Essen. . Wir sprachen mit Fraktionschef Hofreiter und dem Abgeordneten Gehring über Schlamperei bei der Energiewende und den “schlechtesten“ Verkehrsminister.

Die Stromkonzerne wollen gegen den Staat klagen, weil ihnen durch den Atomausstieg Milliarden-Gewinne entgangen sind. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring aus Essen erzählen im Interview, warum sie deswegen einen Untersuchungsausschuss nicht ausschließen – und warum Alexander Dobrindt (CSU) für sie der schlechteste Verkehrsminister aller Zeiten ist.

Am 11. März hat Japan den Fahrestag der Fukushima-Katastrophe begangen. In Deutschland wird man das Gefühl nicht los, dass der Atomausstieg eher schlampig vorangetrieben wird. Warum funktioniert er hier nicht?

Anton Hofreiter: Es gab in der damaligen schwarz-gelben Regierung kein Bewusstsein und keinen Plan für den Atomausstieg. Im Herbst 2011 hatten sie noch die Laufzeit der AKW verlängert, im März kam es zur Katastrophe in Fukushima und man musste mehr oder weniger überstürzt die Energiewende und den Atomausstieg der vorherigen rot-grünen Regierung wieder ins Werk setzen. Wenn man aber nicht wirklich hinter einem Projekt steht, kann es nur schwerlich gelingen. Der Atomausstieg wurde der schwarz-gelben Regierung vom Wunsch der Bevölkerung nach einem Ende der Atomenergie aufgezwungen. Wenn man das Fach- und Detailwissen in solchen Fragen nicht hat – und Schwarz-Gelb hatte ja das Gegenteil eines Atomausstieges vor – kommt es zu Fehlern.

Brauchen wir einen Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg?

Hofreiter: Wir haben einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema in Hessen, der auch Herrn Pofalla und Herrn Röttgen geladen hatte. Es ist geschlampt worden, das ist eindeutig und sauber dokumentiert. Die Frage ist nur, ob das absichtlich passiert ist. Wir kooperieren eng mit den hessischen Kollegen und schauen gespannt auf die Entwicklungen des dortigen Untersuchungsausschusses. Derzeit behandeln wir diese entsprechende Fragen auf Bundesebene im Umweltausschuss, wir schließen einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene aber nicht aus.

Der Emissionshandel - ein Trümmerhaufen

In Irsching soll das modernste Gaskraftwerk Europas dichtgemacht werden. Auch das liegt am Emissionshandel. Warum kommt dieses eigentlich sehr sinnvolle Instrument nicht in die Gänge?

Hofreiter: Richtig, es ist ein sehr sinnvolles Instrument. Es gibt zwei Hauptgründe, warum es derzeit so im Argen liegt. Das eine ist ein europäisches Problem. Länder wie Polen haben große Schwierigkeiten, ihre Abhängigkeit von der Kohleverstromung zu verringern. Das zweite Problem ist, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene nicht ausreichend Druck entfaltet und anderen Ländern keine Angebote macht, um deren Situation zu verbessern. Solange wir den Emissionshandel nicht reparieren, wird das immer schwierig bleiben. Es muss aber etwas passieren, denn die Kraftwerkskapazitäten sind viel zu hoch. Sonst bekommen wir den Effekt, dass die Kraftwerke, die in den 60er und 70er Jahren ans Netz gegangen sind, am Netz bleiben und die modernsten Kraftwerke, die in den vergangenen Jahren gebaut wurden, stillgelegt werden.

Wir haben einen SPD-Wirtschaftsminister und eine SPD-Umweltministerin. Tun die Sozialdemokraten genug bei dem Thema? Gerade in NRW ist die Sozialdemokratie stark, aber das Land ist stark abhängig von der Kohleverstromung.

Hofreiter: Insbesondere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist da sehr, sehr zurückhaltend. Aber es ist nicht die alleinige Schuld der SPD. Die CDU ist bei dem Thema genauso zurückhaltend. Schaut man sich den Koalitionsvertrag an und wer bei den Verhandlungen wo gebremst hat, kann man sagen, dass die SPD eine Schuld trägt, aber eben nicht allein.

