Essen. Es war Weltgeschichte. Am Abend des 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Es war der Anfang vom Ende für die DDR. Wir haben mit Menschen aus dem Revier gesprochen, die ihre Erinnerungen an den Mauerfall mit uns geteilt haben. An manchen rauschte die Weltgeschichte aber im Urlaub vorbei.

Unsere Leser schreiben über ihre Erinnerungen an den 9. November 1989. Mancher war zufällig in Berlin, andere verbrachten die historischen Stunden gebannt vor dem Fernseher. Und einige erreichte die Meldung gleichsam am anderen Ende der Welt.

"Wir sahen das Unfassbare"

„Am nächsten Tag, dem 10. November, hatte ich, Danziger, Jahrgang 1924, als Zeitzeuge zum Thema „Kriegsbeginn vor 50 Jahren“ in ­Lübeck einen Vortrag zu ­halten. Zur ­Entspannung stellte ich das kleine Radio auf dem Nachttisch ein, aber statt einschläfernder Nachtmusik lief da ­offenbar ein ­etwas wirres Hörspiel. Gerade als ich das Radio wieder abschalten wollte, meinte meine Frau gehört zu haben, dass von Menschen auf der Berliner Mauer gesprochen wurde. Genauer hin­hörend musste ich zugeben, dass der Bericht authentisch klang. Wir stürzten ins Wohnzimmer, schal­teten den Fernseher an und sahen das Unfassbare: Die Reportage war Wirklichkeit."

Joachim Scholz erfuhr auf der Autobahn vom Mauerfall.
Joachim Scholz erfuhr auf der Autobahn vom Mauerfall.

Ohne Schlaf ging es am 10. November nach Lübeck. Die Autofahrt war kein Problem – bis zur Stadt selbst. Ab da herrschte Chaos. Die Straßen waren verstopft mit Autos unbekannten Typs. Trabis überall. Aus Wismar, Rostock – das motorisierte Mecklenburg war nach ­Lübeck aufgebrochen. Ausnahmezustand, unglaubliche Freude überall. Die Trabis wurden bestaunt. Wo ist denn der Motor? Lachen, Scherzen, Menschen im Glücksgefühl. Und den Vortrag über den Krieg in Danzig konnte ich diesmal mit der Hoffnung auf eine bal­dige Wiedervereinigung beenden.“ Joachim Scholz, Essen

Der Mauerfall in Indien - Fernab von Telefon, TV und Zeitungen

„Ich war am 9. November 1989 mit 27 Jahren in Südindien unterwegs, Rucksackreise mit einer Freundin. Fernab von jeder größeren Stadt, keine Zeitung, kein TV, kein Telefon. Erst einige Tage nach dem 9.11. sprach mich ein Inder an und sagte, er habe sich gefreut zu sehen, wie die Menschen in Deutschland durch die Mauer gekrabbelt seien. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die innerdeutsche Mauer ­gefallen ist und fragte ihn, welche Mauer er meine. Erstaunt fragte er mich, ob ich denn nicht wüsste, dass Deutschland durch eine Mauer geteilt wäre. Ich musste noch einige Fragen stellen und er konnte mir auch nicht sagen, wer den Mauerfall in Gang gesetzt hat."

"Ein komisches Gefühl – nicht zu wissen, ob es im eigenen Land eine friedliche oder gewaltsame Revolution gegeben hatte. In einer Familie durfte ich auf einem Mini-TV einmal Nachrichten schauen, aber da war es in Indien nur noch eine 10-Sekunden-Nachricht und auf dem Bild kaum etwas zu erkennen. Erst 10 Tage später, zurück in Bombay, heute Mumbai, gingen wir in ein Goethe-Institut und lasen Zeitung. Ich glaube, deshalb lese ich bis heute gerne Artikel über den 9. November oder schaue die Bilder an und freue mich an der ­Begeisterung der Menschen und Nachrichten vom ersten Tag.“ Imke Schwerdtfeger, Essen

