Berlin. . Weil der Staat viel mehr Geld eingenommen hat, will Finanzminister Schäuble die Menschen entlasten und mildert daher die „kalte Progression“ ab.

Lange hat Wolfgang Schäuble die Forderungen nach einer kleinen Steuerentlastung für Arbeitnehmer als Scheindebatte vom Tisch gewischt: Es gehe doch nur um ein paar Tassen Kaffee für den einzelnen, meinte der Finanzminister noch Anfang des Jahres.

Doch angesichts neuer Milliarden-Mehreinnahmen für den Fiskus gönnen der CDU-Politiker und die Spitzen der Koalition jetzt auch den Steuerzahlern etwas mehr im Portemonnaie: Anfang 2016 soll die „kalte Progression“ – die heimliche Steuererhöhung nach Lohnerhöhungen – abgemildert und danach alle zwei Jahre korrigiert werden, wie Schäuble bei der Bekanntgabe einer neuen Steuerschätzung überraschend verkündete.

„Es geht ums Prinzip“

Die kleine Reform wird Bund, Länder und Kommunen jährlich zunächst nur rund 1,5 Milliarden Euro kosten, Durchschnittsverdiener werden wohl einen Betrag von weniger als zehn Euro im Monat sparen – aber über die Jahre wird der Effekt spürbar größer. „Es ist für den einzelnen keine große Entlastung, aber es geht um das Prinzip“, erklärte Schäuble.

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Und der Zeitpunkt sei günstig, denn der Reformeinstieg sei leicht bezahlbar. Schließlich sagt die von Schäuble vorgelegte Steuerschätzung Bund, Ländern und Kommunen in diesem Jahr rund 6 Milliarden Euro bisher nicht erwartete Mehreinnahmen voraus, von 2016 bis 2019 sogar jährlich rund 8 Milliarden Euro zusätzlich.

Schäubles Ankündigung, die mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) abgestimmt war, traf durchweg auf positive Resonanz, auch in der Opposition. Gabriel erklärte, der Aufschwung komme so auch bei den Arbeitnehmern an.

Der Bund der Steuerzahler zeigte sich ebenfalls zufrieden: „Unser beharrliches Drängen hat sich gelohnt, das ist ein guter Tag für den Steuerzahler“, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. Auch wenn die Entlastung zunächst gering erscheine, handele es sich um eine wichtige Entscheidung, weil künftige heimliche Steuererhöhungen vermieden würden.

An Inflation anpassen

Denn darum geht es bei der „kalten Progression“: Die Tarife bei der Einkommensteuer sind seit 2010 unverändert. Selbst wenn Löhne nur an die Inflation angepasst werden, unterm Strich also nicht mehr im Geldbeutel bleibt, rutscht der Arbeitnehmer in einen höheren Tarif und zahlt mehr Steuern. Schäubles Reform sieht nun vor, dass der Steuertarif alle zwei Jahre an die Inflation angepasst wird - höhere Steuersätze greifen dann erst bei höheren Einkommen.

Würde man allerdings die „kalte Progression“ rückwirkend ab 2010 abbauen, würden die Steuerzahler jetzt schon um 8 Milliarden Euro entlastet, was für Arbeitnehmer im Durchschnitt mehrere hundert Euro ausmachte. Diese rückwirkende Entlastung fordert nun Holznagel.

Angesichts der erwarteten Mehreinnahmen sei es auch zu wenig, wenn der Fiskus nun 1,5 Milliarden Euro an die Steuerzahler zurückzahle. „Wir brauchen eine wirkliche Steuerentlastung im Zuge einer umfassenden Reform und mit schneller Abschaffung des Solidaritätszuschlags.“ Der Spielraum wäre da, glaubt Holznagel.