Berlin. . Verteidigungsministerin von der Leyen droht, das G36 auszumustern. Bei Hitze und Dauerfeuer verliert es die Treffsicherheit. Hersteller ist über Vorwürfe empört.

Das Schreiben ist kurz, zwei Seiten. Zwischen den Zeilen: Viel Kränkung, verletzte Ehre. Seit mehr als 50 Jahren sei man „zuverlässiger Partner“ der Bundeswehr, seit fast 20 Jahren sei das Gewehr G36 in über 35 Staaten im Einsatz – so beginnt eine Erklärung der Waffenschmiede Heckler & Koch.

Das G36 ist das Standardgewehr der Truppe, die „Braut des Soldaten“, wie es früher hieß. Es stellt sich heraus: Keine Braut für heiße Tage oder lange Gefechte. Das G36 wird ungenau. Von „Präzisionseinschränkungen“ spricht Generalinspekteur Volker Wieker. Wieder eine Lachnummer der Bundeswehr – und ein Politikum. Denn zumindest die Linkspartei droht mit einem Untersuchungsausschuss.

Klagen kommen seit Jahren

Seit Jahren häuften sich die Klagen aus der Truppe. Ruchbar wurden die internen Beschwerden, als der „Spiegel“ am 1. April 2012 darüber berichtete. Ungläubiges Staunen. Der Militärblog „augengeradeaus“ warnte seine Leser: „Kein Aprilscherz“. Nach langen Gefechten, nach mehreren 100 Schuss wird der Lauf heiß und die Präzision sinkt. Extreme Hitze ist ein Problem. Das fällt bei Einsätzen in Afrika oder Afghanistan besonders ins Gewicht.

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Das alte G3 war unverwüstlich. Viel Metall. Die G36 bringt viel Hightech mit und ist sogar leichter. Das liegt daran, dass glasverstärkter Kunststoff eingesetzt wurde. Offenbar dehnt sich diese Leichtbauart bei Hitze aus, sodass der Lauf nicht mehr fest genug sitzt. Heckler & Koch beschwert sich, die Firma sei weder an Prüfkriterien noch an den Untersuchungen beteiligt worden.

An Auslandseinsätze hatte niemand gedacht

Ab 1996 wurde G36 angeschafft. An Auslandseinsätze wurde damals nicht gedacht. Laut Hersteller hat die Nato bis heute kein Prüfverfahren für die Treffleistung von Handwaffen in heißgeschossenem Zustand, bei extrem hohen Temperaturen oder bei Sonnenbestrahlung. Alle seither gekauften G36, 176 467 Stück (insgesamt rund 180 Millionen Euro) wurden von der Güteprüfstelle der Bundeswehr abgenommen und entsprechen laut Heckler & Koch den „technischen Lieferbedingungen“.

Hier setzt die Linke an. Sie argwöhnt, die Hitzebeständigkeit sei aus den Anforderungen gestrichen worden, um den Hersteller aus der Haftung zu entlassen. Ihr Abgeordneter Jan van Aken fragt, „wer damals wirklich welchen Auftrag erteilt (hat) und warum“. Falls Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dafür sorge, dass aufgeklärt werde, „braucht sie auch keinen Untersuchungsausschuss zu fürchten“. Eine indirekte Drohung.

Ministerin auf der Lauer

Wer der Ministerin in diesen Tagen begegnet, erlebt eine Frau auf der Lauer. Nach einem Jahr im Amt schließt sie nichts mehr aus. Schon letzten Sommer war die Beschaffung gestoppt worden. Danach ordnete von der Leyen eine Untersuchung an. Als ihr das vorläufige Ergebnis am Sonntag vorgelegt wurde, trommelte sie am Abend die Ministeriumsspitze zusammen.

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Ihr Vorsatz: Mängel erkennen, ansprechen, abstellen. Sie will jetzt alle Einsätze mit der G36 sowie Schadenersatzansprüche prüfen und behält sich vor, die Waffe auszumustern. Zuzutrauen ist es ihr. Aus der CDU wurde sie bereits vor „Schnellschüssen“ gewarnt. Die schwäbische Waffenschmiede hat Freunde in Berlin, zum Beispiel die regionalen Abgeordneten wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

Die Grünen kritisieren, dass die Bundeswehr seit Jahren Probleme verschweige. Auffällig war, dass von der Leyen sich beim Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus dafür bedankte, dass er „früh Zweifel am G36“ geäußert und „hartnäckig“ zur Aufklärung beigetragen habe. Er ist der Kummerkasten für die Truppe. Wer sich an ihn wendet, ist zuvor oft auf taube Ohren gestoßen.