So hat sich Berlin gewandelt

Westdeutsche Grenzpolizisten stehen am 17.06.1987 vor der Mauer am Brandenburger Tor in Berlin. ....
Westdeutsche Grenzpolizisten stehen am 17.06.1987 vor der Mauer am Brandenburger Tor in Berlin. .... © dpa
Im Jahr 2014 wechseln am gleichen Ort Passanten die Straßenseite zwischen Tiergarten und Brandenburger Tor.
Im Jahr 2014 wechseln am gleichen Ort Passanten die Straßenseite zwischen Tiergarten und Brandenburger Tor. © dpa
Ein demoliertes Auto steht an der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor am 18.09.1987. ...
Ein demoliertes Auto steht an der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor am 18.09.1987. ... © dpa
Am 15.10.2014 fließt der Verkehr am Brandenburger Tor in Berlin.
Am 15.10.2014 fließt der Verkehr am Brandenburger Tor in Berlin. © dpa
Am 10.11.1989 schiebt sich eine Menschenmasse durch eine Mauerlücke an der Bernauer Straße in Berlin. ...
Am 10.11.1989 schiebt sich eine Menschenmasse durch eine Mauerlücke an der Bernauer Straße in Berlin. ... © dpa
Im Jahr 2014 ist es ruhig am einstigen Mauerübergang an der Bernauer Straße in Berlin.
Im Jahr 2014 ist es ruhig am einstigen Mauerübergang an der Bernauer Straße in Berlin. © dpa
Der Turm der Versöhnungskirche, die direkt hinter der Mauer in Ostberlin lag, wurde am 28.01.1985 gesprengt. ...
Der Turm der Versöhnungskirche, die direkt hinter der Mauer in Ostberlin lag, wurde am 28.01.1985 gesprengt. ... © dpa
Inzwischen gehört die Fläche zur Gedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin.
Inzwischen gehört die Fläche zur Gedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin. © dpa
Der ehemalige Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin am 19.05.1984 ...
Der ehemalige Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin am 19.05.1984 ... © dpa
... ist inzwischen zu einem Museum umfunktioniert worden.
... ist inzwischen zu einem Museum umfunktioniert worden. © dpa
Am 11.11.1989 freuen sich diese  DDR-Bürger mit ihren Einkäufen in Herleshausen (Hessen) vor einem Spar-Markt. Diesen Supermarkt ...
Am 11.11.1989 freuen sich diese DDR-Bürger mit ihren Einkäufen in Herleshausen (Hessen) vor einem Spar-Markt. Diesen Supermarkt ... © dpa
... gibt es inzwischen nicht mehr.
... gibt es inzwischen nicht mehr. © dpa
Ein Abschnitt der Berliner Mauer in der Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain am 25.01.1990. ...
Ein Abschnitt der Berliner Mauer in der Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain am 25.01.1990. ... © dpa
Heute ist der ehemalige Mauerabschnitt als
Heute ist der ehemalige Mauerabschnitt als "East Side Gallery" bekannt. Das Mauerstück zwischen dem Berliner Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke wurde von 118 Künstlern mit Wandbildern verschönert. © dpa
Die Mauer zwischen Scheidemannstraße und Brandenburger Tor im Februar 1988. ...
Die Mauer zwischen Scheidemannstraße und Brandenburger Tor im Februar 1988. ... © dpa
Das Brandenburger Tor im Jahr 2014.
Das Brandenburger Tor im Jahr 2014. © dpa
Westberliner Polizisten arbeiten 1988 vor den zum Teil beschädigten Grenzanlagen auf dem westlichen Teil der Glienicker Brücke in Berlin. ...
Westberliner Polizisten arbeiten 1988 vor den zum Teil beschädigten Grenzanlagen auf dem westlichen Teil der Glienicker Brücke in Berlin. ... © dpa
Die Glienicker Brücke am 15.10.2014: Zwischen Berlin und Potsdam war sie während der deutsch-deutschen Teilung ein Symbol der Ost-West-Konfrontation.
