Washington. Der US-Präsidentschaftswahlkampf wird heißer. Die demokratische Bewerberin Hillary Clinton präsentierte sich am Samstag in ihrer ersten größeren Wahlkampfrede als Kämpferin für die Mittelschicht.

Wer polarisiert, verliert. Gemessen an diesem Lehrsatz amerikanischer Vorwahlkämpfe, hat Hillary Clinton auf der nach dem Architekten des Wohlfahrtsstaates - Franklin D. Roosevelt - benannten Insel vor New York einen sozialdemokratisch angehauchten „Deal“ eingefädelt. Es könne nicht angehen, sagte die 67-Jährige bei ihrem perfekt choreografierten Wahlkampf-Auftakt, dass „die Manager der 25 wichtigsten Hedgefonds in Amerika so viel verdienten wie alle Kindergärtnerinnen zusammen und dazu noch weniger Steuern zahlen müssen“. Die in ein knallig blaues Hosen-Kostüm gewandete Präsidentschafts-Kandidatin schmetterte den 5500 Fähnchen schwenkenden Sympathisanten entgegen: „Wohlstand ist nicht nur etwas für Vorstandsvorsitzende. Ich trete an, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft für alle Amerikaner funktioniert.“

Hillary Clinton teilte Breitseiten gegen Superreiche aus

Ihre auf die reichlich links gewirkte demokratische Kernwählerschaft zielenden Breitseiten gegen die Superreichen (und die sie begünstigenden Republikaner) waren so eindeutig, dass manche sich die Augen rieben. Hatte nicht ihr Mann Bill, der später samt Tochter Chelsea als klatschender Statist auf die Bühne gebeten wurde, zu seiner Zeit im Weißen Haus jene Deregulierung der Finanzmärkte vorangetrieben, ohne die der Crash von 2008 und die Gehalts- und Boni-Exzesse von heute kaum denkbar wären?

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Ist es nicht Hillary Clinton, die ohne ihre Netzwerke in und das Spenden-Geld aus der Wall Street überhaupt nicht wäre, wo sie heute ist? „Links reden - anderswo leben“, so spotteten gestern rechtslastige Radio-Moderatoren und mokierten sich über die Kampfansage Clintons gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofes. Danach können Konzerne via Umwege unbegrenzt viel an politische Kandidaten spenden. Sie werde im Falle ihrer Wahl im November 2016 diesen „endlosen Geldfluss“ stoppen und verhindern, dass sich Superreiche Wahlen kaufen können. Ob sie bis dahin mit gutem Beispiel vorangeht und in den nächsten Monaten auf die obszön hohen Finanzspritzen solventer Gönner verzichtet? Nächste Frage.

Clinton präsentierte sich als Anwältin der kleinen Leute

Bei ihrem 45 Minuten langen Auftritt empfahl sich die nicht zuletzt durch Bücher und Reden reich gewordene Clinton als lebenserfahrene Anwältin der kleine Leute. Vereinfachung des Steuerrechts zugunsten einfacher Arbeiter. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bezahlbare Betreuung für jedes Kind. Bezahlte Elternzeit. Schluss mit der Benachteiligung von Homosexuellen. Einbürgerung von illegalen, aber gesetzestreuen Einwanderern. Solche Einzel-Überschriften aus dem sozialdemokratisch anmutenden Instrumentenbaukasten wärmten den Zuhörern das Herz. Clintons nahm im Stile einer „Mutter der Kompanie“ alle in den Blick, denen trotz Tüchtigkeit der amerikanische Traum vom Aufstieg geplatzt ist, weil Washington sie strukturell missachtet. Die Frage ist: Trauen Wählergruppen, die mit diesen Versprechen zu ködern wären, der Polit-Veteranin über den Weg?

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In New York, der Stadt, für die sie acht Jahre lang Senatorin war, nutzte die meist kühl und kalkuliert wirkende Clinton ihre persönlichen Lebenserfahrungen, um den emotionalen Kammerton A ihres Wahlkampfes einzuüben: „Ich werde für euch kämpfen, weil ich in euren Schuhen stand.“ Mehr als einmal erwähnte sie ihre mit 92 Jahren verstorbene Mutter Dorothy Rodham, die trotz widrigster Bedingungen nie den Glauben an sich, ihre Tochter und vor allem nicht ihr Vertrauen in Amerika verloren habe. Von ihr habe sie gelernt, zu stehen, auch wenn die Widerstände groß sind. Leitmotiv: „Es geht nicht darum, was dir zustößt, sondern wie du mit dem, was dir zustößt, umgehst.“

Echter Jubel brach aus, als sie zum Ende beinahe selbstironisch sagte: „Ich mag nicht die jüngste Kandidatin sein, aber ich werde die jüngste Präsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten sein.“ Und es müsse sich auch niemand Sorgen machen, dass sie wegen der harten Arbeit im Weißen Haus weiße Haare bekommen werde: „Ich färbe sie schon seit Jahren.“

In New York endete der Start der Clinton-Kampagne mit einem Erfolg. Die Härtetests kommen erst jetzt - etwa die Konkretisierung ihr vage gelassenen Versprechen. Und die Reaktion der Gegenseite, für die Jeb Bush heute (Montag) seine Ambition auf das republikanische Kandidatenticket anmelden wird. Unmittelbar nach dem Auftritt in New York brach Hillary Clinton nach Iowa auf. Das ist der Bundesstaat, in dem sie 2008 in den Vorwahlen der Demokraten dem jungen Barack Obama unterlag und darüber manche Träne vergoß. Perdu. Mehrfach lehnte sich Hillary Clinton in ihrer Rede an die Errungenschaften ihres ehemaligen Konkurrenten demonstrativ an (Krankenversicherung etc.) und übte den Schulterschluss. Und zwar in dieser Reihenfolge: Roosevelt, Bill Clinton, Barack Obama - Hillary Clinton.