Essen. . 16 Jahre alt ist sie, in Essen geboren. Eine moderne Muslimin. Doch als sie einen 44-jährigen Wirt irakischer Herkunft eines Sexualdeliktes bezichtigt, gerät sie zwischen die Kulturen. Jetzt muss das Amtsgericht Essen versuchen, vor diesem Hintergrund die Wahrheit zu ermitteln.
Der Fall, den das Schöffengericht unter Richter Stefan Groß entscheiden muss, ist so schwierig und so einfach wie fast alle Sexualdelikte. Zum Kerngeschehen gibt es nur zwei Zeugen: den Angeklagten und das mutmaßliche Opfer. Es geht darum, ihm die Tat zweifelsfrei nachzuweisen oder ihn freizusprechen.
Der Angeklagte, der ein Café mit Spielautomaten betreibt, soll die Schülerin nachts um zwei Uhr begrapscht haben, als sie als letzter Gast von der Toilette kam und er die Gaststätte bereits abgeschlossen hatte. Festgehalten haben soll er sie, an Gesäß und Busen berührt haben. Als sie schrie, soll er die Tür geöffnet haben, sie durfte gehen.
Er bestreitet vehement: „Ich schwöre, ich habe nichts getan. Ich bin verheiratet, habe sieben Kinder. Drei meiner Töchter sind in ihrem Alter.“ Tatsächlich sei sie noch auf der Toilette gewesen, als er bereits aufräumte. Aber selbstverständlich habe er sofort die Tür geöffnet. Er beschreibt sie als damals aufreizend angezogen. Sie hätte drei Freunde dabei gehabt, die sie abwechselnd geküsst hätte. Eine Beobachtung, die nicht einmal einer seiner Gäste gemacht hat, den der Angeklagte als Zeuge zu einer anderen Frage mitgebracht hatte. Auch die Schülerin weist diese Beschreibung ihrer Person zurück: „Ich bin 16, ich bin doch keine Prostituierte.“
Einmal gelogen
Die 16-Jährige, deren Eltern persischer Herkunft sind, macht einen aufgeschlossenen Eindruck. Schwierigkeiten hat sie zu Hause. Nicht mit ihren Eltern, sondern mit ihrem Bruder: „Er ist streng islamistisch, klagt über meine Kleidung. Ich habe auch das Jugendamt eingeschaltet, weil er handgreiflich wird.“ Am Tattag hatte sie gegenüber ihrer Mutter gelogen und gesagt, sie werde bei einer Freundin übernachten. Tatsächlich zog sie mit einem gleichaltrigen Libanesen und zwei seiner Brüder los. Gemeinsam gingen sie in die Wirtschaft des Angeklagten, rauchten Shisha. Gemeinsam verließen sie das Lokal und trennten sich dort, weil die Schülerin noch einmal zur Toilette musste. Nach der mutmaßlichen Tat schlief sie im Haus einer ihrer Freunde unter dem Dachboden, damit dessen Eltern nichts mitbekamen.
Alles Details, die auch christlich erzogene 16-Jährige nicht gerne ihren Eltern erzählen. Aber bei muslimischen Mädchen ist der Druck vielleicht noch etwas größer. Und so machte die Schülerin anfangs bei verschiedenen Behörden falsche Angaben, wo sie die Nacht verbracht hatte. Dass sie der Wirt bedrängt hatte, offenbarte sie erst später. Amtsrichter Groß fragt intensiv nach. Dass eine Zeugin deutlich gemacht hat, dass sie lügen kann, stärkt ihre Position nicht. Ob sie die Sexualgeschichte vielleicht nur erfunden hätte, damit sie vor den Eltern besser aussehe, nämlich als bemitleidenswertes Opfer, fragt er einmal. Und direkt: „Das Problem ist, dass Sie gelogen haben.“ Staatsanwältin Maria Linten teilt diese Sicht nicht. „Hätte sie nichts gesagt, hätten die Eltern weiter geglaubt, dass sie bei der Freundin schlief.“
Angst vor den Brüdern
Die Eltern stehen zu ihr. Allerdings stellt sich die Mutter auch hinter ihren Sohn. Er sei eine Art Schutzschirm für die Schwester, für die Familie: „Er verlangt nur Respekt, er will nur aufpassen. Meine Tochter hat auch nicht immer recht.“ Sie redet sich ein wenig in Rage: „In unserer Kultur muss jeder Angst vor Brüdern haben. Da dürfen die Mädchen nicht so freizügig sein.“
Ein 24 Jahre alter Libanese, der vom Angeklagten als Zeuge gestellt wird, erzählt wenig Konkretes, erlaubt sich vor allem Bewertungen. „Der Angeklagte ist immer respektvoll, er ist nicht fähig, das zu tun. Da sind oft deutsche Mädchen, die Bier trinken.“ Und über die Schülerin. „Sie ist jung, da darf man um die Zeit nicht mehr raus.“ Richter Groß: „Sie waren doch auch mal jung.“ „Ja, aber ich bin ein Mann, keine Frau.“ Dass er eine Gefälligkeitsaussage für den Angeklagten ablege, weist der Zeuge zurück: „Warum? Ich bin Muslim, er Jeside.“
Erst am nächsten Prozesstag wird das Gericht weitere Zeugen, darunter die Begleiter des Mädchens an jenem Abend, vernehmen. Angeblich ist einem von ihnen vom Angeklagten vor einigen Tagen gesagt worden, er werde auch Geld dafür zahlen, dass das Mädchen seine Aussage zurückziehe.