Essen. Am 9. November jährt sich der Fall der innerdeutschen Grenze zum 24. Mal. Wir nehmen dies zum Anlass zu einer Serie über das letzte Jahr bis zum Fall der Berliner Mauer, der sich 2014 zum 25. Mal jährt. Heute: Neue Töne aus Moskau und die starrsinnige DDR-Führung.

Als an diesem Tag Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble und DDR-Außenminister Oskar Fischer in Ost-Berlin zusammentreffen, geht es um Begradigungen an der innerdeutschen Grenze und die zunehmende Verschmutzung des Grenzflusses Elbe durch marode DDR-Betriebe. Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ wird am nächsten Tag in einer kleinen Notiz darüber berichten – der große Aufmacher ist dagegen dem „Vermächtnis der Helden von 1918“ während der russischen Revolution vorbehalten. Die Zeitung feiert darin die „auf das Wohl des Volkes gerichtete Politik des Sozialismus“.

Es ist der 9. November 1988. Und nichts scheint an diesem Tag darauf hin zu deuten, dass genau ein Jahr später der Fall der Berliner Mauer die deutsch-deutsche Trennung faktisch beenden wird.

Honecker gegen Gorbatschow

Dabei sind die Zeichen des Wandels hinter dem Eisernen Vorhang schon längst nicht mehr zu übersehen. In Moskau regiert seit 1985 mit Michail Gorbatschow ein Mann, der so gar nicht in das traditionelle Bild der Kreml-Chefs passt und der sich anschickt, die Politik der Sowjetunion radikal zu verändern. Gorbatschows Weg der Umgestaltung, die unter den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestroika“ firmiert, wird aber vor allem im Westen und weniger in den sowjetischen Satellitenstaaten mit Sympathie begleitet.

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Gorbatschow bricht auch mit dem Tabu, sowjetische Verbrechen der Vergangenheit nicht anzusprechen. Dieser Prozess der Offenheit, Transparenz und vorsichtigen Demokratisierung kommt bei der kommunistischen DDR-Führungsriege überhaupt nicht gut an.

Honecker beschwert sich

Gerade erst hat SED-Chef Erich Honecker bei einem Treffen mit dem rumänischen Diktator Nikolai Ceausescu seinem Ärger über Gorbatschow unverhohlen Luft verschafft: „Wenn man der Auffassung ist, dass die Geschichte der kommunistischen Weltbewegung eine Geschichte von Verbrechen ist, arbeitet man jenen in die Hand, die das Gesicht des Sozialismus entstellen.“ Es gehe nicht um das „Ausgraben von negativen Erscheinungen der Geschichte“, man müsse vielmehr „von der Gegenwart ausgehen“.

Und diese realsozialistische Gegenwart sieht in der DDR in diesen Tagen so aus: Egon Krenz, seit 1984 hinter Honecker zweiter Mann im SED-Staat, hat gerade in einem Schreiben an Honecker eine noch härtete Gangart gegen Oppositionelle angekündigt.

Härter Gangart gegen Kritiker

„Die Aufnahme der Strafbarkeit des Versuchs bei der Anfertigung und Verbreitung von staatsverleumderischen Schriften, Symbolen usw.“, so Krenz, erlaube es den Behörden, „in einem möglichst frühen Stadium gegen die Straftäter vorzugehen“. Mit anderen Worten: Jede Opposition soll schon im Ansatz erstickt, die Verantwortlichen sollen umgehend abgeurteilt werden.

Ungeachtet des neuen Windes aus Moskau bastelt das SED-Regime weiter unbeeindruckt daran, die bröckelnde Fassade der DDR, deren maroder Kern erst nach dem Fall der Mauer offenbar werden wird, aufzupolieren. Wie hilflos dieses Unterfangen daherkommt, zeigt ein Auftritt Erich Honeckers in diesen Tagen.

Geschönte Bilanzen

Mit großem Propagandaaufwand übergibt der DDR-Chef in diesen Tagen die „dreimillionste Wohnung“ im Rahmen des staatlichen Wohnungsbauprogramms. Eine reichlich geschönte Zahl, wie sich später zeigen wird. Selbst Plätze in Alten- und Arbeiterwohnheimen wurden eingerechnet.

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Im internen Kreis gibt sich Honecker nüchterner, was das Bauprogramm angeht: „Wir haben sehr viel neu gebaut. Das andere haben wir verkommen lassen. Auf diesem Gebiet gibt es große Schlamperei.“ Das sagt der Mann, für den sich die obrigkeitshörige DDR-Bürokratie einen ganz speziellen Service ausgedacht hatte: Entlang des Fahrwegs von seinem Haus ins Büro, den Honecker meist in einer schwarzen Volvo-Limousine zurücklegte, machten die Hausfassaden stets einen einigermaßen adretten Eindruck, um dem Staatsratvorsitzenden einen möglichst positiven Eindruck von der Lage im Land vorzugaukeln.

Es wird noch ein Jahr dauern, bis schließlich alle Fassaden fallen – und die DDR als Staat unter den „Wir-sind-das-Volk“-Rufen der Menschen in sich zusammenfällt.