Brüssel. . Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die Verhandlungen über weitere Finanzhilfen gesprengt. Sein Vorschlag, sein Volk zu befragen, ist demokratisch legitim, in diesem Fall jedoch ein Foulspiel, meint Kommentator Knut Pries.

Was sich Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident und Chef der linken Syriza-Partei, hat einfallen lassen, ist eine politische Bombe. Der erste schwere Schaden ist angerichtet, weiterer wird folgen. Nach der Ankündigung eines Referendums in Griechenland sind die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe über eine Verlängerung des Rettungsprogramms über Ende Juni hinaus gescheitert. Die Staatspleite rückt näher. Die Krise hat sich dramatisch verschärft.

Prinzipiell ist das Referendum weder abwegig noch gar anstößig. Es ist im Gegenteil durchaus plausibel: Die Regierung Tsipras hat feststellen müssen, dass sie den Auftrag ihrer Wählerschaft nicht erfüllen kann. Den Euro behalten, weitere Hilfe der Partner in Anspruch nehmen, das aber zu bequemeren Konditionen – das war nach den Spielregeln der Währungsunion und der internationalen Kreditgeber nicht zu haben. Was also tun, sich den Auflagen der Partner beugen oder den Crash riskieren? Das ist eine Schicksalsfrage, die man durchaus ans Volk weiterreichen darf. Prinzipiell. Denn Zeitpunkt und Umstände machen in diesem Fall aus einem legitimen demokratischen Instrument ein Mittel zum Foulspiel.

Tsipras-Regierung hätte längst das Volk fragen können

Für das Referendum wäre in den vergangenen Wochen und Monaten reichlich Zeit gewesen. Die Idee tauchte in der griechischen Debatte durchaus auf, unter anderem als Empfehlung des früheren Ministerpräsidenten Papandreou. Der hatte schon 2011 das Volk über die Sanierungspolitik befragen wollen, was ihm Angela Merkel und die anderen EU-Kollegen damals ausredeten. Die Positionen im Pflichtenheft der Gläubiger-Institutionen haben sich im Einzelnen verschoben (durchweg zugunsten der Griechen), das Grundproblem, die Kluft zwischen Syriza-Wahlversprechen und Realisierungsmöglichkeit, hat sich indes nicht geändert.

Wenn sich also die Hufeisen-Regierung aus Linken und Nationalisten in Athen mit dem Dilemma überfordert fühlte, hätte sie die Entscheidung längst den Bürgern überantworten können, in welche Richtung der Widerspruch aufgelöst werden sollte. Stattdessen wurde das Votum nun für einen Termin nach dem Auslaufen des derzeitigen Hilfsprogramms angesetzt, in souveräner Missachtung der damit verbundenen rechtlichen und politischen Konsequenzen. Das bedeutet: Entweder ihr werft eure famosen Regeln in den Müll und gebt uns frisches Geld ohne die leidigen Auflagen, oder ihr seid schuld an Chaos und Elend!

In Brüssel hatte Tsipras noch in Optimismus gemacht

Was die Umstände anlangt, so hat der griechische Premier auf dem jüngsten Gipfeltreffen die Kollegen mit keinem Wort über seine Pläne ins Bild gesetzt. Noch am Freitagmorgen beriet er in separater Runde mit Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande über das Angebot der drei Institutionen. Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds und EU-Kommission, die vormalige Troika, wären bereit, bis November weitere 15,5 Milliarden Kredite zu mobilisieren, darunter 1,8 Milliarden Soforthilfe, damit Athen eine am Dienstag fällige IWF-Rate von 1,6 Milliarden Euro bezahlen kann.

In Brüssel hatte Tsipras noch in Optimismus gemacht, Stunden später wetterte er im Fernsehen über die angeblich geplante „Demütigung eines ganzen Volkes“ durch die Gläubiger. Das ist ein starkes Stück. Es macht keinen großen Unterschied, ob man dahinter eher Dreistigkeit oder Verzweiflung vermutet. Vermutlich handelt es sich um eine Mischung aus beidem. Der griechische Premier drückt sich vor der unbequemen Einsicht, dass er nicht halten kann, was er versprochen hat. Das politische Manöver von Alexis Tsipras ist der Versuch, die Verantwortung für das eigene Versagen weiterzureichen. Den EU-Partnern ließ er keine Wahl, als zu sagen: Bis hierher und nicht weiter.