Rom/Brüssel. Berichten eines Überlebenden zufolge sind beim erneuten Flüchtlingsdrama im Mittelmeer mehr Menschen umgekommen als zunächst befürchtet.
Nach einem der schlimmsten Flüchtlingsdramen im Mittelmeer befürchten die italienischen Behörden Hunderte Tote. Ein voll besetztes Fischerboot kenterte in der Nacht zum Sonntag vor der libyschen Küste, wie die Küstenwache mitteilte. Nach Angaben eines Überlebenden sollen 950 Menschen an Bord gewesen sein. Bis zum Abend konnten 28 Überlebende gerettet und 24 Leichen geborgen werden. Offizielle Angaben zur Zahl der Vermissten gab es jedoch nicht. Das zweite schwere Unglück im Mittelmeer innerhalb von nur einer Woche löste heftige Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik aus.
Flüchtlinge im Laderaum eingesperrt
"Wir waren 950 Menschen an Bord, auch 40 bis 50 Kinder und etwa 200 Frauen", sagte ein aus Bangladesch stammender Überlebender laut Nachrichtenagentur Ansa der Staatsanwaltschaft Catania. Viele Menschen seien im Laderaum eingeschlossen gewesen. "Die Schmuggler haben die Türen geschlossen und verhindert, dass sie herauskommen", erzählte der Mann, der in ein Krankenhaus gebracht worden war.
Die EU-Außenminister wollen am Montag bei ihrem Treffen in Luxemburg über Konsequenzen beraten. "Solch grausame Verbrechen erfordern eine europäische Antwort", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin. Italiens Regierungschef Matteo Renzi will sich für einen EU-Sondergipfel zum Thema in den kommenden Tagen einsetzen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande forderte mehr Überwachungsboote im Rahmen der EU-Grenzschutzmission "Triton".
Retter suchen nach Überlebenden
Das Unglück hatte sich kurz vor Mitternacht etwa 70 Seemeilen (130 Kilometer) vor der libyschen Küste ereignet. Vermutlich brachten die Flüchtlinge das völlig überladene Boot selbst zum Kentern. Sie hatten einen Notruf abgesetzt, woraufhin der portugiesische Frachter "King Jacob" zur Hilfe eilte. Als dieser sich näherte, stürmten die Migranten alle auf eine Seite des Bootes, das dann umkippte. Die Passagiere stammten laut Überlebenden aus Algerien, Ägypten, Somalia, Nigeria, dem Senegal, Mali, Sambia, Bangladesch und Ghana.
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Die herbeigerufenen Retter suchten den gesamten Tag über mit etwa 20 Booten und Hubschraubern nach Überlebenden, jedoch ohne Erfolg. "Da sind nur Kraftstoff und Trümmer, wir finden nichts mehr", sagte einer der Retter der Ansa. Das Wasser ist mit 16 bis 17 Grad zwar relativ warm, viele der Migranten konnten jedoch vermutlich nicht schwimmen. Die Küstenwache warnte, möglicherweise werde es keine Gewissheit über die Zahl der Toten geben, da das Meer an der Stelle sehr tief sei.
Mehr als 1000 Tote in zehn Tagen
Laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) könnte es sich um das schlimmste Drama der jüngsten Vergangenheit in der Region handeln. "Sollte sich die Bilanz dieser Tragödie bestätigen, sind in den vergangenen zehn Tagen mehr als 1000 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen", sagte Sprecherin Carlotta Sami. Anfang der Woche waren nach Berichten von Überlebenden 400 Menschen bei einem anderen Unglück umgekommen. Seit Anfang des Jahres wären es damit nach UNHCR-Schätzungen mehr als 1600 tote Flüchtlinge. Etwa 24 000 Menschen wurden seitdem gerettet.
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De Maizière bezeichnete die Bekämpfung der Schlepperbanden als zentralen Punkt. "Wir dürfen und werden es nicht dulden, dass diese Verbrecher aus bloßer Profitgier massenhaft Menschenleben opfern", erklärte er in Berlin. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", entscheidend sei die Situation in Libyen: "Nur stabile Verhältnisse dort werden auch verhindern, dass Libyen weiterhin von den Schleppern und Schlepperorganisationen benutzt wird." Die EU-Kommission betonte, es sei wichtig, mit den Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten.
Kritik an EU-Flüchtlingspolitik wächst
In ganz Europa nahm die Kritik an der Flüchtlingspolitik der EU zu. Politiker und Hilfsorganisationen forderten einen Kurswechsel oder eine Fortsetzung des ausgelaufenen Rettungsprogramms "Mare Nostrum". Papst Franziskus appellierte, "mit Entschlossenheit und Schnelligkeit" zu handeln, um ähnliche Tragödien zu verhindern. Die Flüchtlingsinitiative "Watch The Med" erklärte: "Das Sterben muss ein Ende haben. Wir fordern sichere und legale Wege, um Zufluchtsorte zu erreichen, ohne sich in tödliche Gefahren begeben zu müssen." (dpa)