Berlin. Das Justizministerium hat offenbar lange vor Ermittlungen gegen das Blog netzpolitik.org gewarnt. Der Vorgang war der Regierung schon länger bekannt.
Generalbundesanwalt Harald Range ist nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" schon frühzeitig vor Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org gewarnt worden. Das Bundesjustizministerium habe nach eigener Darstellung Range signalisiert, man halte das Verfahren für falsch, schreibt die Zeitung. Das Ministerium sei schon am 27. Mai von der Bundesanwaltschaft über das am 13. Mai eingeleitete Verfahren informiert worden. Mehrere Ministerien seien - anders als bisher öffentlich behauptet - frühzeitig über Einzelheiten des Verfahrens informiert gewesen, heißt es in dem Bericht.
Spitzenbeamte kannten wohl viele Details des Falls
Spitzenbeamte der Häuser hätten die vielen Details des Falles gekannt und vor allem von der Entscheidung Ranges gewusst, gegen die Journalisten zu ermitteln. Die Bundesanwaltschaft habe den Erhalt der Warnung nicht bestätigt, schreibt die Zeitung. Es habe nur allgemeine Hinweise auf die Problematik eines solchen Verfahrens gegeben. Zudem sei das Verfahren nur in Gang gekommen, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Gutachten zwei Veröffentlichungen von Netzpolitik.org zum Staatsgeheimnis erklärt habe. Daraufhin habe die Bundesanwaltschaft einen externen Gutachter beauftragt, über die Frage Staatsgeheimnis und Landesverrat ein weiteres Gutachten zu fertigen. Der Experte sei nun aber im Sommerurlaub.
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Das alles dauert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) offenbar zu lange. Nach Recherchen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR werden seine Beamten in der bereits am Freitag angekündigten Stellungnahme aus dem Ministerium zu dem Ergebnis kommen, dass es sich im Netzpolitik-Fall nicht um Landesverrat gehandelt hat. Das Quasi-Gutachten soll bis zum Donnerstag dieser Woche fertiggestellt werden. Die Expertise wird dann Range zugestellt werden. Ob danach schon die Ermittlungen eingestellt werden, sei ungewiss.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen verteidigte sein Vorgehen gegen das Durchstechen geheimer Dokumente aus seinem Hause. Zugleich ließ er am Sonntag einen Sprecher klarstellen, dass die Anzeigen nicht gegen Journalisten, sondern gegen Unbekannt gerichtet waren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) will dem Vernehmen nach vor allem herausfinden, auf welchen Wegen die Informationen zu den Journalisten des Internetportals Netzpolitik.org gelangten.
Anzeige nach Veröffentlichung von Geheimdokumenten "selbstverständlich"
Maaßens Sprecher erläuterte, wenn Geheimdokumente aus dem BfV in die Öffentlichkeit gelangen, sei es "eine Selbstverständlichkeit", Anzeige zu erstatten. Ob die zuständige Strafverfolgungsbehörde dann den Anfangsverdacht für einen von mehreren infrage kommenden Tatbeständen bejahe und ob sie dies nur für die Durchstecher im Amt oder auch für Journalisten, die zur Veröffentlichung beitragen, tue, "ist einzig und allein Sache der Strafverfolgungsbehörde". Soll wohl heißen: Das Bundesamt hat die Durchstecherei ordnungsgemäß angezeigt, die Bundesanwaltschaft hat daraus den Verdacht des Landesverrats gegen Journalisten konstruiert.
Die Bundesanwaltschaft erklärte ihrerseits, sie habe aufgrund der Strafanzeigen des BfV wegen der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten auf Netzpolitik.org "zunächst lediglich einen Prüfvorgang angelegt. Hintergrund hierfür war, dass eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Fällen von Geheimnisverrat nur gegeben ist, wenn ein Staatsgeheimnis ... in Rede steht." Das BfV habe mit einem ausführlichen Rechtsgutachten das Vorliegen eines Staatsgeheimnisses bejaht.
Mit anderen Worten: Die Verfassungsschützer haben wohl die Bundesanwaltschaft auf eine falsche Fährte gesetzt. Bereits bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens habe Range angewiesen, "dass mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV namentlich genannten Journalisten ergriffen werden". Vielmehr sei ein externes Gutachten zur Beurteilung, ob ein Staatsgeheimnis vorliege, in Auftrag gegeben worden.
Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten von Netzpolitik.org
Am vergangenen Donnerstag war bekanntgeworden, dass die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten von Netzpolitik.org eingeleitet hat. Sie sah bei Gründer Markus Beckedahl und Autor André Meister einen Verdacht des Landesverrats, weil sie Verfassungsschutz-Informationen veröffentlicht hatten.
Die Blog-Macher hatten die Ermittlungen als "Angriff auf die Pressefreiheit an sich" bezeichnet. Um Unterstützung zu zeigen, demonstrierten am Samstag in Berlin rund 1300 Menschen - weitaus mehr als gedacht.
Die Kritik an Range richtet sich auch gegen dessen angeblich zögerliches Vorgehen in der Ausspähaffäre des amerikanischen Geheimdienstes NSA. (dpa)