Washington. . Der Ukraine-Konflikt weckt in Estland, Lettland und Litauen Sorgen vor einem Rückfall in alte Sowjet-Zeiten. Nato-Chef in Europa warnt vor Eskalation.

Der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, General Philip M. Breedlove, hat vor einer dramatischen Eskalation des Ukrainekonflikts gewarnt. Die Kämpfe zwischen Soldaten der Ukraine und prorussischen Separatisten würden jeden Tag schlimmer, sagte Breedlove am Mittwoch (Ortszeit) in Washington.

Breedlove warf dem russischen Präsidenten Putin vor, in der Ostukraine schweres Gerät zu stationieren. Er sprach von "Tausenden Kampffahrzeugen, russischen Truppen, Luftverteidigung und Artillerie." Damit habe Putin die militärische Messlatte bereits sehr hoch gelegt, sagte Breedlove. Zu möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine nahm der Nato-Oberbefehlshaber keine Stellung.

Sorgen vor Russland auch in Polen

Trotz Mitgliedschaft in EU und Nato sorgen sich die baltischen Staaten, dass Moskau nach der Intervention in der Ukraine nun auch ihre eigenen Landesgrenzen ins Visier nehmen könnte - etwa wegen der russischen Minderheit im Baltikum. So ein Szenario fürchten auch manche westliche Politiker. Zuletzt warnte der britische Verteidigungsminister Michael Fallon, Russland könnte mit einer Aggression gegen das Baltikum die Reaktionsfähigkeit und Beistandsgarantie der Nato testen wollen.

Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius befürchten trotz verstärkter russischer Militäraktivitäten im Ostseeraum zwar keinen direkten Angriff. Doch vorsorglich wappnen sich die drei früheren Sowjetrepubliken gegen einen sogenannten Hybridkrieg - eine mit Desinformation unterstützte Kriegführung mit Soldaten und militärischer Ausrüstung ohne Hoheitsabzeichen. Auch in Polen wächst die Sorge vor gezielter Destabilisierung.

"Wer garantiert, dass es morgen keinen Cyber-Angriff auf ein polnisches Kraftwerk gibt", fragte etwa der konservative polnische Europaparlamentarier Pawel Kowal vor wenigen Tagen. Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak hingegen betont, er halte einen Hybridkrieg in Polen für "nicht möglich".

Armee in Lettland stellt sich auf Reaktion auf mögliche russische Attacken ein

Mehr Skepsis herrscht bei den baltischen Nachbarn: "Wir sind uns bewusst, dass Russland sowohl konventionelle Maßnahmen als auch Elemente der hybriden Kriegsführung einsetzen könnte", meint der lettische Verteidigungsminister Raimonds Vejonis. Auch sein estnischer Amtskollege Sven Mikser betonte, es müssten Vorkehrungen getroffen werden zum Umgang mit Kämpfern ohne Hoheitsabzeichen, wie sie auf der Krim und dann in der Ostukraine auftauchten.

In Litauen wurde genau dies während einer mehrtägigen Übung geprobt. In der 30.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Jonava trainierte die Armee Reaktionen auf Destabilisierungsversuche. In dem Szenario stürmten Soldaten einen von "feindlichen Truppen" besetzten Industriekomplex, andere schützten ein öffentliches Gebäude vor den Übergriffen einer aufgestachelten Meute. Weitere Manöver sollen folgen.

"Man muss bereit sein im Fall einer solchen Art von Aggression", betont der litauische Verteidigungsminister Juozas Olekas. Dazu soll auch ein Handbuch mit Verhaltenstipps für Notfälle und Kriegszeiten beitragen, das sein Ministerium jüngst veröffentlichte.

Baltische Russland-Anreiner wollen Grenzen besser sichern

Lettland und Estland wollen ihre Grenze zu Russland besser sichern und kontrollieren. Die Behörden wollen dazu privaten Grund aufkaufen und Bäume und Büsche im Grenzstreifen fällen - eine übersichtlichere Grenze könnte im Fall der Fälle eine bessere Abwehr einsickernder Truppen ermöglichen.

Polen wiederum setzt nicht nur auf eine Anhebung seines Verteidigungsetats und den Ausbau von Militärstandorten im Osten des Landes, sondern auch auf verstärkte Übungen mit Reservisten. In diesem Jahr sollen rund 12.000 Reservisten zu Übungen angefordert werden, fast doppelt so viele wie noch im vergangenen Jahr. Im kommenden Jahr könnten nach den Plänen des Warschauer Verteidigungsministeriums bereits 38.000 Reservisten mit den Berufssoldaten trainieren.

Auch waffenbegeisterte Zivilisten sind für Verteidigungsminister Siemoniak als Helfer denkbar. Im März ist in Warschau eine Konferenz geplant, bei der es um freiwilliges Training für Mitglieder von Schützenverbänden und paramilitärischen Gruppen geht. Im Verteidigungsministerium gibt es bereits einen Beauftragten für die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen. In den kommenden Monaten soll geregelt werden "wie diese Gruppen für die Stärkung der Sicherheit des Staates" eingesetzt werden können. (dpa)