Rom. . Flüchtlings-Schmuggel über das Mittelmeer ist ein lukratives Geschäft. Schlepper lassen voll besetzte Frachter mit Kurs auf die Küste zurück.

Die havarierte Adriafähre „Norman Atlantic” von Albanien in den Hafen von Brindisi geschleppt, die knapp 800 vor dem Schiffbruch geretteten syrischen Flüchtlinge übers Land verteilt – und gleich das nächste Flüchtlingsschiff in Sicherheit gebracht.

Über Mangel an Arbeit können sich Küstenwache und Asylbehörden in Süditalien zum Jahresanfang nicht beklagen. Die Staatsanwaltschaft in Apulien auch nicht: Sie hat einige Verdächtige festgesetzt und versucht nun, einen Berg offener Fragen abzutragen.

Es gibt ja verdächtige Ähnlichkeiten zwischen den Fällen der "Blue Sky M", geborgen am Silvestertag, und der „Ezadeen“, an Land gelotst am Freitag: Beide Frachter fahren zuerst einen für Handelsschiffe plausiblen Kurs, bis sie plötzlich führungslos und offenbar manövrierunfähig in der Meerenge zwischen Griechenland und Apulien treiben. Jemand setzt einen Notruf ab. Dann erst stellt sich in beiden Fällen heraus, dass es sich in Wahrheit um Schiffe voller Migranten handelt, die auf Hilfe durch italienische Behörden zählen.

6000 Euro für einen Platz an Bord

Die Frage ist nun: Haben Schleuser ein neues Geschäftsmodell entwickelt, um Migranten nach Europa zu bringen – nachdem die Italiener Ende Oktober ihre teure Operation „Mare Nostrum“ eingestellt haben, und die neue, von der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex geleitete „Operation Triton“ nicht mehr auf Suche nach überfüllten, rettungsbedürftigen Barken geht?

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Frontex patrouilliert 30 Meilen vor den italienischen Küsten, so weit kommen löchrige Barken von den afrikanischen Küsten aus nicht; Schleuser können ihren „Kunden“ den Erfolg also nur mehr garantieren, indem sie unverdächtige Handelsschiffe auf unverdächtigen Routen fahren lassen und sie erst in Sichtweite der italienischen Küsten „outen“.

Ob dann die Schlepper selbst – oder die dafür angeheuerte Mannschaft – mitten auf dem Meer von Bord gehen, oder ob sie sich unter die Flüchtlinge mischen, um nicht enttarnt zu werden, ist unklar. Darin unterscheiden sich wohl die Fälle "Ezadeen" und "Blue Sky M".

Im apulischen Gallipoli jedenfalls, wo die „Blue Sky M” an Silvester anlegte, hat die Polizei vier Syrer unter Schleuserverdacht festgesetzt. Sie wirft ihnen Förderung illegaler Einwanderung vor – und Bereicherung: 6000 Euro, so erklärten gerettete Flüchtlinge, habe jeder von ihnen an die „Reederei“ bezahlt. Macht zusammen knapp fünf Millionen Euro an Einnahmen für das Schiff. So viel hätten die neun Tonnen Erdöl nie erbracht, die die "Blue Sky M" – um den Schein zu wahren? – auch noch an Bord hatte.

Die syrische Spur

Der syrische Ingenieur Muhammad, der an Bord der „Blue Sky M“ war, sagte: „Sie fragen uns, warum wir so viel bezahlt haben, 5000 oder 7000 Euro. Aber wenn du nichts mehr hast und nur die Hoffnung auf ein neues Leben, bist du bereit, alles zu tun.“ Sein Ziel wie das der meisten Mitreisenden ist Nordeuropa: Vor allem Deutschland oder die Niederlande, Dänemark und Schweden.

Die nächste Frage lautet: Beuten inzwischen auch Syrer die Not ihrer Landsleute aus? Die „Blue Sky M”, formell unter moldawischer Flagge fahrend, war vor zwei Wochen an einen syrischen Staatsbürger verkauft worden.

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Die als mutmaßliche Schleuser Verhafteten sind Syrer. An Bord waren praktisch nur Syrer. Man sagt, sie schlössen sich zuhause oder in den Flüchtlingslagern über soziale Netzwerke zusammen, und dann finde sich irgendwo eine Art „Reisebüro“, professionell organisiert.

Dann: Wie viele Menschen befanden sich eigentlich auf der Adriafähre „Norman Atlantic”, die vorigen Sonntag vor Griechenland in Brand geriet? Die offiziellen Passagierlisten sagen anscheinend nicht alles; zwischen Geretteten (477), Toten (bisher elf) und Vermissten geht die Rechnung noch immer nicht auf. 78 fehlen noch, sagt das italienische Außenministerium, nur 18 seien es, entgegnen die griechischen Behörden.

Dass illegale Einwanderer an Bord waren, gilt als sicher; sie hatten sich womöglich genau dort versteckt, wo dem ersten Eindruck nach der verheerende Brand ausgebrochen ist: in einem der unteren Fahrzeugdecks.