Essen/Magdeburg. . Die kleine Gemeinde Tröglitz ist zum Synonym für rechte Gewalt geworden. In den neuen Ländern ist Ausländerfeindlichkeit besonders weit verbreitet.
Tröglitz, die kleine Gemeinde im Burgenlandkreis, ist zum Synonym für rechte Gewalt geworden. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister wirft nach Anfeindungen das Handtuch, ein Landrat wird mit dem Tode bedroht, ein Flüchtlingsheim brennt. Deutschland schaut entsetzt und irritiert auf den Ort. Sachsen- Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff beeilt sich mit der Feststellung: „Tröglitz ist überall.“ Aber so einfach ist das nicht. Denn in den neuen Ländern und gerade im Burgenlandkreis ist Ausländerfeindlichkeit besonders weit verbreitet.
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„Es gibt in Sachsen-Anhalt keine sicheren Orte für Menschen, die von Neonazis und Rassisten aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder politischen Überzeugung als minderwertig oder als politische Gegner angesehen werden.” Mit diesem Satz leitet die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt in Halle ihre aktuelle Jahresbilanz ein. Alle drei Tage – statistisch gesehen – werden Menschen in diesem Bundesland von Neonazis beleidigt, bedroht, gequält. Und das sind nur die Taten, die bekannt werden.
Torsten Hahnel, Rechtsextremismus-Experte des Vereins „Miteinander“ in Halle, meint, dieser Ungeist spuke überall. Neonazi-Hotspots gebe es ja auch in Aachen oder Dortmund. Aber Hahnel erkennt gravierende Unterschiede zwischen Ost und West: „Der Alltagsrassismus bricht sich in Teilen Ostdeutschlands öffentlich Bahn. Insbesondere im Burgenlandkreis zeigt die NPD fast flächendeckend Präsenz. Das mag an der Nähe zu Thüringen und Sachsen liegen, aber das ist es nicht allein.“
Die Situation in diesem Landkreis sei von „Ignoranz“ geprägt. „Schon seit Januar, als das Asylbewerberheim in Tröglitz erst angekündigt wurde, gab es Demonstrationen dagegen“, erklärt Hahnel. „Landrat Götz Ulrich, der nun mit dem Tode bedroht wird, nimmt das Problem Rechtsextremismus sehr ernst. Sein Vorgänger hatte dieses Thema hingegen völlig ignoriert.“
Forscher: Bis zu 40 Prozent der Bürger stehen rechtem Gedankengut nahe
Im Osten, sagt Hahnel, gebe es die Tendenz, dass Menschen sich raushalten und nicht für Bedrohte einstehen – das sei nicht zuletzt ein Ergebnis der DDR-Geschichte. „Das Gefühl, selbst Verantwortung übernehmen zu müssen, ist im Osten schwächer ausgeprägt. Im Westen gab es die 68-er Bewegung, im Osten nicht.“ Je nach Region liegt nach Einschätzung von Hahnel das rechtsextreme Potenzial zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung.
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Manche Forscher sprechen sogar von mehr als 40 Prozent. Neonazi-Hochburgen gibt es in Sachsen-Anhalt nicht nur im Burgenland, sondern auch in Magdeburg und Halle. Die Zahl rechter Straftaten bleibt im Osten konstant auf hohem Niveau. Auf die Einwohnerzahl bezogen liegt sie dreimal höher als in NRW.
Hahnel spricht von schwerwiegenden Versäumnissen in der Vergangenheit: „ In den 1990-er Jahren wurde vieles versäumt. Damals entstand diese heute selbstbewusste Neonazi-Szene in Ost und West. Inzwischen ist auf Ministerebene erkannt worden, dass es in Deutschland ein Rechtsextremismusproblem gibt. Die Politik reagiert auf die Verharmlosungs-Tendenzen, die weit verbreitet sind. Aber je niedriger die politische Ebene – in Kreisen und Kommunen –, desto geringer ist der Widerstand gegen Rechts. Zu oft halten sich die Menschen vor Ort raus oder stimmen den Rechten sogar zu. Die Kommunalpolitik ist hier ind er Pfllicht, die Polizei und die Justiz.“
Wo wenige Migranten leben, ist der Rassismus besonders verbreitet
Claudia Luzar gründete 2011 die Beratungsstelle „Back up“ für Opfer rechter Gewalt in NRW und beobachtete lange die rechte Szene in Brandenburg. Auch sie nennt das Neonazi-Problem im Osten eine „Altlast“ der DDR. Rechte hätten auffällig großen Rückhalt in der Bevölkerung. Woran das liegt? „Ein Grund ist, dass die Menschen im Westen Erfahrung mit Zuwanderung haben. Rassismus ist ausgerechnet dort am stärksten, wo es die wenigsten Migranten gibt“, so Luzar. Auch in diesen Monaten ziehen verhältnismäßig wenige Flüchtlinge in die neuen Länder.
Im Westen sei die Haltung weit verbreitet, mit Rechtsextremen keinen Pakt zu schließen. Luzar: „Wenn sich in einer Bürgerversammlung in Hamm 600 Menschen über ein Flüchtlingsheim informieren, dann sind zwar auch Rechtsextreme im Publikum, aber die anderen distanzieren sich von ihnen. In Dortmund demonstrieren Neonazis fast jede Woche, aber nur Einzelne schließen sich ihnen an.“
Luzar, Hahnel sowie der Düsseldorfer Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler prangern die Versäumnisse der Politik in den 90-er Jahren an. Lange sei aufkeimende rechte Gewalt verharmlost worden, nicht nur im Osten, sondern auch in Dortmund, Hamm oder Aachen. Häuslers Rat an Politik und Medien: „Zeigt nicht nur die fiesen Seiten von Ostdeutschland, sondern auch jene Bürger, die sich dort gegen Rechts engagieren. Sie müssen jetzt spüren, dass man ihre Arbeit wertschätzt.“