Brüssel/Essen. . Nach den tragischen Bootsunglücken im Mittelmeer treibt die EU die Pläne für eine umfassende Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik voran. Es geht auch um Militäreinsätze gegen Schleuserbanden.

Es ist ein Papier mit Brisanz. Ausgearbeitet hat es Federica Mogherini, "Außenministerin" der EU. Es geht um ein militärisches Konzept der EU in Sachen Flüchtlingspolitik. In dem internen Dokument schlägt die Italienerin vor, den Kampf gegen die nordafrikanischen Schleuserbanden in vier Phasen zu untergliedern.

Im ersten Schritt würde mit Hilfe von Geheimdiensten und Militärs ein Lagebild erstellt. Auf dieser Grundlage könnten die Schiffe der Schleuser auf hoher See gestoppt und beschlagnahmt werden.

Schritt drei wäre die Zerstörung von Schiffen in libyschen Hoheitsgewässern – oder sogar direkt an der Küste des Landes. Sollte sich die Lage in Libyen stabilisieren, will die EU dann – in Phase vier – die dortigen Sicherheitskräfte beim Wiederaufbau des Grenzschutzsystems unterstützen.

Sollte das Konzept umgesetzt werden, wäre dies eine neue Qualität in der Flüchtlingspolitik der EU.

Hilfe bisher auf Ortung und Rettung beschränkt

Bisher beschränkte sie sich weitgehend darauf, Flüchtlingsschiffe auf dem Mittelmeer zu orten und Flüchtlingen in Seenot zu helfen. Unter dem Eindruck Hunderter Opfer, die bei Unglücken mit nicht seetauglichen Booten ertrunken waren, hatte sich die EU zuletzt zu einer Verstärkung der Hilfsmaßnahmen durchgerungen; so kreuzen seit dem 5. Mai zwei Fregatten der Bundeswehr zwischen Libyen und Italien, um in Not geratenen Flüchtlingen beizustehen.

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Es gab sogar Überlegungen, für potenzielle Flüchtlinge „legale Fluchtwege“ nach Europa zu schaffen.

Davon ist nun nicht mehr die Rede. Mit der Zerstörung von Schiffen der Schleuserbanden würde das Augenmerk stattdessen mehr darauf gelegt, den Zuwanderungsstrom zu unterbinden – nun offensichtlich auch mit militärischen Mitteln. Die Festung Europa belässt die Zugbrücke oben.

Mogherinis Plan stieß denn auch gleich auf Kritik. „Für mich sieht das aus wie Aktionismus“, sagte beispielsweise Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler im WDR. Sie sei „enttäuscht, dass man zwar in den Ansätzen die Probleme erkennt, aber nicht die richtigen Maßnahmen ergreift“. Tatsächlich stehen hinter mehreren Aspekten des Anti-Schleuser-Plans Fragezeichen.

UN-Mandat ist fraglich

Für die Militäraktion an der libyschen Küste will die EU ein Mandat der Vereinten Nationen. Es gilt aber als fraglich, ob dies zustande kommt. Von den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat könnte vor allem Russland querschießen – der Ukraine-Konflikt belastet das Verhältnis Moskaus zum Westen insgesamt. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ist skeptisch: „Ich glaube nicht, dass wir ein internationales Mandat bekommen werden, um Schiffe zu bombardieren und sie zu versenken.“

Auch Punkt vier des Plans – der Wiederaufbau eines Grenzschutzsystems in Libyen – ist ein höchst ambitioniertes Unterfangen. In dem Land herrschen Anarchie und politisches Chaos. Seit der Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, ist die staatliche Ordnung dort faktisch zusammengebrochen. Zwei Regierungen und Dutzende rivalisierende islamistische Milizen ringen verbissen um Macht und Einfluss. Wie da der Aufbau eines funktionierenden Grenzschutzsystems gelingen soll, kann derzeit auch in Brüssel niemand überzeugend darlegen.

An anderer Stelle gibt es ebenfalls Ärger: Die Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsstaaten ist ungeklärt. Das geplante Quotensystem jedenfalls droht im Ansatz zu scheitern. Die britische Regierung ließ schon wissen, dass sie nicht mitmacht. „Wir können nicht etwas tun, das noch mehr Menschen dazu ermuntert, sich auf diese lebensgefährlichen Reisen zu begeben“, beschied Londons Innenministerin Theresa May. Auch Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Polen und die baltischen Staaten lehnen den Plan ab.

Fazit: Die Flüchtlingspolitik der EU ist zum Scheitern verurteilt, weil sie stur auf Abschreckung setzt. Das reicht nicht angesichts der Verzweiflung der Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und Armut fliehen.