Bochum/Mülheim. . Zwei Wohnungsmarkt-Schwergewichte wollen zusammengehen: Klappt die Fusion von Deutscher Annington und Gagfah, entsteht Europas zweitgrößte Player.

Deutschlands Immobilienbranche steht vor einer Megafusion: Die Deutsche Annington (DAIG) in Bochum und die Gagfah im Mülheim wollen sich zu Deutschlands führendem Immobilienunternehmen zusammenschließen. Das teilten die Konzernspitzen beider Unternehmen am Montag mit.

Durch die Zusammenlegung von Gagfah und Annington, die noch von den Kartellwächtern abgesegnet werden muss, entsteht ein Immobiliengigant mit rund 350.000 Wohnungen im Bestand, davon 122.000 in NRW. Größter Einzelstandort wird Dresden mit über 37 000 Wohnungen sein, es folgen Berlin (28 000 Wohnungen) und Dortmund (knapp 19 000 Wohnungen). Schwerpunkt des Geschäfts ist das Ruhrgebiet, wo beide Unternehmen zusammen derzeit über rund 70 000 Wohnungen verfügen.

Bei einem Immobilienwert von rund 21 Milliarden Euro wird der neue deutsche Branchenprimus, für den noch ein Name gesucht wird, außerdem das zweitgrößte börsennotierte Immobilienunternehmen Kontinentaleuropas. Denkbar ist sogar der imageträchtige Aufstieg unter die 30 größten im Aktienindex Dax gelisteten deutschen Konzerne. Der Börsenwert des neuen Schwergewichts liegt derzeit bei rund neun Milliarden Euro.

Künftige Konzernzentrale an der Ruhr stehen

Wegen der Verwurzelung in der Region soll die künftige Konzernzentrale an der Ruhr stehen – „in der Nähe der bisherigen Hauptverwaltungen“. Gemeint ist damit der Bereich zwischen Mülheim und Bochum. Damit käme auch Essen als Sitz in Frage. Die bisherigen Zentralen gelten als zu klein. Die Gagfah hatte ihre Zentrale erst 2010 von Essen nach Mülheim verlegt.

Deutliche Kritik an der Fusion übten Mieterverbände und die Gewerkschaft Verdi. „Beide Unternehmen haben einen kritischen Ruf. Die Fusion ist ein reines Investment-Kalkül. Niemand guckt hin, was in den Quartieren vor Ort passiert. Wir befürchten Umstrukturierungen, die sich negativ auf die Mieter auswirken“, sagte Tobias Scholz, Sprecher des Mietervereins Dortmund, im Gespräch mit der WAZ. Verdi sieht die Gefahr einer weiteren Tarifflucht in der Wohnungswirtschaft heraufziehen.

"Beide Unternehmen sind heuschreckenfrei"

„Heuschreckenfrei“ – so könnte das neue Schlüsselwort in der Wohnungswirtschaft lauten. Klaus Freiberg hat es am Montag benutzt. „Beide Unternehmen sind heuschreckenfrei“, sagte das Vorstandsmitglied der Deutschen Annington im Gespräch mit dieser Zeitung. Freibergs Satz war wohl auch an die Adresse der über eine Million Menschen gerichtet, die in Wohnungen der Deutschen Annington (DAIG) und der Gagfah wohnen. Ihnen steht durch die geplante Fusion der beiden großen Wohnungsunternehmen bald der nächste Vermieterwechsel ins Haus. Für viele ist es nicht der erste.

Heuschrecken, also einen der nur der Rendite verpflichteten Finanzinvestoren als Hauptaktionäre zu haben, das gilt heutzutage nicht mehr als schicklich, vor allem nicht in der wieder mehr aufs Sozial-Image bedachten Wohnungsbranche. Gefragt sei heute „normale deutsche Unternehmensführung“, so Freiberg.

Zweitgrößter Immobilienkonzern auf dem Kontinent 

Vor wenigen Monaten erst hatten sich DAIG und Gagfah ihrer dominierenden Finanzinvestoren entledigt. Seitdem befindet sich das Kapital beider Firmen zum überwiegenden Teil in Streubesitz – wichtige Voraussetzung für die nun geplante Fusion zum nach der französischen Unibail-Rodamco-Gruppe zweitgrößten Immobilienkonzern auf dem Kontinent.

Bis in die Nacht zu Montag haben die beiden Revier-Unternehmen verhandelt. Ein „konstruktives Aufeinanderzugehen“ sei das gewesen, sagte ein Beteiligter. Herausgekommen ist ein Ergebnis, das spürbar das Bild größtmögliche Einigkeit vermitteln will: Die größere DAIG in Bochum (210 000 Wohnungen) will nicht etwa den etwas kleineren Rivalen aus Mülheim (140 000 Wohnungen) „schlucken“, sondern unterbreitet den Gagfah-Aktionären ein Angebot, das sie kaum ablehnen können: 16 Prozent Zuschlag als Prämie auf den Schlusskurs der Gagfah am 28. November. Appetitanreger sind Synergie-Effekte in Höhe von 84 Millionen Euro innerhalb der kommenden zwei Jahre.

500 Millionen Euro für Modernisierungen

Rund 500 Millionen Euro will der fusionierte Konzern in die Instandhaltung und Modernisierung seiner Wohnungen stecken – allein in 2015. „Wir werden deutlich niedrige Kosten für unsere Investitionen realisieren können“, sagte der designierte Chef des neuen Immobilienriesen und heutige Annington-Vorstandsvorsitzende Rolf Buch gestern. „Wir können das künftig deutlich günstiger machen“, so Buch. Davon würden auch die Mieter profitieren. Buch: „Die Balkone werden billiger.“

Einen durch die Fusion ausgelösten Arbeitsplatzabbau schloss Buch gestern aus. Man werde im Gegenteil mehr Jobs schaffen, etwa durch den Ausbau der eigenen Handwerkerabteilung.

Suche nach einem Konzernsitz

Einigung erzielte man auch über die Struktur der künftigen Konzernspitze. DAIG-Chef Rolf Buch soll Vorstandsvorsitzender des vereinigten Unternehmens werden, Gagfah-Chef Thomas Zinnöcker sein Stellvertreter. Der vom ehemaligen Eon-Chef Wulf Bernotat geleitete Aufsichtsrat wird von neun auf zwölf Mitglieder vergrößert.

Bei der Frage, von wo aus das neue Unternehmen geleitet werden soll, wollte man sich gestern nicht festlegen. Sicher ist nur: Chancen auf den prestigeträchtigen Sitz des neuen Großkonzerns, der sogar in die Reihe der Dax-Unternehmen aufrücken könnte, hat der Raum zwischen Mülheim und Bochum. Das schließt Essen ausdrücklich mit ein. „Wir werden uns nicht aus der Region zurückziehen“, betonte DAIG-Vorstand Freiberg gegenüber dieser Zeitung. Denn das Ruhrgebiet sei mit Abstand der größte Standort des neuen Unternehmens.