London. . Bei der Unterhauswahl spielt die ökonomische Lage in Großbritannien die stärkste Rolle. Dabei trauen die Wähler den Konservativen mehr zu als Labour.

Wenn die Briten heute in der Einsamkeit der Wahlkabine mit sich und ihrem Stimmzettel für die Unterhauswahl ganz alleine sind, stellt sich ihnen eine fundamentale Alternative: Weiter so oder doch vielleicht den Wechsel wagen? Ist man mit der Bilanz der konservativ-liberalen Regierungskoalition zufrieden, oder sollte jetzt Labour die Chance bekommen zu beweisen, wie man das Regierungsschiff besser steuern kann?

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Die Frage klingt einfach, aber sie stellt sich doch für jeden Bürger anders. Und was die Sache komplizierter macht: Es ist strittig, ob die Bilanz der letzten fünf Jahre so positiv ausfällt, wie es die Regierung gerne behauptet. Unklar ist zu dem, welche Rolle die schottische Unabhängigkeitspartei bei ihrer ersten Parlamentswahl spielen wird. Aufgrund des Mehrheitswahlrechtes dürfte sie wichtige Sitze erringen.

Die Wirtschaft wächst, aber für wen?

Sollten die Konservativen weiterhin an der Regierung bleiben, ist ziemlich deutlich, was auf die Briten zukommen wird: eine Fortsetzung des drakonischen Sparkurses. Die Regierung von David Cameron hat gelobt, das Haushaltsdefizit bis zum Ende der Legislaturperiode 2020 zu eliminieren. Das bedeutet weitere Ausgabenkürzungen, außer bei den Rentnern, denen man großzügige Zuwendungen versprochen hat. Um sein Ziel zu erreichen, will Schatzkanzler Osborne umgerechnet 17 Milliarden Euro bei der Sozialhilfe einsparen. Und das, nachdem dort seit 2010n die Axt am unerbittlichsten angelegt worden ist. Die unteren Einkommensgruppen haben die Hauptlast der Einsparungen schultern müssen.

Briten wählen donnerstags

In Großbritannien wird seit 1935 donnerstags gewählt. Warum weiß man nicht genau. Theorie 1: Freitags bekamen die Arbeiter Lohn – und gingen danach lieber in einen Pub als ins Wahllokal. Theorie 2: Donnerstag in vielen Städten Markt, da kamen viele aus der Umgebung ohnehin in die Stadt. Theorie 3: Die neue Regierung will sich übers Wochenende in Ruhe bilden.

Die Wirtschaft wächst, aber hilft es den Leuten? Seit 2010 sind die Löhne kaum angestiegen, gleichzeitig sank der Lebensstandard. Zwar erlebt das Land derzeit mit einer Quote von über 73 Prozent nahezu Vollbeschäftigung, aber viele der rund zwei Millionen neu geschaffenen Arbeitsplätze sind schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor. Viele Arbeiter flüchten sich in eine Scheinselbstständigkeit. Es kommt zum Phänomen der „working poor“, der „arbeitenden Armen“. Der Erzbischof von York klagte: „Heutzutage bietet ja nicht einmal mehr Arbeit einen Ausweg aus der Armut.“

Den Hausbesitzern geht es gut

Andererseits geht es auch vielen gut, zum Beispiel den Hausbesitzern. In den letzten Jahren sind die Preise derart kräftig angestiegen, dass heute das Durchschnittshaus im Jahr um gut 28.000 Pfund zugelegt und somit mehr verdient als sein Besitzer mit einem Durchschnittseinkommen. Jetzt denken die Leute, sie seien wohlhabend, weil ihre Immobilie täglich um Hunderte von Pfund im Wert steigt.

So führt der Immobilienboom dazu, dass viele Briten nicht sparen, sondern konsumieren. Und sich dafür gerne verschulden. Was aber, wenn die Blase platzt? Nachdenklichere Zeitgenossen mahnen an, dass Großbritannien daran gehen sollte, seine Wirtschaft umzubauen: weg von der Abhängigkeit vom Dienstleistungssektor, insbesondere den Finanzdienstleistungen.

Wähler trauen Labour Wirtschaftpolitik nicht zu

Der Wahlkampfstratege des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton hat einmal eine berühmte Antwort auf die Frage gegeben, was am Ende wirklich wahlentscheidend ist: „Es ist die Wirtschaft, Blödmann!“ So einfach stellt sich die Sache für die Briten jedoch nicht dar. Eine klare Mehrheit glaubt, dass die Konservativen die ökonomisch kompetentere Partei ist. Gleichzeitig aber denken 42 Prozent, dass eine deren Wirtschaftspolitik für sie persönlich zu einem geringeren Lebensstandard führen wird.

Das erklärt, warum die guten Wirtschaftsdaten nicht zu einem Popularitätssprung für die Konservativen geführt haben. Was Labour unter ihrem Vorsitzenden Ed Miliband angeht, ist die Sache umgekehrt: Man glaubt der Partei schon, eine sozial gerechtere Wirtschaftspolitik betreiben zu wollen, aber man traut ihr nicht unbedingt die Kompetenz zu, das dafür nötige Wachstum zu schaffen. Wenn die Briten heute in der Einsamkeit der Wahlkabine mit sich und ihrem Stimmzettel ganz alleine sind, stehen sie wahrlich vor einer schwierigen Entscheidung.