Die Glienicker Brücke am 15.10.2014: Zwischen Berlin und Potsdam war sie während der deutsch-deutschen Teilung ein Symbol der Ost-West-Konfrontation. © dpa
Die Friedrichstraße am Checkpoint Charlie in Berlin im Oktober 1961. Von der Hochzeit des Kalten Krieges ist ...
Die Friedrichstraße am Checkpoint Charlie in Berlin im Oktober 1961. Von der Hochzeit des Kalten Krieges ist ... © dpa
... im Jahr 2014 nichts mehr zu spüren. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands erinnern das Mauermuseum und ein nachgebautes Kontrollhäuschen an die bewegende Geschichte des Grenzübergangs.
... im Jahr 2014 nichts mehr zu spüren. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands erinnern das Mauermuseum und ein nachgebautes Kontrollhäuschen an die bewegende Geschichte des Grenzübergangs. © dpa
Der abgesperrte Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor im Herbst 1989...
Der abgesperrte Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor im Herbst 1989... © dpa
... und im Herbst 2014 in Berlin.
... und im Herbst 2014 in Berlin. © dpa
Passanten auf der West-Berliner Seite vor der Mauer am Brandenburger Tor vor der Wende ...
Passanten auf der West-Berliner Seite vor der Mauer am Brandenburger Tor vor der Wende ... © dpa
... und nach der Wende in Berlin.
... und nach der Wende in Berlin. © dpa
Die Mauer vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 21.07.1986, ...
Die Mauer vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 21.07.1986, ... © dpa
.. mit Menschen auf der Berliner Mauer am 10.11.1989, ...
.. mit Menschen auf der Berliner Mauer am 10.11.1989, ... © dpa
... und das Brandenburger Tor ohne Mauer am 13.10.2014 in Berlin.
... und das Brandenburger Tor ohne Mauer am 13.10.2014 in Berlin. © dpa
Die DDR-Propaganda beim Mauerbau an der Chausseestraße/Ecke Liesenstraße im Jahr 1961.  ...
Die DDR-Propaganda beim Mauerbau an der Chausseestraße/Ecke Liesenstraße im Jahr 1961. ... © dpa
Knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall, wird hier an der Chausseestraße in Berlin wieder neu gebaut.
Knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall, wird hier an der Chausseestraße in Berlin wieder neu gebaut. © dpa
Die Brücke Waldemarstraße im Jahr 1986: Die Malerei auf der Westseite der Mauer zeigt die Sankt-Michael-Kirche  am Engelbecken. ...
Die Brücke Waldemarstraße im Jahr 1986: Die Malerei auf der Westseite der Mauer zeigt die Sankt-Michael-Kirche am Engelbecken. ... © dpa
Die Brücke Waldemarstraße am  im Herbst 2014 mit direktem Blick auf die Sankt-Michael-Kirche am Engelbecken.
Die Brücke Waldemarstraße am im Herbst 2014 mit direktem Blick auf die Sankt-Michael-Kirche am Engelbecken. © dpa
Menschen gehen im Dezember 1989 an der Werrabrücke von Vacha (Thüringen) nach Philippsthal (Hessen). Die Mauer ist an dieser Stelle abgerissen, dafür markiert ein weißer Strich die Grenze. ...
Menschen gehen im Dezember 1989 an der Werrabrücke von Vacha (Thüringen) nach Philippsthal (Hessen). Die Mauer ist an dieser Stelle abgerissen, dafür markiert ein weißer Strich die Grenze. ... © dpa
Die Werrabrücke von Vacha (Thüringen) im Herbst 2014: Inzwischen wird sie
Die Werrabrücke von Vacha (Thüringen) im Herbst 2014: Inzwischen wird sie "Brücke des Friedens" genannt. © dpa
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"Jemand kam rein und rief, dass sie die Mauer einreißen"

