Köln. SPD und Grüne haben ihre hauchdünne Mehrheit im Kölner Stadtrat verloren. Das hat die Neuauszählung eines Stimmbezirks ergeben.
Ein beispielloser Vorgang: In nur einem einzigen Stimmbezirk wird ein Jahr nach der Kommunalwahl und nach zähem Streit noch mal nachgezählt. In Köln. Binnen gut einer Stunde sind die gerade mal rund 700 Stimmen am Dienstag sorgfältig und unter größtem öffentlichen Interesse ausgezählt. Das Ergebnis wirbelt die politischen Verhältnisse in der Millionenstadt durcheinander. Rot-Grün verliert seine Ein-Stimmen-Mehrheit im Rat. Die Karten müssen neu gemischt werden.
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Die CDU, die eine fehlerhafte Ergebnis-Übertragung im Mai 2014 moniert und die Neuauszählung erkämpft hatte, kann triumphieren. Sie ist seit Dienstag als Folge des korrigierten Ergebnisses um einen Ratssitz reicher - und muss in der viertgrößten deutschen Stadt womöglich bald nicht mehr auf der Oppositionsbank sitzen. "Das ist eine Sternstunde für die Demokratie", freut sich CDU-Parteichef Bernd Petelkau. "Wir haben unser Wahlziel aus dem letzten Jahr, die rot-grüne Mehrheit im Rathaus zu knacken, nun doch erreicht."
Eine klare Mehrheit im Kölner Stadtrat gibt es nicht mehr
Die Spekulationen über neue Bündnisse sind bereits munter in Gang gekommen. Eine klare Mehrheit gibt es nicht mehr, die Politik steht vor einem Patt, das die größte NRW-Stadt zu lähmen droht. Kommt es zu einer großen Koalition von SPD und CDU? Oder bekommt Rot-Grün einen Dritten ins Boot?
SPD-Fraktionschef Martin Börschel sieht die Grünen - trotz einiger heftiger Reibereien - weiter als "erste Ansprechpartner", mit denen Gespräche auch über eine Dreier-Konstellation geführt werden sollten. Einem rot-grünen Minderheitsbündnis mit wechselnden Mehrheiten können die Grünen nicht viel abgewinnen, sagt Geschäftsführer Jörg Frank - mit Blick auf die Finanzkrise und den Haushalt, der schnell verabschiedet werden muss.
Der Politikwissenschaftler Professor Klaus Schubert glaubt nicht an schnelle Verhandlungen. "Es wird zunächst punktuelle Bündnisse geben, um dringende Entscheidungen treffen zu können. Reguläre Koalitionsverhandlungen sind erst nach der Oberbürgermeisterwahl zu erwarten." Die OB-Wahl im September macht alles noch komplizierter.
Keine entspannte Ausgangslage für einen OB-Wahlkampf
Im Kölner Rat kam Rot-Grün auf die - nun verlorene - Mehrheit nur dank der SPD-Stimme von OB Jürgen Roters. Nachfolger als OB will der Kölner SPD-Parteichef Jochen Ott werden - und ausgerechnet Ott hat nun sein Mandat im Zuge der Neuauszählung verloren. Keine entspannte Ausgangslage für einen OB-Wahlkampf. Zumal fast ale anderen Fraktionen - sogar ausdrücklich die Grünen - die parteilose Konkurrentin Henriette Reker auf dem Chefsessel der Metropole sehen wollen und sie entsprechend unterstützen.
Experte Schubert glaubt: "Falls Reker gewinnen sollte, wäre ein schwarz-grünes Bündnis wahrscheinlich. Das passt auch zum Konzept von CDU-Landesparteichef Armin Laschet, der für Schwarz-Grün ist." Die Entwicklungen in Köln werden also in mehrfacher Hinsicht genau beäugt.
Neuauszählung stellt Gesamtergebnis auf den Kopf
Die Vorgänge vom 19. Mai 2015 werden jedenfalls in die Geschichte eingehen. "Das ist spektakulär. Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt", sagt auch der Düsseldorfer Politologe Professor Stefan Marschall. Neuauszählungen seien ohnehin selten. "Es gibt schon mal Anzweiflungen, aber die Neuauszählung führt dann meistens zu einer Bestätigung des Ergebnisses."
Der Wissenschaftler betont: "Dass die Neuauszählung eines Stimmbezirks das Gesamtergebnis einer Kommunalwahl auf den Kopf stellt und zu einer veränderten Mehrheit im Rat führt, das ist wirklich spektakulär." Und sein Kollege Schubert resümiert: "Köln ist immer spannend und eine besondere Beobachtung wert. Köln ist eben ein ganz eigenes Biotop." (dpa)