Über die Fehler der Energiekonzerne in der Vergangenheit - und in der Wiederholung 

Die Energieriesen Eon und RWE tun sich sehr schwer mit Kraftwerksstilllegungen. Gaskraft wäre eigentlich eine saubere Energiegewinnung. Bei uns im Land ist aber das Thema Kohlekraft ein sehr wichtiges. Was fordern Sie von Eon und RWE im Kraftwerksbereich?

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Hofreiter: Sie müssen begreifen, dass hochflexible Kraftwerke eher eine Zukunft haben als die unflexiblen. Sie müssen aufhören, dass neue Design des Energiemarktes zu stoppen. Auf diesem neuen Energiemarkt könnte es nämlich durchaus sein, dass sie mit einem modernen Gaskraftwerk ein paar tausend Euro für eine Kilowattstunde verdienen können. Allerdings vielleicht bloß eine Stunde lang. Aber dafür benötigt man hochflexible Anlagen. Die Konzerne sollen nicht erneut die Fehler der Vergangenheit machen und wieder auf das Alte setzen, nur weil im Moment ein neues Gaskraftwerk noch nicht rentabel ist. Sonst stehen sie am Ende wieder wie die Dummen da. Jetzt schalten sie ihre paar modernen Gaskraftwerke ab, aber in fünf oder sechs Jahren, wenn die Energiewende weitergegangen, der Klimawandel sich verschärft hat und es zu einer Reparatur des Emissionshandels kommt, haben die wieder genau das Falsche gemacht. Dann sind ihre Kohlekraftwerke endgültig unrentabel aber die Gaskraftwerke, die dann rentabel wären, haben sie stillgelegt.

Thema TTIP. Glauben Sie, dass der Streit um das Handelsabkommen mit den USA in der aktuellen Situation auch eine weltpolitische Waffe werden kann? Man schaue nur auf Russland und China.

Hofreiter: Die Frage ist absolut berechtigt und die Beratungen auf der Münchener Sicherheitskonferenz haben das gezeigt. Dort wurde TTIP gerne als „Wirtschaftsnato“ bezeichnet. Frei nach dem Motto: Es ist nicht wichtig, was da im Detail drinsteht. Wir sind im Systemwettbewerb, auch mit China und deshalb brauchen wir jetzt auch diese „Wirtschaftsnato“. Ich halte das für komplett falsch. Abkommen, die am Ende dazu führen, dass die Bürger in den USA und in Europa aufgebracht sind über den jeweiligen Partner, schaden dem Wirtschaftsraum mehr als das sie ihm nützenWir lehnen TTIP nicht generell ab. Aber warum einigt man sich nicht auf einige wenige einfache Dinge? Zum Beispiel die Absenkung der Zölle und einige technische Standards, zum Beispiel in der Autoindustrie. Damit hätte doch kein Mensch in Deutschland ein Problem.

Über den "bizarren Maut-Murks" des "schlechtesten Verkehrsminsters aller Zeiten" 

In Deutschland bröseln die Brücken, Straßen sind marode, Staus ohne Ende. Was stimmt an der Infrastruktur in der Bundesrepublik nicht. Warum ist das Hochindustrieland Deutschland in diesem Bereich so anfällig?

Hofreiter: Das liegt vor allen Dingen an der Schwäche des Verkehrsministeriums. Das Geld wurde bis heute immer nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Im Bereich der Bundesfernstraßen ist das Hauptproblem nicht, dass es zu wenig Geld gibt. Das Hauptproblem ist, dass die Mittel nicht effizient eingesetzt und die Prioritäten falsch gesetzt werden. Und zwar sowohl beim Unterhalt als auch beim Neubau.

Kai Gehring: Herr Dobrindt ist wohl der schlechteste Verkehrsminister aller Zeiten. Es ist bizarr, wie viel Energie in den Maut-Murks fließt. Zeitgleich ignoriert er die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in unserer Metropolregion. Es braucht endlich eine breite ÖPNV-Offensive. Und der Radschnellweg Ruhr ist ein überzeugendes, visionäres Großprojekt.

