Athen/Brüssel. Die Volksabstimmung fiel deutlich aus. Nun will Athen sofort neue Verhandlungen mit den Geldgebern. Merkel und Hollande setzen raschen Sondergipfel an
Mit einer überraschend deutlichen Mehrheit haben die Griechen per Volksabstimmung die Sparvorgaben der internationalen Gläubiger abgeschmettert. Nach Auszählung der abgegebenen Wahlzettel stimmten gut 61 Prozent mit "Nein" und unterstützten damit den Konfrontationskurs von Ministerpräsident Alexis Tspiras. Nur 39 Prozent sprachen sich am Sonntag dafür aus, unter den Konditionen der Geldgeber weiter zu verhandeln, wie das Athener Innenministerium am Sonntag mitteilte.
Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande sprachen sich für einen EU-Sondergipfel am Dienstag aus, wie ein Regierungssprecher in Berlin nach einem Telefonat der beiden Politiker mitteilte. "Beide sind sich darin einig, dass das Votum der griechischen Bürger zu respektieren ist", hieß es in der kurzen Erklärung weiter. Hollande will mit Merkel zuvor am Montag in Paris im kleinen Kreis über die Konsequenzen aus dem Referendum beraten.
Scharfe Kritik an Tsipras von der SPD
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Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel reagiert mit scharfer Kritik an der griechischen Regierung auf den Ausgang des Referendums. "Mit der Absage an die Spielregeln der Eurozone, wie sie im mehrheitlichen Nein zum Ausdruck kommt, sind Verhandlungen über milliardenschwere Programme kaum vorstellbar", sagte Gabriel dem "Tagesspiegel" (Montag). Der Ball liege jetzt in Athen.
Tsipras hatte seinen Landsleuten versprochen, ein mehrheitliches "Nein" stärke seine Verhandlungsposition. Der Regierungschef telefonierte noch am Abend mit Hollande, wie griechische Medien berichteten. Die italienische Regierung sprach sich bereits für neue Verhandlungen mit Griechenland aus. "Jetzt ist es richtig, wieder damit anzufangen, eine Vereinbarung zu suchen", erklärte Außenminister Paolo Gentiloni auf Twitter.
Kurz nach Schließung der Wahllokale feierten Hunderte Gegner des Reformprogramms auf den Platz vor dem Parlament in Athen. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos reagierte erfreut auf erste Ergebnisse. "Dies zeigt, dass das griechische Volk nicht erpresst und bedroht werden kann. Die Demokratie siegt", schrieb er auf Twitter. Er ist Parteichef der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen, des Koalitionspartners des linken Regierungschefs Tsipras.
Sofortige Gespräche mit den Geldgebern erwünscht
Noch am Sonntagabend wolle man substanzielle Gespräche mit den internationalen Partnern beginnen, erklärte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis in Athen. "Das Mandat (des Volkes) ist klar. Ein neuer Versuch beginnt (seitens Athens) für eine für beide Seiten günstige Einigung, als gleiche Partner und nicht als eine Schuldenkolonie", sagte Sakellaridis. "Es muss eine Lösung binnen 48 Stunden geben." Tsipras werde sich "sehr schnell bewegen, um den Auftrag des Volkes in die Tat umzusetzen. Ab heute starten wir Verhandlungen", hieß es.
Terrorismusvorwurf gegen die Verhandlungspartner
Die griechische Regierung hatte bis zuletzt im scharfen Tonfall die Position der internationalen Geldgeber aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) kritisiert . "Was man mit Griechenland macht, hat einen Namen: Terrorismus", sagte Finanzminister Gianis Varoufakis vor dem Referendum in einem Interview der spanischen Zeitung "El Mundo".
Tsipras hatte die Volksabstimmung zur Verärgerung der Geldgeber überraschend angesetzt. Die Verhandlungen gerieten danach in eine Sackgasse. Noch zur Verfügung stehen Hilfsgelder in Milliardenhöhe für das von der Staatspleite bedrohte Land verfielen am Dienstag. Ohne neue Hilfskredite droht ein schneller Zusammenbruch der Banken und der Staatsfinanzen.
