Berlin/Duisburg. . Der Zentralrat der Juden rät vom Tragen der Kippa in Problemvierteln ab. Beleidigungen sind mancherorts alltäglich – “Jude“ gilt als Beleidigung.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnt Juden vor dem Tragen der Kippa in „Problemvierteln“ mit hohem muslimischen Anteil. Juden sollten erwägen, dort andere Kopfbedeckungen zu tragen, sagte Schuster dem Sender rbb.
Die Zahl antisemitischer Straftaten hat im vergangenen Jahr zugenommen – von 788 auf 864 Fälle. Genannt wurden die Zahlen von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich auf bisher unveröffentlichte Angaben der Bundesregierung beruft. Jüdische Gemeinden im Ruhrgebiet können die Warnung des Zentralrats-Chefs nachvollziehen. Der Antisemitismus nehme zu. Zwi Rappoport von der Jüdischen Gemeinde Groß-Dortmund kritisierte die „Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft“ gegenüber dieser neuen Judenfeindlichkeit.
Dort, wo viele Muslime wohnen, sollten Juden nach Ansicht von Zentralrats-Chzef Schuster „eine andere Kopfbedeckung“ erwägen, zum Beispiel Hut oder Mütze. Die jüdischen Gemeinden in NRW können diese Warnung gut nachvollziehen. Viele ihrer rund 24 000 Mitglieder haben den Eindruck, dass es vielerorts riskant ist, sich öffentlich als Jude zu zeigen.
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„Schon lange verbergen Juden ihre Glaubenszugehörigkeit. Männer, die ständig ihre Kippa tragen, verstecken diese unter einer anderen Kopfbedeckung“, sagte Leonid Goldberg dieser Zeitung. Goldberg ist stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinden im nördlichen Rheinland und leitet die Kultusgemeinde Wuppertal.
Jugendliche reagieren aggressiv
„Juden werden beleidigt, bespuckt, das ist fast alltäglich“, so Goldberg. „Ich höre oft von Lehrern, dass ,Jude’ ein Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen ist.“ In vielen Fällen gingen die Anfeindungen von arabischstämmigen Jugendlichen aus, immer öfter auch von jungen Menschen mit türkischen Wurzeln. Die große Verunsicherung vieler Juden werde auch genährt durch die jüngsten Anschläge in Paris und Kopenhagen.
Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen, Michael Rubinstein, rät Gläubigen nicht ausdrücklich ab, in der Öffentlichkeit die Kippa zu tragen. Aber er kennt die Sorgen vieler Juden im Ruhrgebiet. „Viele von ihnen stammen aus der Ex-Sowjetunion, wo Antisemitismus verbreitet war. Diese Menschen hatten immer schon Angst, sich als Juden erkennen zu geben“, sagte Rubinstein. Manche möchten zum Beispiel nicht, dass auf Briefen der Gemeinde an sie ein Bezug zum jüdischen Glauben erkennbar ist. Verwendet wird daher ein neutrales Logo.
Rubinstein zufolge greift es zu kurz, die Judenfeindlichkeit nur an Muslimen festzumachen: „Es gibt in Deutschland eine neue Stimmung, die sich ganz generell gegen ein gutes Miteinander richtet: Pegida zähle ich dazu, Demos gegen Flüchtlinge und Minderheiten. Die Provokationen von Neonazis, zum Beispiel in Dortmund, machen mir mehr Angst als Antisemitismus durch Muslime.“
Der Dortmunder Gemeinde-Vorsitzende Zwi Rappoport will das Problem nicht dramatisieren. Ihn irritiert aber eine, wie er sagt, „Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft“ angesichts des zunehmenden Antisemitismus. Das Nebeneinander von radikalen Muslimen, Rechts- und Linksextremen bei einer Anti-Israel-Demo in Essen im vergangenen Jahr habe viele Juden zutiefst erschüttert.
„Wir haben hier unseren Platz“
„Es wird schwieriger für uns“, sagte Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen. „Früher erregte eine Kippa eher Neugier, heute eher Ablehnung.“ Gerade die Kinder litten unter dem neuen Antisemitismus. Das dürfe aber kein Grund sein für Juden, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen: „Wir haben unseren Platz in dieser Gesellschaft.“
Gläubige Juden sind eigentlich zum Tragen einer Kippa verpflichtet. In der Praxis verzichten aber viele darauf, oder sie tragen eine andere Kopfbedeckung. Frauen sollten ebenfalls ihre Haare bedecken. Manche orthodoxe Juden haben Schläfenlocken, aber das ist in Deutschland selten zu sehen. Der Davidstern ist ein jüdisches Symbol. Er wird oft als Schmuckstück getragen, ist aber, im Gegensatz zum siebenarmigen Leuchter (Menora) kein eindeutiges religiöses Zeichen.