Essen. . Garrelt Duin mahnt in der rot-grünen Landesplanung Kurskorrekturen an. Bei der Energiepolitik und dem Mindestlohn legt er sich mit der Bundes-SPD an.
Seit 2012 ist Garrelt Duin (46) Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Nach durchwachsenen Noten zur Hälfte seiner Amtszeit scheint der lange Ostfriese nun entschlossen, stärker als Anwalt der Unternehmen an Rhein und Ruhr in Erscheinung treten zu wollen. Beim Redaktionsbesuch kündigte er ohne Umschweife einige wirtschaftsfreundliche Kurskorrekturen an.
In einer Forsa-Umfrage haben zwei von drei nordrhein-westfälischen Bürgern von der Landesregierung mehr Einsatz in der Wirtschaftspolitik gefordert. Fühlen Sie sich angesprochen?
Garrelt Duin: Solche Umfrageergebnisse unterstreichen, dass es in Nordrhein-Westfalen ein besonderes Bewusstsein der Menschen für wirtschaftliche Belange gibt. Hier ist das industrielle Kernland, über Jahrzehnte durch große Arbeitgeber geprägt. Das führt zu einer Mentalität, die nicht immer ganz deckungsgleich sein kann mit zukunftsgerichteter Politik.
Zum Beispiel?
Duin: Als das Aus für das Bochumer Opel-Werk unumkehrbar wurde, haben wir uns früh entschieden, den Bruch zuzulassen und die Neuentwicklung des Standorts aktiv zu begleiten. Früher dagegen wäre es selbstverständlich gewesen, alle möglichen lebensverlängernden Maßnahmen bis hin zu Subventionen zu ergreifen. Das ist nicht mein Verständnis von politischem Einsatz in der Wirtschaftspolitik.
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Die Mitarbeiter von Opel hätten sich über eine Solidaritätsgeste der Landesregierung sicher gefreut.
Duin: Wir haben nichts unversucht gelassen, den Standort Bochum zu erhalten. Aber als klar war, dass Überkapazitäten in der Automobilproduktion dem Opel-Werk keine Überlebenschance lassen, hätte es nichts gebracht, als Landesregierung den Grönemeyer zu machen. Wichtiger ist es, in der Gesellschaft „Bochum Perspektive 2022“ die besten Leute zu versammeln, um schnell neue Unternehmen zu gewinnen. Und zwar nicht das nächste Möbelhaus oder den x-ten Baumarkt.
Teilen Sie die Befürchtung, dass dem Ruhrgebiet bis 2020 die Gewerbegebiete ausgehen?
Duin: Nein. Kein Unternehmen, das sich hier ansiedeln will, wird abgelehnt, weil wir keine Flächen hätten. Das Ruhrgebiet muss aber den Anspruch entwickeln, sich als ein Wirtschaftsraum zu vermarkten und freie Gewerbeflächen nach einer gemeinsamen regionalen Prioritätenliste aufzubereiten und anzubieten. Nicht jede Stadt darf jede Brache gleichzeitig fit machen wollen und um dieselbe Unternehmensansiedlung buhlen wie der Nachbar. Viel zu oft blockieren sich die Kommunen noch selbst, statt zu kooperieren und Gewinne zu teilen.
Welche Rolle spielen die Großkonzerne der Region mit ihren riesigen Flächenpools?
Duin: Bei der Altlastensanierung von wichtigen Ansiedlungsflächen des Ruhrgebiets brauchen wir auch die Mithilfe von Unternehmen wie Thyssen-Krupp oder RWE. Ungenutzte Brachen dürfen nicht als Immobilienwerte in den Büchern schlummern, sondern müssen zur Vermarktung aufbereitet werden. Nur das hilft der Region.
Warum diskutiert Rot-Grün gerade einen neuen Landesentwicklungsplan, der Betriebserweiterungen, Rohstoffabbau und Industrieansiedlungen noch weiter erschwert?
