Berlin. . Das Friedensforschungsinstitut Sipri warnt, die Zeit der nuklearen Bedrohung sei nicht vorbei. Die fünf Atommächte dächten nicht ans Abrüsten.

Ernüchterung statt Jubelfeier: Die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ziehen sich weiter in Länge, Ende der Woche sind neue Gespräche auf Ministerebene in Wien geplant. Schon kursieren erste Schuldzuweisungen für den Fall des Scheiterns. Doch auch wenn es mit Verzögerung noch zu einer Verständigung kommen sollte, dass Iran nicht unter dem Deckmantel seines zivilen Atomprogramms Atombomben baut – ein Signal für die atomare Abrüstung in der Welt wäre es nicht. Denn so oder so, die Zeit der nuklearen Bedrohung ist nicht vorbei, im Gegenteil: „Alle Staaten mit Atomwaffen scheinen entschlossen, ihre Arsenale auf unbestimmte Zeit zu behalten“, beklagt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri.

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Berlin spricht kritisch von einer „Stagnation“ bei der nuklearen Abrüstung – dringend nötige Fortschritte würden durch die Ukraine-Krise erschwert, heißt es im aktuellen Rüstungskontrollbericht. Und der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagt: „Es wird wieder aufgerüstet. Eine Welt ohne Atomwaffen ist weiter nicht in Sicht. Im Gegenteil: Alle fünf Atommächte sind dabei, neue Systeme für den Einsatz von Kernwaffen zu entwickeln oder haben solche Programme bereits.“

Russland modernisiert sein Raketen-Arsenal

So tauscht Russland derzeit sein Arsenal an Interkontinentalraketen aus, wendet dafür ein Drittel seines wachsenden Militärbudgets auf. Indien und Pakistan bereiten sich auf einen atomaren Rüstungswettlauf vor, China investiert massiv in seine Zweitschlagsfähigkeit – die Gefahr eines Atomkonflikts in Asien wachse, fürchten die Sipri-Forscher. Und die USA wollen im nächsten Jahrzehnt 350 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung ihrer Atomwaffen stecken, etwa in neue Interkontinentalraketen und Atombomber.

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Auch Deutschland ist betroffen: Die etwa 20 US-Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz sollen ebenfalls modernisiert werden. Vorbei die Zeit, als die Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Guido Westerwelle (FDP) offensiv den Abzug dieser letzten Atomwaffen aus Deutschland forderten. „Es ist ein Ziel, das wir kurzfristig nicht erreichen können“, sagt Steinmeier nun, das Thema sei aber nicht aufgegeben. Die Opposition ist empört. „Von Steinmeier bin ich schwer enttäuscht“, sagt die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Außenminister und Regierung forderten international Abrüstung, duckten sich bei der Frage der Waffen im eigenen Land aber weg.

Drohungen in der Krim-Krise

Dabei war die Hoffnung einmal groß: Nach Ende des Kalten Kriegs hatten die USA und Russland ernsthaft begonnen, Atomwaffen zu verschrotten. 2009 stellte Barack Obama, frisch gewählt als US-Präsident, die Vision einer atomwaffenfreien Welt vor. Ein Jahr später unterzeichneten er und Russlands Präsident Dmitri Medvedev einen New-Start-Vertrag zur Reduzierung von Atomwaffen – bis 2018 soll die Zahl der einsatzbereit gehaltenen Gefechtsköpfe auf je 1550 reduziert werden.

So ist die Zahl der Sprengköpfe in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich um gut ein Viertel gesunken – doch die Waffen werden zwar weniger, aber moderner, die Risiken nehmen zu. Weltweit existieren nach Sipri-Angaben noch 15800 nukleare Sprengköpfe von 9 Staaten. Über die mit Abstand größten Arsenale verfügen die USA (7260 Sprengköpfe) und Russland (7500), die zusammen mit China (260), Frankreich (300) und Großbritannien (215) zu den offiziellen Nuklearmächten zählen. Im Besitz von Atombomben sind aber auch Indien (110), Pakistan (120), Israel (80) und Nordkorea (10).

Viele Staaten könnten schnell eine Bombe bauen

Und mehr als 40 Staaten sind industriell oder wissenschaftlich in der Lage, eine Bombe zu bauen. Von der vereinbarten langfristigen Auflösung der Kernwaffenlager, zu der sich die fünf offiziellen Atommächte verpflichtet haben, ist wenig zu sehen.

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Stattdessen bleibt die nukleare Option für die Staaten „fest verankerte Elemente des strategischen Kalküls“, wie Sipri-Forscher klagen. Oft sollen die Bomben auch Lücken in der konventionellen Bewaffnung ausgleichen. Russland hat bereits Anfang des Jahrtausends begonnen, atomare Schläge wieder in seine Militärdoktrin einzubauen – viele militärische Übungen haben seitdem begrenzte Atomwaffen-Einsätze simuliert. Präsident Wladimir Putin hat vor einigen Monaten erklärt, er sei bereit gewesen, während der Krim-Krise Atomwaffen einzusetzen. Schon drohen die USA deshalb mit der Stationierung atomar bestückter Cruise Missiles in Europa.