Bochum. In halb Europa diskutieren Politiker und Frauenrechtlerinnen darüber, wie Huren geholfen werden kann. Doch der Kontinent ist uneinig, ob ein Verbot oder die Legalisierung von Prostitution der richtige Weg ist. Weitgehend unbeachtet bleibt dabei, warum Männer überhaupt ins Bordell gehen. Einblicke in eine bizarre Parallelwelt.

Es ist spät geworden, Torsten und Stefan haben noch nichts gegessen. Also erstmal ‘ne Pizza. Die jungen Männer – beide sind 24 – sitzen in einem Restaurant mitten im Bochumer Rotlichtviertel. Ein schmaler Raum mit kleinen Tischen und wenigen Stühlen, vor der Tür staubige Plastikpflanzen – in dieser Pizzeria kommt es nicht auf die Atmosphäre an.

Ein paar Männer sitzen alleine und schweigend vor ihren Tellern. Hier gebe es „die geilste Pizza in ganz Bochum“, sagt Torsten, die große Salami kostet fünf Euro. Sie möchten „Grundlage schaffen“, Torsten und Stefan haben heute Nacht noch was vor. Sie wollen Sex. Im Puff.

Der „Eierberg“ ist über Bochums Grenzen hinaus bekannt, und das liegt nicht nur am einprägsamen Namen, den der Volksmund dem Viertel am Rand der Innenstadt gegeben hat. Rund um die Gußstahlstraße liegt eine Vergnügungsmeile mit Table-Dance-Bars und Bordellen, eine der größten in NRW. Am Wochenende arbeiten in den Clubs bis zu 200 Frauen. Was denken Huren und Freier über die Prostitutionsdebatte, die aus Frankreich nach Deutschland rüberschwappt? Eindrücke aus einer bizarren Parallelwelt.

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Bochum ist nicht Amsterdam, aber die Rotlichtviertel der Städte ähneln sich. 22 Uhr, über das Kopfsteinpflaster flanieren Männer mit glänzenden Augen. Rechts und links sitzen Frauen in Schaufenstern, sie suchen Blickkontakt.

Unter der Woche ist nicht so viel los, dennoch sind an diesem Abend ein paar Dutzend Männer unterwegs. Ein dürrer Endfünfziger mit hoher Stirn schlendert durch die Gasse. Sein Blick ist starr, er mustert eine junge Frau mit roter Brille. Dann geht er zum nächsten Fenster. Mit der Zeitung will er nicht reden: „Hau ab!“ Also weiter.

Ein Kunde sagt: „Ich brauch’ das einfach ab und zu“

Drei angetrunkene Burschen stehen in einer dunklen Ecke und kichern. Dass Pariser Politiker französische Freier mit hohen Geldbußen bestrafen wollen, haben sie bislang nicht mitbekommen, aber sie brauchen nicht lange zur Meinungsbildung. „Ich bin oft hier, bestimmt einmal die Woche“, sagt einer aus dem Trio. Er sieht aus wie ein Junge, nicht älter als 20. „Wenn Prostitution verboten wird, würde mir was fehlen. Ich hab’ gerade keine Freundin, was soll ich denn sonst machen?“

Sein Kumpel schnippt eine Kippe auf die Straße und bläst den Qualm in die kalte Dezemberluft. Er schaltet sich ins Gespräch ein: „Ich brauch’ das hier einfach ab und zu. Das ist doch nicht schlimm, darum müssen sich die Politiker nicht kümmern.“

Schlimm ist, dass sich manche Frauen nicht freiwillig verkaufen. Groben Schätzungen zufolge arbeiten in Deutschland etwa 300.000 sogenannte Sexarbeiterinnen. Es heißt, viele von ihnen werden dazu gezwungen. In Bochum seien solche Fälle allerdings Ausnahmen, sagen sie beim Verein Madonna, der Selbsthilfeorganisation der Bochumer Huren.

Die meisten Freier sind sehr höflich

Sandy kommt schnell zur Sache. „Hast du Lust?“, fragt sie und lehnt sich aus dem Fenster. Aus ihrem Mund klingt die Frage nicht anrüchig, sondern ganz natürlich, wie ein „Wollen wir tanzen?“ in der Disco. Sandy ist 22, hübsch, blond, sie trägt schwarze Reizwäsche. Ihr Zimmer wirkt karg, aber sauber: ein Bett, ein Waschbecken, Gleitgel, eine Schüssel Kondome. Als sie erfährt, dass ihr Gast nur reden will, ist sie nicht begeistert. „Aber ein paar Minuten habe ich.“

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Sandy arbeitet seit zwei Jahren als Prostituierte. Sie habe damals schnelles Geld machen wollen. „Natürlich habe ich auch schlechte Erfahrungen gemacht. Manche Männer sind einfach ekelig, ungepflegt. Aber die meisten sind sehr höflich und dankbar.“

Wie sie ihr Geld verdiene, gehe niemanden etwas an. Sie tue sogar etwas Gutes: „Ich möchte nicht wissen, wie viele Vergewaltigungen ich schon verhindert habe, weil die Männer bei mir Druck ablassen konnten.“ Ob sie gar keine Hilfe von der Politik brauche? Sandy überlegt.

Vielleicht könne es ja ein Gesetz geben, das ungeschützten Sex verbiete. Denn immer wieder kämen Kunden zu ihr, die kein Präservativ tragen wollten. „Ohne mach ich’s nicht“, aber sie weiß, dass einige Kolleginnen nicht so wählerisch sind. „So“, sagt sie dann, „jetzt muss ich wieder ein bisschen Geld verdienen.“

Inzwischen ist es halb zwölf. Torsten und Stefan, die beiden Freier aus der Pizzeria, haben aufgegessen. Wo sie nun hinwollen? „Erstmal zu der Schwatten da“, sagt Stefan und zeigt auf ein Schaufenster. „Und wenn ich kann, später vielleicht noch zu ‘ner anderen. Kost’ ja nur 30 Euro.“

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