Duin: Solche Pauschalkritik ist nicht angebracht. Der Entwurf des Landesentwicklungsplans enthält aber Formulierungen, die für große Verunsicherung sorgen. Deshalb müssen wir ihn verändern. Rohstoffabbau zum Beispiel muss weiter möglich bleiben, sonst wandert unsere Kiesindustrie vom Niederrhein in die Niederlande oder nach Niedersachsen ab. Es kann nicht das Ziel einer Landesentwicklungsplanung sein, funktionierende Unternehmen zu vertreiben. Kritisch sehe ich auch den Passus zur künftigen Entwicklung der Flughäfen in NRW. Ich will nicht, dass Erweiterungen und Veränderungen der Airports Dortmund oder Paderborn demnächst von der Zustimmung der Konkurrenz aus Köln/Bonn abhängen. Das führt zu unnötigen Einschränkungen des Luftfahrtstandorts NRW.
Bis Ostern wollen Sie eine Überprüfung des umstrittenen Tariftreue- und Vergabegesetzes vorlegen. Wann können die Unternehmen, die öffentliche Aufträge annehmen, denn tatsächlich mit bürokratischen Erleichterungen rechnen?
Duin: Mein Ziel ist es, bis zum Sommer eine wirksame und spürbare Entlastung der Unternehmen einzuleiten. Die öffentliche Auftragsvergabe muss wieder deutlich entschlackt werden. Es könnte ein Weg sein, künftig nur noch der Firma Nachweise abzuverlangen, die eine Ausschreibung um einen Auftrag gewonnen hat. Das erspart Bewerbern, die gar nicht den Zuschlag bekommen, einige Bürokratie.
Seit 1. Januar stöhnen viele Unternehmen über bürokratische Dokumentationspflichten beim Mindestlohn. Sind die Klagen berechtigt?
Duin: Es ist richtig, dass die Bundesregierung die Umsetzung des Gesetzes noch einmal kritisch überprüft. Dies ist aber kein Hebel, um den gesamten Mindestlohn zu kippen. Geärgert habe ich mich über den Spruch der SPD-Generalsekretärin, die gespottet hat, wer einen Stundenzettel nicht richtig ausfüllen könne, sei zu dumm oder ein Gauner. Das bringt uns in der Debatte nicht weiter.
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Die Energiewende macht NRW schwer zu schaffen. Wie bewerten Sie die Pläne Ihres Parteichefs Sigmar Gabriel zur Neuordnung des Strommarktes?
Duin: Aus Sicht des Industrie- und Energielandes NRW sind seine vier Grundannahmen bei der Neuordnung des Strommarktes viel zu optimistisch. Ich teile nicht die Einschätzung, dass man künftig ohne Weiteres fünf Gigawatt Importstrom aus dem EU-Ausland einplanen sollte. Oder dass man in Spitzenverbrauchszeiten einfach den Strombedarf um zehn Gigawatt drosseln kann. Das wären immerhin 40 Prozent des gesamten deutschen Industriestroms! Wer außerdem Preisspitzen von 15.000 Euro pro Megawattstunde für vertretbar hält oder bis zu 50 Stunden Stromausfall im Jahr hinnehmen will, betreibt ein Spiel mit der Versorgungssicherheit in unserem Land.
Gabriel will eben kein „Hartz IV für konventionelle Kraftwerke“, auf das Eon, RWE und Stadtwerke in NRW schielen.
Duin: Um es klar zu sagen: Wir wollen keinen Schutzschirm für heimische Kraftwerksbetreiber. Aber wir fordern eine Sicherheitsreserve für sonnen- und windarme Tage, die von der Bundesnetzagentur technologieoffen ausgeschrieben wird. Dann können sich alle Kraftwerksbetreiber um diese potenziellen Betriebsstunden bewerben. Ein solcher Mechanismus würde die Stromkunden allerhöchstens zwei Milliarden Euro kosten, was mir angesichts von über 20 Milliarden Euro Umverteilung für die Erneuerbaren Energien akzeptabel erscheint. Versorgungssicherheit muss einen Preis bekommen.