Essen. Europa hat die Flüchtlingsproblematik bisher verdrängt. Bei “Günther Jauch“ wurde ein guter Anfang gemacht - mit einem emotionalen Höhepunkt.

Das jüngste Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer hat die europäische Politik aufgeschreckt - und hektischen Aktionismus ausgelöst. Italiens Premier Renzi fordert einen sofortigen Sondergipfel der EU-Staaten, Frankreichs Präsident Hollande mahnt den verstärkten Einsatz von Überwachungsbooten vor der nordafrikanische Küste an, die EU-Kommission will mit den Regierungen der Herkunftsländer verhandeln, der deutsche Innenminister de Maizière hat die Schlepperbanden als zentrales Problem ausgemacht. Und die prominente italienische Parlamentsabgeordnete Daniela Santanchè von der Berlusconi-Partei Forza Italia fordert, die in Afrika vor Anker liegenden Flüchtlingsschiffe versenken zu lassen, um sie am Auslaufen zu hindern: "Besser ein kriegerischer Akt, als den Krieg zu verlieren."

Günther Jauch wollte wissen: "Was ist unsere Pflicht?"

An Vorschlägen mangelt es also nicht - aber an einem abgestimmten Konzept. Europa begegnet der Flüchtlingsbewegung von jenseits des Mittelmeers mit einer Mischung aus Abschottung und Nothilfe - beides geschieht eher halbherzig. "Was ist unsere Pflicht?", fragte Günther Jauch in der ARD seine Talkgäste angesichts der Lage im Mittelmeer, das für immer mehr Bootsflüchtlinge zur "Todesfalle" werde.

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Für Roger Köppel ist die Sache klar: Deutschland und Europa könnten "nicht Hunderttausende Flüchtlinge aus ganz anderen Kulturkreisen integrieren", so der Schweizer Verleger und Hardliner in Sachen Zuwanderung. Wer berechtigterweise Asyl beantrage, dürfe kommen, wer allein ein besseres Leben suche, nicht. Die "reine Wirtschafts-Migration" müsse gestoppt werden, so Köppel. Wer das anders sehe, der schaffe nur "neue Anreize für die Todesschiffe". Sein Rezept: "Den Todeskanal Mittelmeer endlich schließen."

Begeht Europa ein Verbrechen an seiner Grenze?

Die komplette Gegenposition zum knallharten "Realpolitiker" Köppel vertrat in der Runde nicht weniger wortgewaltig der Journalist Heribert Prantl von der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. "Europa tötet durch unterlassene Hilfeleistung", lautet die provokante These Prantls. Dass die Hilfsaktion Mare Nostrum im Mittelmeer gestoppt wurde, sei "ein Verbrechen". Europa müsse sich entscheiden: Sich einmauern oder seinen Reichtum teilen. Für Prantl keine Frage: "Wir könnten sehr viel mehr Menschen aufnehmen."

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Köppel hält solche Bekenntnisse schlicht für "moralische Emphase", sie stellten eine Haltung von Politikern und Journalisten da, die sich damit "profilieren" wollten. Angesichts dieses verbalen Frontal-Duells wunderte sich Gastgeber Jauch irgendwann über "die Schärfe in der Diskussion". Eidgenosse Köppel seinerseits wunderte sich süffisant, "dass Sie einen Schweizer einladen mussten, um diese Position zu vertreten". Aus dem Publikum gab es allerdings reichlich Applaus für Köppels Haltung.

Die Frau aus Damaskus wusste, dass sie sterben könnte

Fast schon gnadenlose Realpolitik gegen Hochmoral - das sind die beiden Extrempositionen, die sich in der Flüchtlingspolitik scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Noch ist nicht entschieden, in welche Richtung es gehen wird in Deutschland. Ein Land, in dem zuletzt immer öfter Unterkünftte für Flüchtlinge angezündet oder mit fremdenfeindlichen Parolen beschmiert werden.

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Angesichts so unversöhnlicher Position war dann bei Jauch die Seite der Betroffenen gefragt - so wie Maya Alkhechen. Geboren 1983 in Damaskus, floh die Syrerin mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Deutschland. 5000 Dollar zahlte die Familie für vier Plätze in einem untauglichen Boot.

"Sechs Nächte und sieben Tage" so Alkhechen, harrten über 300 Flüchtlinge auf dem Kahn aus, bis der Motor ausfiel. Ein Schiff der italienischen Marine schleppte das Boot schließlich nach Sizilien. "Ich hatte keine andere Wahl, als dieses Boot", erzählte die Frau. "Ich wusste, dass sich dabei sterben könnte." Aber der Weg über das Mittelmeer sei "mein einziger Hoffnungsschimmer gewesen". Und so wie ihr gehe es vielen, jenseits des Mittelmeers.

Retter Harald Höppner fordert das Naheliegende - ein Totengedenken

Flüchtlinge müssen sich bei der Überquerung des Mittelmeers meist zu Dutzenden auf enge Boote quetschen.
Flüchtlinge müssen sich bei der Überquerung des Mittelmeers meist zu Dutzenden auf enge Boote quetschen. © dpa/Archiv

Als sich Jauchs Talk schon dem Ende zuneigte, betrat Harald Höppner die Bühne. Der Mann aus Brandenburg hat eine private Rettungsaktion ins Leben gerufen und will mit einem aufgemöbelten Fischerboot in Seenot geratene Flüchtlinge im Mittelmeer retten. Idealist Höppner war von der Diskussion um Asylrecht, Wirtschaftsmigration oder europäische Zuständigkeiten ganz offensichtlich ziemlich genervt. Hunderte Flüchtlinge seien umgekommen in den letzten Tagen, mahnte er. "Stehen Sie bitte auf, um dieser Menschen zu gedenken", forderte Höppner Diskutanten und Publikum auf. "Eine Minute. Jetzt! Bitte."

Der verdutzte Gastgeber murmelte noch etwas wie, man müsse ja "nicht auf die Uhr gucken". Dann standen alle schweigend und betroffen im Scheinwerferlicht. Es war der emotionale Höhepunkt einer sehenswerten Talkrunde. Weil Klartext geredet wurde und nicht verdrängt. Und weil die Opfer nicht vergessen wurden. Dank Harald Höppner.