„Ich bin Berliner, West-Berliner, um genauer zu sein. Als am 9. November abends die Mauer fiel, hörte ich es in den Nachrichten. Es war aber spät und noch nicht richtig fassbar. Und als ich am Morgen zur Arbeit fuhr, war alles noch zu unwirklich. Meine Firma lag im Stadtteil ­Wedding, wenige Fußminuten von der Mauer entfernt. Ich hatte ­morgens Gäste aus Nordafrika zu Besuch, als jemand reinkam und rief, dass sie die Mauer einreißen. Wir ließen alles stehen und liegen und liefen direkt zur Mauer, wo schon eine Traube Menschen stand."

"Wir konnten sehen, wie ein größeres Mauersegment vor und zurück ­bewegt wurde. Die Menschen hinter der Mauer versuchten sie einzu­reißen. Die Mauer wackelte und ­irgendwann wurde das Segment unter großem Hallo nach unten ­gezogen. Wir drängten zur Öffnung, aber gingen nicht rüber, denn es ­bewegte sich ein kleiner Autokorso von drüben auf uns zu, durch die Maueröffnung, in den Westen ­hinein. Wir machten eine kleine Gasse frei und das erste Auto kam durch. Es war ein Wartburg." Jens Majchrzak, Dortmund

Lothar Rudolph war nur zufällig am 9. November 1989 in Berlin - und erlebte Weltgeschichte.
Lothar Rudolph war nur zufällig am 9. November 1989 in Berlin - und erlebte Weltgeschichte. © WAZ FotoPool

Zufällig Zeugen eines historischen Ereignisses

„Es war reiner Zufall, dass wir uns ausgerechnet an diesem Donnerstagabend nach Berlin aufgemacht hatten. Unsere Freundinnen ­machten dort ein mehrwöchiges Praktikum, und so sind mein Freund Christoph und ich spontan ins Auto gestiegen, um das Wochenende in Berlin zu verbringen. Wir ahnten nichts und trafen um kurz nach ­Mitternacht in Berlin ein. Unterwegs hatten wir Musik und nicht Radio gehört, so dass wir völlig überrascht waren, als wir tief in der Nacht in der Wohnung eintrafen und dort einen hellen Aufruhr vor dem Fernseher ­erlebten. „Die Mauer ist auf!“ ­wurden wir lauthals begrüßt und es sollte lange dauern, bis der Fern­seher ausgeschaltet wurde.

"Mittags machten wir uns dann auf den Weg durch die Stadt. Ganz Berlin schien auf den Beinen zu sein, die Straßen waren überfüllt. Überall lagen sich scheinbar fremde Menschen in den Armen und feierten. Ungläubig machten wir uns auf den Weg in Richtung Brandenburger Tor. ­Menschenmassen standen vor der Mauer, jubilierten und sangen. Die Ersten hatten Hammer und Meißel dabei und hämmerten die ersten Brocken aus dem Beton. Später ­sahen wir die Menschen auf der Mauer tanzen und im Hintergrund hinter dem Todesstreifen eine ­Gruppe ratlos dreinblickender Grenzbeamte der DDR.“ Lothar Rudolph, Bochum

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"Noch heute steigen mir bei der Erinnerung Tränen in die Augen"

„Meine Kindheit war davon geprägt, dass meine Großmutter immer mal wieder in die DDR reiste. Auch wenn ich damals die Zusammenhänge noch nicht verstand, war ich doch immer froh, wenn sie wieder heil ­zurück war. Zu Weihnachten wurden regelmäßig große Pakete mit Kaffee, Süßigkeiten etc. an die Verwandtschaft geschickt, wobei ich gerne und eifrig mithalf. Nach dem Abitur fuhr ich mit meiner Großmutter im Juli 1989 die Verwandten besuchen. Für mich war es die erste Fahrt in die DDR, für meine Großmutter sollte es altersbedingt ihre letzte Reise nach Sachsen werden."

"Als dann zwei Monate später die ersten Nachrichten über die Flüchtlinge in der Prager Botschaft und schließlich deren Ausreise bekannt wurden, war das alles irgendwie ­total unwirklich. An den 9. November 1989 kann ich mich noch genau erinnern. Meine Mutter und ich ­saßen bis spät in die Nacht vor dem Fernseher, sahen die Menschenmassen die Grenze überwinden, den Jubel und die Freude, und wir konnten kaum fassen, was da ­geschah. Noch heute steigen mir bei der ­Erinnerung Tränen in die ­Augen, denn so stark waren diese Gefühle damals, diese große Dankbarkeit, dass unsere Angehörigen nun endlich auch frei waren“ Anja Kamberovski, Essen

"Da war die Weltgeschichte im Urlaub an uns vorbeigerauscht"

„An diesem Tag war ich mit einer ­Reisegruppe in Djanet, einer Oase im Süden der algerischen Sahara und seit Wochen von allen Nachrichten abgeschnitten. Als wir am 17.11. an der Grenze zu Tunesien ankamen, waren wir sehr verblüfft über die ­Frage, ob wir aus Ost- oder ­Westdeutschland wären. Selbst ­algerische Grenzposten müssten ja eigentlich wissen, dass Ost­deutsche nicht mal eben so ins ­Ausland reisen konnten."

"Als uns in Tunesien eine ältere „Le Monde“ in die Hände fiel, haben wir unsere Französischkenntnisse zusammengeworfen, versucht zu übersetzen und dann noch zu verstehen, was inzwischen passiert war. Da war die Weltgeschichte im Urlaub an uns vorbeigerauscht!“ Christa Schmiemann