London. . Wer wird gewinnen: Labour oder die Konservativen? Wenige Tage vor den Parlamentswahlen in Großbritannien ist der Ausgang ungewisser denn je. Nur eins ist sicher: Es wird knapp.

Wenn am Donnerstag die Wahl­lokale schließen, werden sich die Briten auf eine Situation einstellen müssen, die sie eigentlich gar nicht wollten. Traditionell wünscht man sich auf der Insel einen klaren ­Sieger, eine Partei, die die absolute Mehrheit im Unterhaus hat. Doch das wird es auf keinen Fall geben. Stattdessen sind alle möglichen Kombinationen denkbar – und am wahrscheinlichsten dürfte eine Minderheitsregierung sein.

Die Konservativen von Premier David Cameron, die seit 2010 mit den Liberaldemokraten eine Koalition bilden, waren im Wahlkampf mit einer starken Botschaft angetreten: Wir haben die Wirtschaft wieder auf Vordermann gebracht und die Staatsfinanzen konsolidiert, wir haben einen langfristigen ökonomischen Plan. Lasst uns den Job erledigen, denn nur wir sind kompetent genug.

Eckdaten sprechen für Cameron

Auf dem Papier scheinen sie recht zu haben. Sie waren angetreten, als die öffentlichen Finanzen zerrüttet waren – Großbritannien hatte 2010 ein höheres Haushaltsdefizit als Griechenland. Die Regierung Cameron hat das Defizit auf unter sechs Prozent drücken können und die Wirtschaft angekurbelt. Das Wachstum ist heute das größte unter den G7-Nationen, die Inflation liegt bei Null, die Arbeitslosigkeit ist auf 5,6 Prozent gefallen, die Beschäftigtenrate so hoch wie nie.

Nur: Die Botschaft scheint nicht anzukommen. Die Umfragen bleiben seit Monaten fast unverändert. Ein Drittel der Wähler ist für die Konservativen, ein Drittel will die sozialdemokratische Labour-Partei und das letzte Drittel verteilt sich auf rund ein halbes Dutzend kleinere Parteien.

Der ökonomische Optimismus der konservativen „Torys“ wird vom Bürger nicht geteilt, weil die Lebenswirklichkeit anders aussieht. Viele der den neu geschaffenen Jobs sind Teilzeit-Arbeits­plätze und schlecht bezahlt. Rund eine Million Briten hungern und sind auf Tafeln angewiesen. Immer mehr Menschen, klagte jüngst der Erzbischof von Canterbury Justin Welby, seien in einer „wirtschaft­lichen Abwärtsspirale“ gefangen.

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Der Grund: Die Leute haben ­immer weniger Geld, weil die ­Preise stärker steigen als die ­Löhne. Das Wort von der „Lebenshaltungskostenkrise“, von der Labour spricht, klingt für viele Menschen überzeugender als das „gute Leben“, das Premierminister Cameron den Briten im Fall einer Wiederwahl versprochen hatte.

Zuwanderung birgt Brisanz

Neben dem Wirtschaftsproblem sind vor allem zwei weitere Themen im Wahlkampf prominent: Immigration und der Nationale Gesundheitsdienst NHS. 2010 hatten die Konservativen versprochen, die Einwanderung auf unter 100.000 Zuwanderer im Jahr zu drücken. Das Ziel hat man grandios verfehlt, allein im letzten Jahr lag die Nettoeinwanderung bei fast 300.000. Die rechtspopulistische Ukip schlägt Kapital aus dem ­Thema und jagt den Konservativen – aber auch Labour in manchen Arbeiterbezirken – Stimmen ab.

Der staatliche Gesundheitsdienst ist ein traditionell sozialdemokratisches Thema, schließlich hatte Labour einst den NHS gegründet, der jedermann kostenlos zugänglich ist. Die Konservativen geloben kräftige Finanzspritzen, haben aber mit dem Misstrauen zu kämpfen, dass sie insgeheim eine Privatisierung des NHS planen.

Europa ist im Wahlkampf kein Thema

Europa dagegen spielt in diesem Wahlkampf so gut wie keine Rolle. Das Thema steht erst auf Platz elf der Liste der Angelegenheiten, die die Wähler beschäftigen. Keine der großen Parteien will deshalb über Europa reden, wenn auch die ­Konservativen ein Referendum über den Verbleib in der EU ­versprechen. Nur Ukip wirbt für den sofortigen Austritt.

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Und nicht zuletzt geht es um die führenden Köpfe. Premier David Cameron hat angekündigt, dass er nur noch für eine Amtszeit zur Verfügung steht. Der 48-Jährige tut sich schwer, den richtigen Weg ­zwischen den Hardlinern in seiner eigenen Partei, dem liberalen ­Koalitionspartner und übergeordneten Interessen zu finden. Auch in Sachen Europa macht er einen ­unentschlossenen Eindruck. Zudem gilt Cameron als jemand, der regelmäßig ins Fettnäpfchen tritt.

Sein Herausforderer, der 45-jährige Labour-Mann Ed Miliband, galt lange als Kandidat, den keiner will. Die Briten hielten ihn für ungeeignet: schlecht am Rednerpult, unbeliebt bei den Wählern. Inzwischen ist das anders. Miliband, der politisch lange im Schatten seines Bruders David stand, hat sich ­Respekt verschafft und wird inzwischen ernst genommen. Ob das für den Machtwechsel reicht, muss sich am Donnerstag zeigen.