...und teuer. Die meisten Kommunen im Ruhrgebiet sind blank.

Gehring: Man muss auch die fatale Finanzlage vieler Kommunen im Ruhrgebiet angehen. Für klamme Kommunen muss der Bund endlich mehr tun.. Die versprochene Entlastung von sozialen Kosten muss jetzt kommen. Sehr viel bringen würde auch ein Altschulden-Tilgungsfonds. Denn stark verschuldete Städte brauchen dringend wieder Investitionsspielräume.

Sie meinen damit aber keinen Schuldenschnitt?

Hofreiter: Doch. Einer überschuldeten Kommune, von der man weiß, dass sie keine Chance mehr hat, allein auf die Beine zu kommen, werden die Schulden aber nicht komplett weggenommen. Der Altschulden-Tilgungsfonds würde so aussehen, dass eine Kommune einen Teil ihrer Schulden beim Bund erlassen bekommt. Der Fonds übernimmt diese Schulden. So bekommen die Kommunen wieder Luft zum Atmen. Das ist ein Mindestmaß an Solidarität.

Über die Notwendigkeit, Griechenland zu helfen 

Sollte es auch für Griechenland einen Schuldenschnitt geben?

Hofreiter: Ja, die Griechen haben Fehler gemacht. Und ja, da laufen viele Dinge falsch. Aber Griechenland auf Dauer verarmen zu lassen, hilft niemandem. Wer wird denn eher einen Teil seiner Schulden zurückzahlen? Ein Griechenland, das arm ist oder ein Griechenland, dem wir geholfen haben, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen?

Aber die Forderungen der Griechen machen die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland kaputt.

Hofreiter: Die handelnden Personen sind extrem ungeschickt. Von Beginn an. Mit den Rechtspopulisten zu koalieren, ist nicht klug. Deutschland hat trotzdem ein sehr großes Interesse, dass die Sache nicht schief geht. Griechenland braucht Hilfe beim Staatsaufbau, bei sinnvollen Investitionen und Hilfe dabei, endlich Korruption und Steuerhinterziehung zu beenden. Bislang wurden dort nur Rentner und sozial Schwache ausgeraubt. Aber die Oligarchen durften weitermachen wie vorher.

Im Ruhrgebiet gab es in jüngster Zeit mehrere Bürgerbefragungen und Bürgerbegehren. Zuletzt haben sich die Menschen in Oberhausen gegen die Straßenbahnverbindung nach Essen ausgesprochen. Wie stehen die Grünen zu diesem Mittel?

Hofreiter: Bürgerbegehren sind ein sehr gutes Instrument als Ergänzung zu unserer Parlamentarischen Demokratie. Aber man muss es dann auch gut machen, sonst öffnet man Chaos Tür und Tor. Eine solche Bürgerbeteiligung aber gut zu machen, kostet Kraft und Energie. Wir Grünen sind aber strikt gegen Bürgerbegehren, die Fragen der Menschrechte betreffen oder die populistische Themen zur Abstimmung stellen.

Ein anderes Thema: IS. Die Kurden sind begeistert von deutschen Waffen und feiern mit ihnen Erfolge, die Grünen haben gegen Waffenlieferungen gestimmt. Bereuen Sie Ihre Entscheidung inzwischen?

Hofreiter: Nein, denn wir wissen nicht, wo die Waffen eingesetzt werden und wo sie am Ende landen. In dem ganzen Gebiet sind so viele Waffen unterwegs, da sind die Lieferungen aus Deutschland fast zu vernachlässigen. Wenn wir da keine klaren Grenzen ziehen, müssten wir in so viele Krisengebiete Waffen liefern. In den Sudan oder nach Nigeria. Aber das kann es auch nicht sein.

Alternativen?

Hofreiter: Die Bundesregierung hätte durchaus eher überlegen können, auf welche Art man die Amerikaner anders hätte unterstützen können. Die Jesiden wurden nicht von deutschen Waffen sondern von den Amerikanern gerettet.