Tuam. . In einem Massengrab im irischen Tuam wurden die Knochen von 796 Kindern gefunden. Sie kamen im katholischen Mütterheim zur Welt – und ums Leben. Weil nach katholischer Lehre unehelich geborene Kinder nicht in geweihter Erde und einem Grab beigesetzt werden durften, wurden die Leichen „entsorgt“.
Zwei spielende Kinder entdeckten das Massengrab. Sie schoben zerbrochene Betonplatten, die auf einem Rasenstück lagen, beiseite „und dann sahen wir sie“, berichtet Barry Sweeney gegenüber dem irischen Fernsehsender RTE: „Totenschädel, einer auf dem andern, zwei, drei Meter tief. Wir sind panisch geworden und weggerannt.“
Das war vor vierzig Jahren. Damals dachte man, die Toten wären die Opfer der großen Hungerkatastrophe von 1845 gewesen, die hier, im westirischen Tuam, besonders schlimm gewütet hatte. Ein Priester kam, segnete die Gebeine, der Betondeckel wurde wieder zurechtgeschoben. Dann wuchs, wortwörtlich, erst einmal Gras über dem Grab.
Leichen wurden in Abwassertank entsorgt
Bis eine lokale Historikerin eine ganz andere Erklärung für das Massengrab von Tuam präsentierte. Hier liegen, konnte Catherine Corless anhand des Totenregisters von Galway nachweisen, die Knochen von 796 Säuglingen, Babys und Kindern. Sie kamen im katholischen „St. Mary’s Mother und Baby Home“, einem Heim für ledige Mütter, das von 1925 bis 1961 an dieser Stelle stand, zur Welt und ums Leben. Weil nach katholischer Lehre unehelich geborene Kinder nicht in geweihter Erde und einem anständigen Grab beigesetzt werden durften, wurden die Leichen kurzerhand in einem ausgedienten Abwassertank „entsorgt“.
Schwanger und ledig: Das war im erzkatholischen Irland so gut wie ein gesellschaftliches Todesurteil. Alleinstehende Mütter galten als „gefallene Mädchen’“ und wurden in katholische Heime abgeschoben. Man schätzt, dass es zwischen den Jahren 1900 und 1996 rund 35 000 Frauen waren. In Heimen, wie den sogenannten Magdalena-Wäschereien, wurden sie nicht viel besser als Sklaven behandelt und oft gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Genau solch ein Schicksal war Thema des kürzlich erschienenen Kino-Films „Philomena“ mit Judi Dench.
Ensetzen über die Menschenverachtung
Die toten Babys von Tuam haben in Irland zu großer Empörung geführt. Man ist entsetzt über die Menschenverachtung, die sich hinter der Entsorgung der Leichen offenbart. Die Babys lediger Mütter, bedauerte Enda Kenny, der Premierminister von Irland, seien „als minderwertige Unterart erachtet worden“. Ihre Behandlung und die ihrer Mütter sei „in vielen Fällen eine Abscheulichkeit“ gewesen. Kenny kündigte eine landesweite Untersuchung der Vorgänge an solchen Heimen an.
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Früher einmal war Irland das Lieblingsland aller Päpste, weil die Nation so erzkatholisch war. Jetzt nicht mehr. Die Iren gehen immer mehr auf Distanz zur Kirche, weil das Massengrab von Tuam nur der letzte Fall in einer Reihe von Skandalen ist.
Die Öffentlichkeit ist entsetzt über Enthüllungen, dass Kindesmissbrauch beim irischen Klerus weit verbreitet war. Zwei staatliche Kommissionen hatten die Anschuldigungen akribisch zusammengetragen. Die Richterin Yvonne Murphy, die sexuellen Missbrauch in der Diözese Dublin untersuchte, befand, dass es eine systematische Vertuschung seitens irischer Bischöfe und des Vatikans gegeben habe.
Dem Klerus, so die Richterin, sei es „vorrangig um die Reputation der Kirche“ gegangen.