Wien/Washington. Nach der Einigung im ewigen Atomstreit mit dem Iran schlägt jetzt die Stunde der Hardliner – auf beiden Seiten. Ein Kommentar.
Nach dem Verhandlungsmarathon ist vor den Mühen der Ebene. Ob sich der Iran wirklich uneingeschränkt an das historische Vertragswerk von Wien halten wird und lückenlos nachprüfbar Abstinenz übt gegen alle Verlockungen, vom Atomstaat (der er heute schon ist) zur Atommacht zu werden (was nun für mindestens zehn Jahr verunmöglicht werden soll), kann heute niemand mit Bestimmtheit sagen. Aber man muss es versuchen.
Die Alternativen - Bomben auf Nuklear-Anlagen, noch schärfere Sanktionen oder das Verlassen des Verhandlungstisches ohne Ergebnis - waren immer töricht und bleiben es.
Auf beiden Seiten schlägt jetzt die Stunde der Hardliner
Auf beiden Seiten wird nun die Stunde der Hardliner schlagen. Sie werden die gewiss vorhandenen Schwachstellen herausstreichen und als Sensation verkaufen, was von Anfang an klar war: Teheran wird durch den Deal mitnichten für alle Zeiten am Griff nach der Atombombe gehindert. Es wird dem Land nur auf Jahre ziemlich schwer und teuer gemacht.
Während Teheran aufgrund seines autokratischen Staatsaufbaus den programmierten Unmut nicht nur zügig kanalisieren, sondern durch ein Machtwort des religiösen Oberschiedsrichters Ajatollah Khamenei auch verbindlich eindämmen kann, liegen die Hürden in Washington erheblich höher.
Die Republikaner, im Präsidentschaftsvorwahlkampf für 2016 noch irrationaler als gewöhnlich, werden wenig unversucht lassen, um Obama den wirkungsmächtigsten außenpolitischen Erfolg seiner Amtszeit zu zerschießen und als Risiko für den Weltfrieden darzustellen. Erst ein vom Kongress mit solider Mehrheit mitgetragener Atom-Deal wäre politisch unumkehrbar und auch für den nächsten Präsidenten fürs erste bindend.
Bevor sich ab sofort die Fachleute über die von Laien kaum fassbare Zahl und Funktionsweise von Zentrifugen, den Grad der Anreicherung des von ihnen erzeugten Urans sowie die Taktfolge unabhängiger Atom-Kontrolleure in ober- wie unterirdischen Anlagen beugen werden, darf die politische Gewichtsklasse der nach 13 mühevollen Jahren erreichten Verständigung nicht klein geredet werden.
Wien markiert nicht weniger als das Ende des kalten Krieges zwischen dem Westen und einem Land, das sich 36 Jahre nach einer zwiespältigen Revolution vor allem mit Stellvertreterkriegen, verdeckten Attentaten, Vernichtungsdrohungen gegen Israel und rituellen „Tod dem großen Satan“-Anti-Amerikanismus ausgezeichnet hat.
Teheran muss sich entscheiden: Frieden oder Terror?
Der Iran, Heimstatt großer kultureller Leistungen, kehrt nun aus der Paria-Ecke in den Kreis der voll verhandlungsfähigen Staaten zurück. Verhält sich das Land, in dem sich für 80 Millionen Menschen am Dienstag eine neue Tür geöffnet hat, vertragskonform, werden auch die letzten Wirtschaftssanktionen fallen. Und dann?
Teheran wird sich beizeiten entscheiden müssen, ob man im Mittleren Osten weiter nur für den Exportschlager Terrrorismus und einschüchternde Nachbarschaftspolitik bekannt und gefürchtet sein will. Oder ob friedliche Ko-Existenz in einer von blutrünstigem Fanatismus gepeinigten Weltgegend nicht das bessere Zukunftskonzept ist. Die offizielle Anerkennung des Staates Israel und das Bekenntnis zum zivilen Interessenausgleich mit dem ewigen Rivalen Saudi-Arabien wären dazu unerlässlich.
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Ein von den Fesseln des Wirtschafts-Embargos befreiter Iran wird prosperieren und zwangsläufig das Machtgefüge im Mittleren Osten verändern. Damit gehen große Chance und Risiken einher. Ein Iran der Mäßigung könnte stabilisierend wirken in Syrien, im Irak, im Jemen und anderen zerfallenden Staatsgebilden. Ein Iran des Hochmuts, der sein Heil in schiitisch grundierter Dominanz sucht, wird zum gefährlichen Hegemon.
Für welchen Weg man sich in Teheran entscheidet, wird auch maßgeblich davon abhängen, wie fair, würdig und verlässlich der von Amerika geführte Westen mit dem Atom-Deal umgeht. Ohne Vertrauensvorschuss und Wohlwollen wird es nicht gehen.
Wien ist, bis zum Beweis des Gegenteils, der willkommene Beweis dafür, dass uralte Konflikte unter ewigen Feinden am Ende doch ohne militärische Konfrontationen einzuhegen sind. Die Obama-Doktrin, von vielen mit Feigheit, Unentschlossenheit und Weicheierei gleichgesetzt, sie funktioniert manchmal doch.
George W. Bush saht Iran auf der „Achse des Bösen“
Für Amerika, das noch vor wenigen Jahren unter dem irregeleiteten George W. Bush die Islamische Republik für immer auf der „Achse des Bösen“ verorten wollte, ist das ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Erst Kuba, jetzt Iran - die berechtigte Kritik an dem viel zu früh mit dem Friedensnobelpreis belasteten Präsidenten Barack Obama darf jetzt ruhig eine Tonlage leiser werden.