Kathmandu.. Nach dem Erdbeben in Nepal geben Schlepper sich als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus und verkaufen junge Frauen in indische Bordelle.
„Sie haben unvorstellbare Dinge mit mir gemacht. Bis zu 15 Männer pro Tag.“ Shilpa hat Tränen in den Augen als sie von dem berichtet, was ihr in einem Bordell im indischen Pune angetan wurde. Seit einem Jahr wird die 18-Jährige im „Maiti Nepal“-Wohnheim in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu betreut.
Bis zu 15.000 Mädchen werden nach Schätzungen der Hilfsorganisation jedes Jahr aus dem armen Himalaya-Land illegal außer Landes gebracht. Nach dem verheerenden Erdbeben könnte die Zahl sogar noch steigen. Viele der meist noch minderjährigen Mädchen werden im Nachbarland Indien zur Prostitution gezwungen.
Ich war nur ein Stück Fleisch
„Für diese Schweine war ich nur ein Stück Fleisch.“ Immer noch wird Shilpa, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, von Schmerzen gequält, immer noch zuckt sie zusammen, wenn sie berührt wird.
Als das zierliche Mädchen vor zwei Jahren in einem Dorf im Norden Nepals das Vieh hütete, erzählten fremde Männer ihr, dass sie in Indien als Hausangestellte bis zu 6000 Rupien (umgerechnet rund 83 Euro) verdienen könne. Für Shilpa, die nur vier Jahre zur Schule gegangen war, unglaublich viel Geld. Sie ging mit. Wenige Wochen später wurde das Mädchen, das noch nie einem Mann nahe gekommen war, gezwungen, sich zu verkaufen. Ein knappes Jahr später wurde die damals noch Minderjährige von der indischen Polizei befreit. Seitdem lebt sie im „Maiti Nepal“-Wohnheim in Kathmandu.
Weil die deutsche Sonja-Kill-Stiftung 2002 für „Maiti Nepal“ erdbebensichere Häuser baute, überlebten alle Bewohnerinnen das verheerende Beben Ende April. Doch Gründerin Anuradha Koirala befürchtet, dass die Katastrophe das Problem des Mädchenhandels weiter verschärfen könnte. Koirala: „Die Menschenhändler geben sich oft als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus. Sie versprechen den verzweifelten Eltern, ihre Töchter in die Obhut internationaler Organisationen zu bringen. Stattdessen landen sie oft in Bordellen.“
5000 Mädchen befreit
Einer der Männer, der Shilpa nach Indien brachte, sitzt mittlerweile im Gefängnis. Als sie das erzählt, lächelt sie erstmals. Aber dann sagt sie: „Ich möchte, dass er gehängt wird.“ „Maiti Nepal“ unterstützt Shilpa derzeit im Prozess gegen ihren Peiniger. Auch wenn Anklägerinnen wie sie selbst im Gerichtssaal eingeschüchtert werden und Morddrohungen erhalten, konnte „Maiti Nepal“ insgesamt schon rund 1200 Schleuser hinter Gitter bringen.
Denn Shilpa ist kein Einzelfall. Über 5000 Mädchen und Frauen hat „Maiti Nepal“ nach eigenen Angaben in den letzten 22 Jahren zusammen mit Privatdetektiven und Partnerorganisationen aus indischen Bordellen befreit. In Nepal gelten Töchter als Bürde, weil für sie eine hohe Mitgift gezahlt werden muss. In der indischen Sex-Industrie hingegen sind die Mädchen mit den mongolischen Geschichtszügen und heller Haut sehr begehrt. Manche der geschmuggelten Mädchen sind so jung, dass ihnen sogar Hormone gespritzt werden, damit sie schneller in die Pubertät kommen und „einsetzbar“ sind.
Unterwürfig und duldsam
Die meist ungebildeten Mädchen gelten als gutgläubig, unterwürfig und duldsam. Dass ihnen von Geburt an eingebläut wurde, dass sie weniger wert seien als ihre Brüder und Männern stets zu Diensten sein müssten, macht sie in den Rotlichtvierteln noch beliebter. „Falls sie dennoch aufmucken, werden sie unter Drogen gesetzt, geschlagen, mit glühenden Eisen verbrannt, mit Elektroschocks gefoltert oder mit Massenvergewaltigungen wieder gefügig gemacht“, berichtet Anuradha Koirala.
Schweres Nachbeben in Nepal
Bei „Maiti Nepal“ gehen die ehemaligen Prostituierten zusammen mit Waisen- und Straßenkindern zur Schule und werden zu Bäckerinnen, Schneiderinnen, Verkäuferinnen und Friseurinnen ausgebildet, erlernen aber auch Männerberufe wie Wächter und Tischler.
Neben der Therapie der Rückkehrerinnen setzt Maiti Nepal auch auf Prävention. Zusammen mit Polizisten kontrollieren Mitarbeiterinnen Fahrzeuge, die Kathmandu in Richtung Indien verlassen. Bis zu 800 Busse werden dort jeden Tag überprüft, fast jeden Tag werden Menschenhändler erwischt. In ihrer gelb-violetten Uniform steigt Roshni (Name geändert) an der Straßensperre in einen Bus und mustert die Passagiere.
„Ich bin selbst in so einem Bus außer Landes gebracht worden. Ich erkenne die Schleuser und ihre Opfer auf den ersten Blick“, sagt die 20-Jährige. Roshni: „Wenn ich die Mädchen aufhalte, sind sie sauer, denn sie denken, dass ich ihnen die Möglichkeit nehme, viel Geld zu verdienen. Sie können ja nicht wissen, dass ich sie nur davor bewahre, das Gleiche zu erleben, was ich durchmachen musste.“