Essen. Nimbus Health beliefert Apotheken mit Cannabis-Substanzen für Medikamente. Im Podcast erzählt Alessandro Rossoni, wie dies Leiden lindern kann.
Geht es nach der Bundesregierung, soll der Besitz oder Kauf von bis zu 30 Gramm Cannabis für den privaten Konsum künftig straffrei möglich sein. Über solche Mini-Dosen kann Alessandro Rossoni nur lachen. Der Recklinghäuser führt mit seinem Start-up Nimbus Health nach eigenen Angaben jährlich bis zu einer Tonne des Rauschmittels ein – nicht zum Vergnügen, sondern ausschließlich für medizinische Zwecke.
Mit seinen 32 Jahren ist ein Pionier. Nachdem das deutsche Gesetz „Cannabis als Medizin“ am 10. März 2017 in Kraft getreten war, kamen er und sein Freund Linus Weber rasch auf die Idee, dass mit diesem völlig neuen Geschäftsfeld Geld zu verdienen ist und schwer kranken Menschen mehr Lebensqualität gegeben werden kann. Ein knappes Jahr später nahm ihr Start-up Nimbus Health seine Arbeit auf.
Cannabis als Medizin: Gründer sieht medizinischen Mehrwert
„Wir waren eines der ersten Cannabis-Unternehmen in Deutschland. Es macht Sinn, das zu tun“, sagt Rossoni rückblickend im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ und berichtet von den Beobachtungen seines Mitgründers Weber in US-Dialysezentren. Dort sei es den nierenkranken Patienten, die Cannabis-Medikamente eingenommen haben, nach der Blutwäsche sehr viel besser gegangen als allen anderen. „Ich sehe den medizinischen Mehrwert. Cannabis kann neue Möglichkeiten für ganz viele Patienten erschließen“, ist sich Rossoni sicher.
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Dabei gehe es nicht darum, die Grunderkrankung zu heilen. „Viele Patienten entwickeln Depressionen und eine Morbidität. Eine gute Nebenwirkung von Cannabis ist das Aufheiternde und die Stimmungsaufhellung. Damit ist nicht gemeint, dass man high wird“, erklärt der Unternehmer, der in Düsseldorf Molekularbiologie studiert hat.
Bei allen positiven Begleiterscheinungen für Kranke und den Liberalisierungsplänen der Ampel-Koalition für den privaten Konsum, die gerade noch von der EU gebremst werden, warnt Rossoni vor der Annahme, Cannabis habe keine Nebenwirkungen. „Cannabis als harmlos herabzustufen, ist sicherlich falsch“, betont er. „Das THC, eines der Hauptwirkstoffe vom Cannabis, hat bei Kindern und Jugendlichen Einfluss darauf, wie sich das Gehirn und die Nervenbahnen entwickeln. Deshalb sollte man damit sehr vorsichtig umgehen. Es ist auf gar keinen Fall harmlos.“
Cannabis als Medizin: "Wenn ich austherapiert bin, habe ich Anspruch"
Deshalb sind die Hürden bei der medizinischen Anwendung hoch. „Cannabis ist indikationsfrei zugelassen“, sagt Rossoni. Das bedeute, dass der Gesetzgeber die Anwendung nicht auf bestimmte Krankheitsbilder beschränkt habe. „Wenn ich austherapiert bin, habe ich Anspruch auf ein Cannabis-Medikament“, so der Unternehmer. Das treffe für Menschen mit chronischen Schmerzen, aber auch für Parkinson- oder Dialyse-Patienten zu.
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Befürworten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte eine entsprechende Cannabis-Therapie, müssen sie einen Antrag bei der Krankenkasse stellen. Der Medizinische Dienst prüft dann den Anspruch. „Die Ablehnungsquote liegt bei 30 bis 40 Prozent“, bedauert Rossoni und urteilt: „Es ist vielleicht auch ein Politikum, dass sich manche Krankenkassen skeptisch gegenüber Cannabis stellen.“
Im Gegensatz zu anderen Ländern gebe es in Deutschland auch wegen dieser Vorbehalte nur wenige Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis. Die Apotheken müssen die von Nimbus Health angelieferten Substrate im eigenen Labor zu Kapseln oder Inhalationstropfen verarbeiten.
„Anfangs waren nicht viele Apotheken auf das Thema vorbereitet“, berichtet Rossoni. „Inzwischen ist Cannabis-Medizin aber bei sehr vielen Apotheken angekommen.“ Dennoch sei es nicht auszuschließen, dass Patienten weite Wege in Kauf nehmen müssen, um eine Apotheke zu finden, die Cannabis-Produkte abgibt.
Cannabis als Medizin: Unternehmer sieht Potenzial für bis zu 800.000 Patienten
Insgesamt wünscht sich der Unternehmer mehr Tempo beim Thema Cannabis als Arznei: „Das medizinische Potenzial ist unbestritten. Im Vergleich zum Ausland machen wir hier noch viel zu wenig. Wir werden links und rechts überholt“, sagt Rossoni. Aktuell gebe es rund 100.000 Patienten in Deutschland, die Cannabis einnehmen. Er sieht aber „Potenzial für 500.000 bis 800.000 Patienten“.
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Wie spannend der deutsche Markt ist, zeigt auch, dass Nimbus Health bereits vier Jahre nach der Gründung vom indischen Pharmariesen Dr. Readys übernommen wurde. Rossoni nennt einen einfachen Grund, warum der Verkauf seiner jungen Firma, in der beide Gründer weiterhin Geschäftsführer sind, nötig gewesen sei: „Unser Ziel ist es, Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis nach Deutschland zu bringen. Dazu braucht man viele Millionen Euro. Das kann man nicht aus der Start-up-Klimperkasse bezahlen.“