Schäuble schließt den Grexit nicht mehr aus
Grünen-Chef Cem Özdemir äußerte sich besorgt über die Tendenz zum Nein beim Referendum in Griechenland. Die Probleme des hoch verschuldeten Landes würden so oder so auch künftig die Probleme Europas bleiben, sagte er am Sonntag. "Man kann Griechenland nicht wegsprengen von Europa."
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Carsten Schneider bezeichnete ein Nein als "ein sehr, sehr schwieriges Ergebnis". Er stellte in Frage, ob man dann mit der griechischen Regierung überhaupt noch verhandeln könne. Er verwies auf "Aufstachelungen" des Ministerpräsidenten Tsipras und seines Finanzministers Gianis Varoufakis. "Ich weiß nicht, wie man noch gemeinsamen Boden dann finden kann."
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte am Wochenende ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht ausgeschlossen.
Griechen jubeln über Referendum
"Tsipras manipuliert die Menschen"
Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hatte Tsipras zuvor heftig attackiert. „Tsipras ist unberechenbar und manipuliert die Menschen in Griechenland, das hat fast demagogische Züge“, so Schulz.
Mitten im griechischen Schuldendrama hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Grund zur Freude: Dass Athen diese Woche aus dem laufenden Hilfsprogramm ausgestiegen ist, beschert Schäuble Zusatzeinnahmen von fast einer Milliarde Euro. Das Geld stammt aus Zinsgewinnen der Bundesbank mit griechischen Staatsanleihen – den Anspruch darauf hat Athen nun verwirkt.
Doch der Milliarden-Gewinn wiegt die Sorgen in der Bundesregierung vor dem Referendum nicht auf. Offiziell herrscht zwar Gelassenheit: „Wie warten in Ruhe und Respekt ab, die Tür für Gespräche bleibt offen“, ließ Kanzlerin Angela Merkel erklären. Doch tatsächlich stellt sich Berlin darauf ein, dass demnächst ein neues Kapitel des Verhandlungskrimis aufgeschlagen wird – ein drittes, milliardenschweres Hilfsprogramm für Athen zeichnet sich bereits ab.
Es gibt keinen fertigen Plan
Einen fertigen Plan gibt es nicht, heißt es in Regierungskreisen. Keine der Optionen sei wirklich gut. Nun warte man, welche Initiative Premier Alexis Tsipras ergreift. Die Hürden für ein neues Hilfsprogramm wären hoch: Das Referendum im Rücken, wird Tsipras auf weniger harte Sparauflagen und einem Schuldenerlass bestehen – ohne große Aussicht auf Erfolg.
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Neue Hilfen werden so schnell nicht bewilligt. „Das wird eine Weile dauern“, warnt Schäuble. Zwar hat Griechenland bereits ein drittes, 29 Milliarden Euro schweres Hilfspaket beantragt – frisches Geld wird zur Schuldenbedienung schon im Juli benötigt. Nur wären auch diese Hilfen an Reform- und Sparauflagen gebunden, die aus deutscher Sicht nicht milder ausfallen können als bisher.
Bundestag müsste zustimmen
Im Gegenteil: Weil sich die finanzielle Lage des Landes massiv verschlechtert hat, ist der Reformdruck eher gestiegen. Schäuble fordert jetzt nicht nur einen neuen Hilfsantrag, er erwartet auch „sehr schwierige Verhandlungen“.
Schon der Aufnahme von Verhandlungen über ein weiteres Hilfspaket muss der Bundestag zustimmen – die Parlamentsferien haben aber schon begonnen, die Abgeordneten müssten erst umständlich nach Berlin zurückgerufen werden. Worum es dann ginge, ist allerdings klar: Am Ende laufen alle Überlegungen auf einen neuen Versuch hinaus, Griechenland durch ein weiteres Hilfsprogramm in der Eurozone zu halten. Als denkbar gilt in der Bundesregierung zudem, für die griechischen Schulden längere Laufzeiten mit niedrigen Zinsen zu vereinbaren, um die Last zu mildern. „Wir brauchen endlich eine längerfristige Lösung“, sagt ein Regierungsmitglied. (gh, krp)