Düsseldorf. Nur knapp jeder zweite Wahlberechtigte hatte bei der Kommunalwahl 2004 im Durchschnitt die Stimme abgegeben. Kommunalwahl-Minusrekord in NRW. Am Sonntag soll der Abwärtstrend brechen – hofft man zumindest dort, wo vor fünf Jahren besonders wenige Wähler gezählt wurden.
Es geht um die Politik vor der Haustür – aber das Interesse der Wähler an Kommunalwahlen ist gering. Doch so gering wie vor fünf Jahren, war es noch nie in NRW. Knapp jeder zweite Wähler blieb bei den Rats- und Kreistags-Wahlen am 26. September vor fünf Jahren zuhause. Vor allem in den Großstädten lag die Quote teilweise noch unter der 50-Prozent-Marke.
'Wahlmuffel-Metropole' Mönchengladbach
Schlusslicht war damals Mönchengladbach mit 45,2 Prozent – „eine ganz traurige Situation“, sagt OB Norbert Bude. Er will den Negativtrend am 30. August brechen, „weil Mönchengladbach seit drei Jahrzehnten bei jeder Wahl, ob in Bund, Land oder Kommunen, stets unter dem Landesdurchschnitt liegt“. Der SPD-Mann, der 2004 überraschend die Stichwahl gegen den Kandidaten der ansonsten seit Jahrzehnten dominierenden CDU gewann, hat sich zum Ziel gesetzt: „Wir müssen wieder ein Bewusstsein schaffen, dass Wählen wichtig ist.“
Unter dem Motto „Miete den OB“ hat der 49-Jährige in den vergangenen zwei Jahren 22 weiterführende Schulen besucht, um dort mit Schülern ins Gespräch zu kommen. „Die persönliche Ansprache ist wichtig“, hat Bude schnell gemerkt: „Von sich aus geht kaum ein Jugendlicher mehr in eine Wahlveranstaltung.“
"Ich möchte Sie motivieren..."
Die Erstwähler hat auch Essens OB Wolfgang Reiniger entdeckt; Die 49.5 Prozent Wahlbeteiligung wurden 2004 in den Ruhr-Großstädten nur noch von Gelsenkirchen (48,5 Prozent) und Duisburg (48 Prozent) unterboten. Per Brief hatte Reiniger, der am Sonntag nicht mehr zur Wahl antritt, vor ein paar Wochen 10.100 Essener Jugendliche angeschrieben - ganz höflich per 'Sie': „Ich möchte Sie motivieren, zur Wahl zu gehen. Mit Ihrer Stimme nehmen Sie aktiv am politischen Leben in Essen teil.“
Die wenigsten und die meisten Wähler
Die Kommunalwahl 2004 sorgte für einen Minus-Rekord in Sachen Wahlbeteiligung in NRW.
In 13 der 396 Kommunen in NRW gingen weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. Die wenigsten abgegebenen Stimmen gab es in nach Mönchengladbach (45,2 Prozent) zum Beispiel in Remscheid, Hagen (je 47,8 Prozent), Duisburg (48 Prozent), Solingen (48,1 Prozent) und Köln (48,2 Prozent). Die treuesten Wähler gab in ländlichen Regionen. In ebenfalls 13 Kommunen lag die Wahlbeteiligung bei über 70 Prozent -in keinem der Orte gab es mehr als 16.000 Wahlberechtigte. Den meisten Andrang in den Wahllokalen gab es bei der Kommunalwahl 1994. Damals lag die Wahlbeteiligung in NRW bei 81,7 Prozent. Der Grund: Am gleichen Tag wurde auch über den Bundestag abgestimmt. Auch dort ging aber das Wählerinteresse in den vergangenen Jahren zurück: 2002 gaben 80,3 der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2005 waren es 78,3 Prozent. (dae)
Aktivitäten tun Not – das geht auch aus einem Konzept hervor, das die Hochschule Niederrhein für die Stadt Mönchengladbach erarbeitet hat. Die Vorschläge reichen von einem „permanenten Bürgerbrief“, einem Internet-Portal „für den direkten Dialog zwischen Bürgern und Politik" bis zu einem Quiz-Konzept für das Lokal-TV, „das Bürger spielerisch für lokalpolitische Themen interessiert“, erklärt Marketing-Professor Ingo Bieberstein.
