Madrid. Spanien wird seit Monaten von immer neuen Korruptionsskandalen erschüttert. Viele Bürger haben das Vertrauen in die Politiker verloren. Nun erlebt die neue linksgerichtete Partei Podemos einen spektakulären Aufstieg und setzt die etablierten Konservativen und Sozialisten unter Druck.

Ein politisches Erdbeben erschüttert Spaniens Parteienlandschaft. Die Vorherrschaft der konservativen Volkspartei (PP) und der Sozialisten (PSOE), die das Land in den vergangenen Jahrzehnten regiert hatten, ist in Gefahr. Eine neue Linkspartei namens Podemos (Wir können) ist zu einem ernsthaften Konkurrenten der etablierten Parteien geworden. Der spektakuläre Aufstieg der erst vor wenigen Monaten gegründeten Organisation ist in der jüngeren spanischen Geschichte ohne Beispiel.

Nach einer Umfrage des staatlichen Forschungsinstituts CIS bekäme Podemos bei einer Wahl jetzt nur knapp weniger Stimmen als die PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy oder die PSOE. Bei den Sympathiewerten in der Bevölkerung übertrumpft sie sogar die großen Parteien. Eine Umfrage der Zeitung "El País" sieht die aus der Protestbewegung der "Empörten" hervorgegangene Partei sogar als einen möglichen Wahlsieger.

Podemos verstand es, aus der Wut der Spanier über die nicht abreißende Serie von Korruptionsskandalen der jüngsten Zeit politisches Kapital zu schlagen. "Wir sind das Resultat des allgemeinen Desasters", sagte Parteiführer Pablo Iglesias. "Die Väter von Podemos sind die PP und die PSOE." Die Politiker der etablierten Parteien bezeichnet er abfällig als "die Kaste".

80 größere Korruptionsskandale seit 2000

Viele Spanier haben das Vertrauen in die großen Parteien verloren, nachdem immer mehr Politiker vor allem der PP, aber auch der PSOE in Korruptionsskandale verwickelt worden waren. Die Justiz ermittelt gegen so namhafte PP-Politiker wie den früheren Wirtschafts- und Finanzminister Rodrigo Rato, der auch an der Spitze des Weltwährungsfonds (IWF) gestanden hatte, gegen den Ex-Innenminister und früheren PP-Generalsekretär Angel Acebes oder den früheren PP-Schatzmeister Luis Bárcenas. Die Ermittler hegen den Verdacht, dass die PP jahrelang schwarze Kassen geführt hat.

Nach einer Aufstellung der Zeitung "El Mundo" wurden in Spanien seit 2000 rund 80 größere Korruptionsskandale aufgedeckt. Darin sind mehr als 450 Politiker, Amtsträger und Unternehmer verwickelt, 77 wurden verurteilt und 23 sind in Haft. "Das Schlimmste daran ist, dass dies kein neues Phänomen ist", meint der irische Historiker und Spanien-Experte Ian Gibson. "Spanien ließ bislang eine beunruhigende Toleranz gegenüber all denjenigen walten, die sich unter Umgehung der Gesetze die Taschen füllten."

Von linksgerichteten Intellektuellen gegründet

Die Spanier hatten dies lange Zeit tatenlos hingenommen und häufig sogar korrupte Politiker bei Wahlen im Amt bestätigt. In Zeiten der Wirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit schlug die Resignation jedoch in Empörung um. Podemos erlebte einen fulminanten Aufstieg. Die Partei entstand im Januar 2014 als eine Plattform von etwa 30 linksgerichteten Intellektuellen. Im März wurde sie ins Parteienregister eingetragen. Nur zwei Monate später errang sie bei der Europawahl aus dem Stand fast 8,0 Prozent der Stimmen und fünf Parlamentssitze.

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Ihr Parteiführer ist der Politologe und Universitätsdozent Iglesias, der den Spaniern seit einiger Zeit aus zahllosen Diskussionsrunden im Fernsehen bekannt war. Der 36-Jährige mit dem langen Haarzopf und den karierten Hemden wirkt in den Debatten freundlich und zuvorkommend, aber er macht aus seinem Ziel keinen Hehl: Podemos versteht sich nicht als eine Protestpartei, sondern will an die Regierung. "Die Empörung in politische Veränderung verwandeln", lautet die Devise.

Das Programm enthielt anfangs radikale Vorhaben wie die Verstaatlichung von Schlüsselkonzernen oder eine Aussetzung der Rückzahlung von Staatsschulden. Davon rückte die Partei mittlerweile ab. Iglesias gab die Parole aus: "Die politische Mitte erobern". Kritiker halten der Partei vor, populistisch zu sein. "Podemos sagt das, was die Leute denken", betont der Soziologe Ignacio Urquizu. "Das Programm der Partei richtet sich nach dem, was in den Meinungsumfragen gut ankommt. ... Eine politische Führung besteht aber nicht darin, den Leuten ständig recht zu geben." (dpa)