Berlin. Die Beobachter der OSZE haben harte Monate in der Ostukraine hinter sich. Nun hofft ihr stellvertretender Missions-Chef, dass alles nicht umsonst war.
Alexander Hug hat mit seinen 42 Jahren schon mehrfach gesehen, was Krieg anrichtet. Er war im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Bosnien, später im Kosovo, im Mittleren Osten - nach den Kampfhandlungen. In den vergangenen Wochen ist der Schweizer mit seinen unbewaffneten OSZE-Kollegen im Kriegsgebiet Ostukraine mitunter direkt zwischen die Fronten von prorussischen Separatisten und Regierungstruppen geraten.
"Wir sind oft im Kreuzfeuer steckengeblieben, das ist mir selbst passiert", sagt der Vize-Chef der OSZE-Beobachtermission für die Ukraine, und man merkt dabei selbst diesem so ruhig und souverän auftretenden Mann eine gewisse Aufgewühltheit an. "Das sind Erlebnisse, mit denen man sich lang beschäftigt. Wer behauptet, er habe keine Angst, der sagt nicht die Wahrheit."
Mitarbeiter waren ohne Konflikterfahrung
Die OSZE-Initiative begann im März 2014 als zivile Beobachtermission für das gespaltene Land - "da war da noch kein Konflikt im Osten, zumindest kein offener", erinnert sich Hug im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Das hat sich sehr schnell geändert, und dem musste sich die Mission anpassen. Viele der Mitarbeiter, die wir eingestellt hatten, kamen ohne Kriegs- oder Konflikterfahrung. Die waren dem das erste Mal ausgesetzt."
Inzwischen sind nach jüngsten OSZE-Zahlen vom Wochenende 452 "Mission Monitors", also Konfliktbeobachter, in der Ukraine, davon etwa zwei Drittel im Osten des Landes. Das größte Kontingent der 57 OSZE-Teilnehmerstaaten steuern die USA mit 49 Männern und Frauen bei, es folgen Großbritannien (25), Russland (24), Rumänien und Ungarn (je 21). Deutschland stellt 14 Beobachter, bietet aber weitere Hilfe an, unter anderem mit Aufklärungsdrohnen und zusätzlichem Personal.
Beobachter brauchen psychologische Betreuung
Der kaum noch für möglich gehaltene Schrecken eines Krieges in Europa ist auch für die OSZE-Inspekteure enorm. "In diesem Konflikt wird nicht mit Kleinfeuerwaffen gekämpft, sondern mit Distanzwaffen, mit Artillerie", sagt Hug. "Das bedeutet, man wird hier als Beobachter durch Angriffe überrascht. Und der Angreifer sieht nicht, wen er beschießt."
Die Kriegserlebnisse verdaut "nicht jeder gleich gut", hat der ehemalige Offizier der Schweizer Armee in seinen Patrouille-Teams beobachtet. Daher bräuchten seine Leute neben Schutzausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen auch psychologische Betreuung. Die Situation im OSZE-Quartier der Großstadt Donezk im Kampfgebiet macht die Sache nicht einfacher: "Unsere Leute können sich dort nicht frei bewegen. Alle leben auf engem Raum zusammen in einem Hotel", erzählt Hug. "Unsere Vorschriften erlauben uns nicht, mal ins Restaurant zu gehen. Das Risiko, durch Zufall in einen Angriff zu geraten, ist zu groß."
Erste Schritte zum Waffenabzug
Auch die Gefahr einer Entführung durch separatistische Desperados ist nicht gebannt - wie im Vorjahr, als es mehrere OSZE-Inspekteure traf. "Da war ich einen Monat nur damit beschäftigt, diese Leute wieder freizukriegen. So etwas wollen wir verhindern, daher müssen wir uns sehr vorsichtig bewegen."
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Hug, Vater von drei Kindern, beschreibt all das nüchtern und sachlich, für Selbstmitleid ist er nicht der Typ. Die jüngste Entwicklung im Ostukraine-Krieg lässt den in St. Gallen geborenen Schweizer mit Wohnsitz in Den Haag nun hoffen, dass die Ausnahmesituation der vergangenen Monate nicht umsonst war. Nach dem offiziellen Waffenstillstand vor gut zwei Wochen stellt die OSZE-Beobachtermission seit einigen Tagen fest, "dass beide Seiten Schritte eingeleitet haben, die Waffen von der Front wegzubewegen. Es ist das erste Mal, dass beide Konfliktparteien das Gleiche tun."
Wenn schwere Waffen hinter die sogenannte Kontaktlinie zurückgefahren werden, "dann trägt es dazu bei, dass der Konflikt nicht wieder so einfach ausbricht", meint Hug. Der Zivilbevölkerung verschaffe die zumindest weitgehend eingehaltene Waffenruhe eine Atempause. Im besonders umkämpften Debalzewe sei "jedes Haus - ohne Ausnahme - beschädigt", so wurde ihm berichtet. "Vor allem ältere Leute erzählen: Es gibt dort kein Wasser, keinen Strom, kein Gas, keine Medikamente." Dass die OSZE die Ukraine bald verlassen kann, darauf setzt Hug lieber nicht. "Ich will nicht naiv erscheinen..." (dpa)