"Zuhause fühlen, heißt auch wählen gehen"
Die Menschen wieder für die Wahl zu interessieren „ist ein langfristiger Prozess“, sagt Bieberstein. Plakate und Broschüren mit der Botschaft „geht zur Wahl“ brächten dabei wenig: „Die persönliche Ansprache der Menschen ist wichtig“ – und zwar parteiübergreifend. Um das voranzutreiben, setzt OB Bude auch auf Ehrenamtler: Ende Juli wurde der Verein „Aktiv für Mönchengladbach“ gegründet in dem „örtliche Prominente“ einen Bewusstseinswandel in Sachen Wahlen in Mönchengladbach schaffen sollen. Ob das hilft? Norbert Bude ist optimistisch: „Bei der Europawahl im Mai war Mönchengladbach erstmals nicht mehr Schlusslicht“. Die Wahl mit ihren 41,7 Prozent Wahlbeteiligung in NRW allerdings schon.
Ganz anders ist die Situation in Hopsten am Nordrand NRWs, kurz vor Osnabrück. Die 7600-Einwohner-Gemeinde war 2004 Spitzenreiter bei der Kommunalwahl. 76,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben damals ihre Stimme ab. Typisch für ländliche Regionen wie Niederrhein, Münster- oder Sauerland, wo flächendeckend auch 2004 deutlich über 60 Prozent Wahlbeteiligung erreicht wurden, was Lars Holtkamp, Politikforscher von der Fernuni Hagen, mit Faktoren erklärt wie der „sozialen Kontrolle“ oder dem Heimatbezug („zuhause fühlen, heißt auch wählen gehen“).
Mit 931 Wählerstimmen in den Duisburger Stadtrat
Hopstens Bürgermeister Winfried Pohlmann, SPD-Mann in einer CDU-Region und seit 1999 im Amt, macht die Gründe aber auch an seiner Person fest: „Die Bürger waren zufrieden mit meiner Arbeit und sie wussten, wenn ich im Amt bleiben soll, dann zählt jede Stimme.“ Das gelte auch wieder am kommenden Sonntag, wo der gelernte Elektriker und langjährige Busfahrer erneut kandidiert. „Ich rechne wieder mit einer hohen Beteiligung“, sagt Pohlmann.
Für Lars Holtkamp ist eine niedrige Wahlbeteiligung zwar “ein Problem für die demokratische Struktur, aber es ist kein Problem der Politiker“. Gerade kleineren Parteien und Vereinigungen „passt ein geringes Wählerinteresse ins strategische Kalkül: Sie kommen leichter ins Stadtparlament, weil sie weniger Stimmen brauchen.“ In Duisburg etwa reichten einem der Einzelkandidaten 2004 gerade mal 931 Wählerstimmen für ein Ratsmandat. Bei den großen Parteien wiederum können noch weit weniger Stimmen über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Briefwahl-Antrag online - das kommt an
„Es geht um jede Stimme“, glaubt auch Heinz-Günter Pruin, Ratskandidat in Gelsenkirchen. 48,5 Prozent der Wähler hatten dort 2004 noch den Weg zur den Wahlurnen gefunden. Wahlkämpfer Pruin merkt, „es wird immer schwieriger, überhaupt in die Situation zu kommen, mit dem Menschen etwas differenziertere Gespräche zu führen“. Der 59-jährige kämpft für die SPD im Stadtteil Buer-Süd um den Einzug ins Rathaus. 2004 ging der mit nur 17 Stimmen gegen die CDU verloren. Umso wichtiger für ihn, die Leute zu erreichen. Dabei beobachtet Pruin mittlerweile „selbst im Freundes- und Bekanntenkreis“, dass er andere auffordern muss, überhaupt wählen zu gehen – „selbst Leute, die wissen wie die Gesellschaft funktioniert.“
Mitunter kann auch Technik die Wahlfreunde beflügeln – hofft man jedenfalls in Duisburg, wo es CDU-OB Adolf Sauerland 2004 gelungen war, die Jahrzehnte lange SPD-Herrschaft an der Rathausspitze zu durchbrechen. Was damals freilich mehr als jeden zweiten Wähler kalt ließ. Eine besondere Ansprache der Erstwähler? „Haben wir nicht gemacht“, sagt Wahlamtsleiter German Bensch. Dafür wirbt OB Sauerland für die Briefwahl (eines seiner Wahlplakate zeigt ihn an einem Briefkasten), die sich in Duisburg erstmals auch online beantragen lässt. Dass deshalb diesmal mehr Duisburger bei der Kommunalwahl mitmischen, warnt Bensch, „ist noch nicht abzusehen“. Aber: eine Woche vor der Wahl zählte man im Wahlamt bereits 33.100 Anträge – „gut 10.000 mehr bei der Wahl vor fünf Jahren“.