Berlin. Die Linke wirft der Kanzlerin soziale Spaltung vor. Die Grünen halten Merkels Politik für diffusen Nebel. Ihr Lieblingsgegner beim Schlagabtausch im Bundestag ist aber Volker Kauder wegen seiner Haltung zur Frauenquote. “Heul doch“, rufen die Grünen.

Es ist still, während die Kanzlerin in der Haushaltsdebatte im Bundestag spricht. Dabei hängen die Abgeordneten nicht eben gebannt an ihren Lippen. Eher kann man den Eindruck gewinnen, dass am Mittwoch das geschieht, was der Publizist Roger Willemsen als eines der großen Merkmale Angela Merkels beschreibt: Sie chloroformiert ihr Publikum. Sind die Probleme auch noch so groß bei der Energiewende, der Unterbringung von Flüchtlingen, der Maut, den Finanzen von Ländern und Kommen und anderswo. Leben kommt trotzdem noch in den Bundestag. Das liegt an dem Gezerre um die Frauenquote, Ärger über Macho-Sprüche und einem "Heulsusen-Protest".

Ihre 37-minütige Rede nutzt Merkel für eine Rückschau auf den G20-Gipfel in Australien, die Darstellung ihrer harten Standpunkte in der Ukraine-Krise und der Regierungsmaßnahmen in der Bildungs- und der Finanzpolitik sowie die Mahnung, dass die digitale Welt die Zukunft sei. Dann noch die Klarstellung, dass sie und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der Russland-Politik völlig einig seien. Ein Hieb gegen CSU-Chef Horst Seehofer, der über einen Keil zwischen beiden sinnierte und damit Wladimir Putin einen Gefallen tat.

"Nullkompetenz in der Wirtschaftspolitik"

Schließlich Merkels stolze Feststellung: "Erstmals seit 46 Jahren macht der Bund keine neue Schulden, um seine Vorhaben und Verpflichtungen zu bezahlen." Die Linken-Fraktionsvizevorsitzende Sahra Wagenknecht spottet: Die schwarze Null sei die neue Göttin der Regierung. Dem ordneten Union und SPD alles unter. "Für mich ist das ein Ausdruck der Nullkompetenz in der Wirtschaftspolitik."

Das Ringen um den Bundeshaushalt ist das Königsrecht des Parlaments, die Aussprache über den Etat des Kanzleramts traditionell ein Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung. Weil die Opposition aber so klein ist, gibt es erst einmal nur direkt vor und nach Merkels Auftritt eine Rede der Linken und der Grünen, danach wechseln sich lange Abgeordnete von Union und SPD ab, oft ähneln sich ihre Botschaften. Während Merkels Rede keine Zwischenrufe, keine Aufregung. Am Ende braver Applaus der Koalition.

Merkels Zukunftsvision nicht zu erkennen

Dann aber kommt Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen. Es ist 10.13 Uhr, und nun wird es bunt und böse. "Ihre Regierungserklärung hat uns heute keinen Schritt weitergebracht", schimpft der Bayer in einer Lautstärke, die jetzt für Lebendigkeit im Plenum sorgt. Merkel rede ohne anzuecken, vorauszublicken und irgendetwas anzustoßen. Und: "Ihre Maximalkoalition macht doch nichts anderes als Minimalpolitik."

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Man ahnt, was gleich folgt, wenn er einen Satz von Merkel zum 25. Jahrestag des Mauerfalls zitiert: "Nichts muss so bleiben, wie es ist." Dieser Satz mache Mut, sagt Hofreiter - wenn man ihn auf die Koalition anwende. Die Bürger könnten keine Ahnung davon haben, was Merkel für die Zukunft wolle, weil sie es nicht sage. "Wenn ich Ihnen zuhöre, sehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir. Ohne gute Ideen hat Deutschland schlechte Aussichten." Merkels Politik lebe von einer unterschwelligen Angst vor Aufbruch und Veränderung.

Armutsrisiko kontinuierlich gestiegen

Wagenknecht wettert, die Union enteigne die kleine Leute - "und das nennt sich dann Volkspartei". Der Staat müsse viel mehr investieren in Forschung und Technologie, er müsse die Rentner, Pflegebedürftigen und Gering- und Durchschnittsverdiener besserstellen. Das Armutsrisiko sei kontinuierlich gestiegen. "Wir haben keine soziale Marktwirtschaft. (...) Selbst einem Durchschnittsverdiener blüht ein Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau. Das ist schändlich. Hauptsache die schwarze Null lebt."

Und die SPD komme mit einer solchen Politik nie wieder in die Nähe, das Kanzleramt zu übernehmen. Aus der Union kommt der Einwand, dass sie auf die SPD ganz schön viel schimpfe, wo die Linke mit Hilfe der Sozialdemokraten in Thüringen doch nun das Ministerpräsidentenamt übernehmen wolle. Wagenknecht muss selber schmunzeln, als sie entgegnet, aus Sorge um Deutschland fürchte sie, dass die SPD nicht mehr den Kanzler stellen könne. Da nimmt SPD-Chef Sigmar Gabriel die Brille von der Nase, reibt sich die Augen und lacht.

Lieblingsgegner der Grünen ist Kauder

Als die Sprache auf die Frauenquote kommt, auf die die Koalition sich in der Nacht nach zähem Ringen geeinigt hat, stellt sich heraus: Der Lieblingsgegner der Grünen ist an diesem Tag aber nicht Merkel, sondern Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) - weil er Familienministerin Manuela Schwesig von der SPD in Sachen Frauenquote als weinerlich bezeichnete hatte.

Ein "Heulsusen-Konzert" führe Kauder auf, sagt Hofreiter. Als der Christdemokrat ans Mikrofon tritt, winken ihm Grüne-Abgeordnete mit Taschentüchern zu. Hofreiter sagt: "Wegen so ein bisschen Quote Herr Kauder, müssen sie doch wirklich nicht so rumweinen. Also in der Jugendsprache würde man sagen: Heul doch!" (dpa)