF. "Wer Behörden daran hindert, das zu tun, der verlässt den Konsens der Demokraten."
Die Grünen forderten ein Eingreifen der Kanzlerin. "Ich warne vor einem neuen rechten Terrorismus à la NSU. Die Zögerlichkeit von Angela Merkel, hier die richtigen Worte zu finden, kann ich nicht mehr verstehen", sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt.
Auch interessant
Die Grünen-Politikerin machte auch der sächsischen Landesregierung Vorwürfe. Wenn ein rechter Mob in zwei Nächten nacheinander Menschen bedrohen könne, dann sei das Gewaltmonopol des Staates in Gefahr. "Heidenau ist eine direkte Folge der falsch verstandenen Toleranz der sächsischen Landesregierung gegenüber Pegida", sagte sie.
Bürgermeister ruft zu Menschlichkeit auf
Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) verurteilt die ausländerfeindliche Randale und forderte die Einwohner zur Solidarität mit Flüchtlingen auf. "Menschlichkeit ist gefragt, kein materielles Opfer", sagte er. Sachsen könne da noch viel leisten und Heidenau werde mitmachen.
Justizminister Heiko Maas (SPD) und Vizekanzler Sigmar Gabriel forderten ebenfalls, Polizei und Justiz in müssten "mit aller Härte" gegen rechtsradikale Gewalttäter vorgehen. (dpa)