Essen. Die italienische Mafia hat einen neuen Geschäftszweig für sich entdeckt: den Verkauf von gestohlenen Arzneimitteln. Besonders teure Krebsmittel von Premium-Herstellern wie Hexal, Baxter oder Roche bringen große Profite. Das LKA vermutet nun einen solchen Diebstahl in Neuss.

Das Bundeskriminalamt ist in Ermittlungen eingeschaltet, die nach dem Diebstahl hochwertiger Arzneimittel in Italien eingeleitet wurden. Auch die Polizei in NRW klärt in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt in Düsseldorf derzeit Hintergründe eines Überfalls unbekannter Täter auf ein Auslieferungslager für Medikamente in Neuss in der Nacht zu Christi Himmelfahrt. Dabei wurden größere Bestände teurer Präparate entwendet. Ob hier ein Zusammenhang mit italienischen Mafia-Operationen besteht, ist unklar.

Die Bundesregierung wurde im Frühjahr durch italienische Zulassungsbehörden über mehrere spektakuläre Überfälle informiert. So haben Unbekannte dort im Dezember 2013 die Ladungen zweier Lkw gekapert, die für den Roche-Konzern unterwegs waren. Teile der Beute, darunter das Brustkrebs-Präparat Herceptin, tauchten in der Folge im deutschen Arznei-Großhandel auf und wurden von den für die Arzneimittelsicherheit zuständigen Instituten aus dem Verkehr gezogen. Im Mai wurde in einem Berliner Labor die in einer Apotheke aufgetauchte Fälschung einer Wachstums-Infusion des Herstellers novo nordisk nachgewiesen.

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Von Dietmar Seher

Bisher wurden offenbar keine Patienten geschädigt

„Die Diebstähle in Italien stehen nach Informationen der italienischen Behörden in Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität“, sagt das Gesundheitsministerium in Berlin. Bisher lägen für Deutschland zwar „keine Hinweise vor, dass Patienten durch gestohlene Arzneimittel geschädigt wurden“. Aber: „Es ist nicht auszuschließen, dass weitere Arzneimittel von Diebstählen betroffen sind und in die legale Vertriebskette eingeschleust werden.“ Apotheken, Praxen und Kliniken sind aufgefordert, auf Veränderungen an Verpackung und Lieferlisten zu achten.

Seit 2012 sind in Italien in 40 Fällen Lastzüge mit Pharmaprodukten, Lager oder auch Klinik-Apotheken ausgeraubt worden.

Die Tat von Neuss könnte Teil des Raubzuges sein 

Die Einbrecher kamen in der Nacht zu Himmelfahrt. Sie drangen in das Auslieferungslager des Logistikkonzerns Transoflex-Thermomed in Neuss-Norf ein, packten ein Dutzend Rollwagen voll und verschwanden mit spezieller Beute: wertvollen Arzneien von Premium-Herstellern wie Hexal und Baxter, Roche und Behring, Sandoz und Merck.

Die Polizei sagt wenig darüber, wie die Halle geplündert wurde. Es fehlt an Spuren. Die Täter sind unbekannt. Das Landeskriminalamt bestätigt, dass es in die Ermittlungen eingeschaltet ist. Die Regie der Fahndung liege bei den Kollegen in Neuss: „Wir sind unterstützend tätig.“

Dass sich das LKA für einen schnöden Lagerhaus-Diebstahl interessiert, ist selten. Doch der Neusser Vorgang passt ins Bild. Bisher nicht bewiesen, aber möglich: Die Tat von Neuss-Norf könnte auch Teil eines europaweiten Mafia-Raubzuges sein. In diesem größeren Zusammenhang ermittelt das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden: „Wir sind da dran.“

Krebsmittel werden gestreckt und weiterverkauft 

Italienische Fahnder haben die neapolitanische Camorra in Verdacht, umfangreich Chargen von Medikamenten zu entwenden. Italien ist seit längerem ein Dorado für Pharma-Diebe. Seit 2012 wurden hier 40 Fälle gemeldet – von 48 in Europa insgesamt. Der Süden des Landes ist Schwerpunkt der Tatorte, und wegen der leicht auszutricksenden Sicherheitssperren sind oft Lkw-Transporte das Ziel.

Erst im letzten Dezember verschwanden zwei komplette Ladungen – unter anderem mit dem Roche-Präparat Herceptin, das Brustkrebs bekämpft. Beutegut dieser Lieferung gelangte wohl via Britannien nach Deutschland und Finnland. Deutsche Arznei-Behörden haben insgesamt in sechs Fällen Medikamente zurückgerufen. Meist gelang es, die gestohlene Fracht noch beim Großhändler zu stoppen.

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Auch andere Tumormittel wie MabThera stehen auf der Einkaufsliste der Räuber sowie Rheuma-Arzneien. In Berlin ist im Mai in einer Apotheke eine gefälschte Ampulle des Wachstumsmittels SimpleXx abgegeben worden, berichtet Hersteller novo nordisk. Die Prüfung im Labor ergab, dass die Injektionslösung eine Konzentration von teils nur 50 Prozent des angegebenen Wertes enthielt.

Schon der direkte Weiterverkauf der Ware macht die Kasse der Kriminellen voll. 150 Milligramm Herceptin kosten am Markt 866,40 Euro, die Rechnung für 100 Milligramm der ebenfalls entwendeten Infusionslösung Avastin beläuft sich auf 478,18 Euro. Bleibt dieser Teil des illegalen Handels für die Patienten noch ohne gesundheitliche Folgen, weil die Präparate selbst nicht verändert werden, gibt es auch Hinweise auf andere Vorgehensweisen.

Ernst wird es, wenn Mafiosi die Wirkstoff-Zusammensetzung wie im SimpleXx-Fall verändern. Sie machen aus einer Portion zwei, mindern damit die Heilkraft. Manipulationen und Fälschungen habe es in Deutschland nur in Einzelfällen gegeben, versichert das zuständige Paul Ehrlich-Institut. Kein Patient sei bisher geschädigt worden.

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