Berlin. . Sylvester Groth spielt den Neuen im Magdeburger Polizeiruf – ein Charakter-Darsteller mit Chamäleon-Gesicht: ein guter Polizist, aber ein Alptraum für Menschen, die es im Büro gerne kuschelig haben. Wir trafen ihn in Berlin zum Gespräch über Prinzipien, Prominenz und populäre Rollen.
Man siezt sich in der Magdeburger Mordkommission. „Drexler“ nennt ihn seine Kollegin. Es klingt wie „Drecksack“. Und es sagt alles über die Stimmung beim neuen Polizeiruf-Duo: Rabiates Weib trifft zugeknöpften Sonderling. Claudia Michelsen spielt Hauptkommissarin Brasch, Sylvester Groth ihren Kollegen Jochen Drexler – den seltsamsten Charakter unter den deutschen TV-Ermittlern. Vor seinem zweiten Magdeburger Mordfall erzählt der Mann, der vor 30 Jahren einer von Momos „Grauen Herren“ war, warum er diesen Drexler trotzdem mag.
Bleiches Gesicht, enger schwarzer Trenchcoat, dazu Lederhandschuhe: Kommissar Drexler sieht aus wie ein psychopathischer Agent aus einer anderen Zeit. Und dazu diese Augen: Übergroß, leicht hervorquellend, kühles Blau. Er solle mal nicht ständig durch die Gegend „emotionalisieren“, raunzt Drexler seinen freundlichen jungen Assistenten an. Drexler ist ein guter Polizist, aber ein Alptraum für Menschen, die es im Büro gerne kuschelig haben.
Viele historische Rollen
Sylvester Groth sitzt im Innenhof seines Lieblingsrestaurants in Berlin-Mitte. Er hat Wasser bestellt, mit Eisstücken. Er könnte sie schmelzen lassen. Aber er kaut lieber darauf herum. Was ihm an Drexler gefällt? Nun ja. „Das ist kein einnehmender Mensch. Der ist reserviert, abweisend, zugeknöpft. Oft ein echter Kotzbrocken. Er will niemanden an sich heran lassen. Aber das ist mir sympathischer als so ein Dummschwätzer.“ Groth überlegt kurz. „Drexler hat Prinzipien. Er hat in der DDR Erfahrungen gemacht, die er nicht noch einmal machen will.“ Ein widerständiger Typ.
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Sylvester Groth ist 56 Jahre alt, aufgewachsen im Osten, Schauspielschule in Berlin, danach erste Erfolge beim Film. Mitte der Achtziger kehrt Groth von einem Gastspiel in Salzburg nicht wieder in die DDR zurück. Sein erster Film im Westen: „Momo“ – nach dem Bestseller von Michael Ende. Er spielt einen der grauen Herren, die den Menschen die Zeit rauben wollen.
Später wird Groth vor allem durch seine historischen Rollen bekannt. „Die Leute sehen in mir immer diesen schwermütigen Deutschen, mit den verborgenen Problemen, die irgendwann aufbrechen.“ Er spielt sich einmal quer durchs Jahrhundert – von den „Buddenbrooks“ über „Stalingrad“ bis zum „Vorleser“ und dem „Wunder von Lengede“. Groth ist Goebbels in Tarantinos „Inglourious Basterds“ und der skrupellose SS-Offizier Hiemer im TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“.
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Im nächsten Frühjahr kommt die Neuverfilmung des KZ-Romans „Nackt unter Wölfen“ ins Fernsehen: Es geht um ein jüdisches Kind, das von einer Gruppe Kommunisten im Konzentrationslager Buchenwald vor der SS versteckt wird. Der Roman von Bruno Apitz, der selber in Buchenwald inhaftiert war, basiert auf einer wahren Geschichte. In der DDR war das Buch Pflichtlektüre. Sylvester Groth spielt den Lagerältesten. Er ist Gefangener des Regimes, hat aber auch gewisse Macht im Lager, selbst über Leben und Tod von Mithäftlingen.
„Mich interessiert, was mit Leuten in solchen Extremsituationen passiert. Sagste ja, sagste nein? Was tust du für ein Stück Brot? Wir sind ja heute alle so satt. Aber lass’ die Verhältnisse sich mal ändern. Was dann? Wir wissen nicht, wie wir selbst reagieren würden.“ Sylvester Groth hat genau das richtige Gesicht für solche Fragen – weil es jeden Ausdruck glaubhaft annehmen kann, von einfühlsam bis eiskalt. „Ich spiele gerne Figuren, denen man alles zutraut.“
Im Schatten Schimanskis
Privates soll privat bleiben
Groths Chamäleon-Gesicht kann im Zweifelsfall sogar unsichtbar werden. Das ist gut für einen, der sein Privatleben unbedingt abschotten will. „Die Leute erkennen mich auf der Straße nicht. Erst nach einer Weile fragen sie: Waren wir mal zusammen im Ferienlager? Oder standen Sie gestern beim Fleischer neben mir?“ Und was antwortet er dann? „Ja, genau, das war ich.“ Bloß nicht zuviel preisgeben. Kommissar Drexler würde das genauso machen.
Der nächste „Polizeiruf 110: Abwärts“, läuft am Sonntag, 6. Juli, 20.15 Uhr in der ARD.