Berlin. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen setzt die deutsche Rüstungsindustrie unter Druck. Im Interview spricht sie über Qualität und Ansprüche.

Harte Zeiten für deutsche Waffenhersteller. Sie sollen Top-Qualität liefern. Andernfalls geht die Bundeswehr global einkaufen. Ein Patriotenbonus könne man sich nicht leisten. „Das hieße ja, mehr zahlen für schlechtere Qualität“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Interview mit unserer Zeitung.

Frau von der Leyen, wie peinlich ist das Gewehr G36, das bei hohen Temperaturen nicht präzise genug schießt?

Das Gewehr hat offenbar zwei Probleme. Bei Dauerfeuer erwärmt es sich so, dass die Präzision im Vergleich zu anderen Modellen deutlich sinkt, bei hohen Außentemperaturen auch. Das nehme ich zur Kenntnis. Wir prüfen jetzt, ob und inwieweit wir das Gewehr ersetzen müssen.

Der Hersteller fühlt sich übergangen. Trifft der Vorwurf zu?

Es stand der Vorwurf im Raum, dass Kritik aus der Truppe am Gewehr nicht ernsthaft verfolgt würde. Deswegen haben wir im vergangenen Jahr bewusst auf eine breite Untersuchung mit neutralem Sachverstand wie dem Fraunhofer-Institut und dem Bundesrechnungshof gesetzt.

Wissen die Peschmerga, dass sie eine Waffe bekommen haben, die nicht immer treffsicher ist?

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Die Peschmerga haben von uns neben Maschinengewehren, Pistolen und panzerbrechenden Milan-Raketen auch 8000 G3 und 8000 G36 bekommen. Ich bitte, das Gewehr jetzt nicht in Bausch und Bogen zu verdammen. Man muss wissen, dass es in Zeiten des kalten Kriegs entwickelt und vor fast 20 Jahren beschafft wurde. An Einsätze in feuchten und heißen Gefilden hat man damals nicht gedacht.

Wie lange wollen Sie Waffen liefern? Bis der IS besiegt ist?

Der Kampf kann noch lange dauern. Wir haben die Peschmerga besser ausgerüstet und bilden sie aus. Sie waren in der Lage, den Vormarsch des IS zu stoppen und Hunderttausende Flüchtlinge zu schützen. Bei solchen Einsätzen gibt kein „immer“ oder „niemals“. Man muss von Schritt zu Schritt besonnen analysieren und entscheiden.

Der Ukraine verweigern wir Waffen. Brandbeschleuniger, heißt es dann. Ist das nicht eine Doppelmoral?

Nein. Es zeigt nur, dass es in der Sicherheitspolitik kein Schema F gibt. Die Peschmerga haben wir ausgerüstet, weil der IS unbegrenzten Nachschub hat und auch nicht verhandelt, sondern einfach tötet. In der Ukraine ist die Lage anders: Die Separatisten haben potenziell unbegrenzt Nachschub an schweren Waffen und Munition über die Grenze. Und es gibt Verhandlungen mit allen, die den Frieden bringen könnten. Waffenlieferungen wären auch ein problematisches Signal, weil sie den Anschein erwecken, dass der Konflikt in der Ukraine militärisch zu lösen sei. Dauerhaften Frieden gibt es aber nur mit einer politischen Lösung.

Sie haben im ersten Amtsjahr viel Ärger mit Beschaffungen gehabt. Haben Sie den Eindruck, dass für den Staat andere Maßstäbe als für private Kunden gelten?

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Vorweg: Wenn die Geräte endlich da sind, sind sie meist sehr gut. Wenn ich mir aber anschaue, mit welcher Verspätung – im Schnitt vier Jahre – und mit welchen Kostensteigerungen zum Teil geliefert wird, und sehe, dass die selben Konzerne im privaten Bereich, etwa als Automobilzulieferer „just in time“ hervorragende Qualität leisten, macht mich das richtig ärgerlich. Ich muss aber sagen, dass der Staat oft schlechte Verträge ausgehandelt hat und auch die Verwaltung im Management der Rüstungsprojekte besser werden muss.

Kann es nicht sein, dass es zum Geschäftsmodell gehört? Stille Subvention durch überhöhte Preise?

Schaut man sich die Historie an, dann war die Rüstungsindustrie lange eng verflochten mit dem Staat. Das hat sich geändert. Die Industrie agiert unabhängig und global. Darauf müssen wir im Verteidigungsministerium mit einem modernen Management reagieren. Als großer Referenzkunde muss die Bundeswehr zeigen, dass sie wie andere Kunden Topqualität einfordert und sich auch die Option offenhält, global einzukaufen.

Schluss mit dem Patriotenbonus?

Den kann sich die Bundeswehr nicht leisten. Das hieße ja, mehr zahlen für schlechtere Qualität. Die Bundeswehr kauft gerne deutsche Produkte, aber sie müssen einem Preis-Leistungs-Vergleich standhalten.

Nun wollen Sie mit Frankreich und Italien eine Drohne entwickeln. Ist sie bewaffnet?

Es geht um eine Aufklärungsdrohne. Sie soll wie „google earth“ in hoher Auflösung Live-Bilder liefern, so dass Soldaten in einem Gelände früher erkennen können, was sich hinter dem nächsten Hügel abspielt, ob zum Beispiel ein Hinterhalt droht. Alle Drohnen der nächsten Generation werden bewaffnungsfähig sein. Die Entscheidung, ob sie bewaffnet und wann sie zum Schutz der Soldaten eingesetzt werden, trifft allein der Bundestag. Ich erkläre Ihnen auch, warum die Entwicklung für Europa technologisch so wichtig ist.

Warum?

Wenn wir diese Fähigkeiten einkaufen müssten, würden andere darüber entscheiden, welche Bilder wir bekommen. Sie würden auch unsere Datensätze mitlesen. Diese Abhängigkeit möchte ich nicht. Das ist auch eine Lehre aus der NSA-Affäre. Wir Europäer fühlten uns auch deswegen so ohnmächtig, weil wir gemerkt haben, dass uns viele technologische Fähigkeiten fehlen.

Sehen Sie ein ethisches Problem darin, wenn jemand nicht mehr im Gefecht involviert ist, sondern am PC über Leben und Tod entscheidet?

Wichtig ist, dass es bei einem deutschen Drohneneinsatz um den Schutz unserer Soldaten am Boden geht. Mir sagen erfahrene Militärs, dass der Druck und damit das Risiko einer Fehlentscheidung in einer Kampfsituation viel höher ist, wenn jemand mit einem Kampfflugzeug über ein Gelände rast und in Sekunden entscheiden muss, ob er zum Schutz der Truppe am Boden eine Rakete abfeuert oder nicht. Mit der Drohne, die lange kreisen kann, hat man mehr Zeit und kann mit mehreren Personen analysieren und abgewogenere Entscheidungen treffen.

Ist die Europäische Armee nicht ein Reizwort, vielleicht nicht für kleine Länder, aber doch für die großen?

Es hat sich viel verändert. Die USA erwarten, dass Europa geschlossen und substanziell seinen Beitrag in der Nato leistet. Die Finanzkrise hat tiefe Spuren in den Budgets hinterlassen. Aus Kostengründen stimmen wir uns besser ab. In vielen Einsätzen weltweit arbeiten europäische Staaten seit Jahren eng zusammen. Deswegen ist der Wille da, die Armeen Schritt für Schritt stärker zu verflechten. So wie mit Polen, wie mit Holland. Wir unterstellen uns gegenseitig Truppenverbände – mehr Vertrauen geht nicht.

Das Gespräch führte Miguel Sanches