Essen. . Ferdinand Piëchs Rücktritt als Aufsichtsratschef des Unternehmens ist das Resultat einer dramatischen Fehleinschätzung – auch seiner eigenen Macht
Wenn Ferdinand Piëch wissen wollte, wie es in einem seiner Werke wirklich aussah, ging er nicht den offiziellen Weg. Er ließ sich nicht förmlich empfangen, er vermied den Haupteingang. Piëch ging durch eine Nebentür, ließ sich die Umkleidekabinen zeigen, die Pausenräume, die Duschen der Arbeiter. Wenn die in Ordnung waren, war in der Regel auch das Werk in Ordnung.
So erzählte er es in kleiner Runde – und niemand hatte einen Zweifel daran. Denn Piëch ist ein Perfektionist, eigensinnig, pedantisch, von Technik besessen. Wenn er über Autos, Lastwagen oder Motorräder, über Motoren oder Karosserien redet, ist der Enkel des legendären Ferdinand Porsche in seinem Element. Das ist sein Leben, da sind dann auch Emotionen erlaubt.
Kein Raum für Gefühle
Doch wenn es um den VW-Konzern geht, wenn die zentralen Fragen nach den Antworten für die Zukunft gestellt werden, hat das für ihn nichts mit Gefühlen zu tun. Dann ist da auch kein Millimeter Raum für persönliche Rücksichtnahmen. Dann agiert er kühl, rational, scharfsinnig, strategisch, berechnend. Der frühere, von Piëch selbst von BMW geholte VW-Chef Bernd Pischetsrieder hat das ebenso erlebt wie der einst so mächtige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der im Machtkampf mit Piëch um VW gnadenlos bekämpft und schließlich besiegt wurde.
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Alles spricht dafür, dass dieses Schicksal jetzt den 78-jährigen Piëch selbst ereilte. Er hat sich offenbar verrechnet, sich überschätzt und ungeahnte Fehler gemacht. Er hatte zu wenig Geduld. Und er hat, anders als sonst, seine Truppen nicht versammelt, bevor er vor zwei Wochen den Satz sagte, der Europas größten Autokonzern mit weltweit 600 000 Mitarbeitern erschütterte: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“
Die Motive sind bis heute nicht wirklich klar. Als unumstritten gilt: Das US-Geschäft läuft nicht wie gewünscht, im Kleinwagen-Segment fehlt eine klare Strategie, die Rendite der Marke Volkswagen passt nicht. So kann man es sehen, wenn man Vorstandschef Martin Winterkorn kritisch beäugt.
Winterkorn sollte nicht Piëchs Nachfolger als Aufsichtsratschef werden
Aber reicht das für einen derartigen Affront? Hätte man da nicht gemeinsam an den entsprechenden Rädern drehen können? Zumal Winterkorn seit Jahrzehnten ein Gefolgsmann Piëchs ist, der zudem das Vertrauen der anderen Anteilseigner genießt – und der auch bemerkenswerte Erfolge verzeichnet. Winterkorn ist auf dem Weg, Toyota einzuholen und VW zum größten Autokonzern der Welt zu machen. Damit würde sich Piëchs Lebenstraum erfüllen.
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Offenbar wollte und will Piëch auf jeden Fall verhindern, dass Martin Winterkorn sein Nachfolger als Aufsichtsratschef wird. Und möglicherweise war es wirklich das Ziel, seine Frau Ursula an die Spitze des Gremiums zu bringen. War er deshalb nicht so berechnend, nicht so kühl wie sonst? Hat er sich, dieses eine Mal, in strategischen Fragen auch von Emotionen leiten lassen?
Die Ära Piëch findet ein ungeahntes Ende
Die lässt Piëch durchaus zu – etwa, wenn es um seine Frau oder um seine Kinder geht. Im strömenden Regen steht er schon mal am Auto und hält ihr den Schirm, im Gegenzug achtet sie beim Spargelessen darauf, dass seine Sauce Hollandaise nicht zu fettig ist. Piëch lächelt verschmitzt, wenn er über einen seiner Söhne erzählt, der ebenfalls ein Bastler und Technikbegeisterter sei. Der schon früh seine Spielzeugautos auseinandernahm und eins davon heimlich im Müll entsorgte. Denn niemand sollte wissen, dass es ihm nicht gelungen war, das Auto wieder zusammenzubauen.
In dieser Geschichte dürfte Ferdinand Piëch auch sich selbst sehen. Als kleiner Junge am Beginn einer großen Karriere – einer Ära, die jetzt ein ungeahntes Ende fand.