Bochum. Auf die Hitze folgt mancherorts der große Knall: Am Montagabend tobten extreme Unwetter mit Starkregen, Hagel und Sturmböen über NRW. Im Ruhrgebiet herrschte am Abend blankes Chaos, tausende Bäume sind umgestürzt. Der komplette Bahnverkehr kam zum Erliegen. Mobilnetze fielen aus.
Deutschland hat das heißeste Pfingsten seit Jahrzehnten erlebt - und ein Unwetter, wie es NRW in dieser Form wohl noch selten erlebt hat. Essen, Duisburg (dort vor allem im Südteil der Stadt) Dortmund, Bochum, Mülheim, Gelsenkirchen, Düsseldorf wurden von extrem schweren Gewittern mit heftigem Starkregen heimgesucht. Böen in Orkanstärke knickten reihenweise Bäume um, hunderte Häuser und Autos wurden beschädigt.
Nach Angaben der Polizei war es der stärkste Sturm in NRW seit Kyrill im Jahre 2007.
In Essen fiel in einigen Stadtteilen der Strom aus, ebenso in Bochum. Vielerorts waren die Straßen derart überflutet, dass an ein Weiterfahren nicht zu denken war. In Gelsenkirchen krachte ein Baum in ein Wohnhaus. In Duisburg schlug ein Baum in ein voll besetztes Auto.
Etliche Augenzeugen berichteten, dass das Unwetter gegen 21 Uhr wie aus dem Nichts in bisher nie gekannter Stärke über die Städte des Ruhrgebiets hereingebrochen ist. Die Schadensmeldungen bei Polizei und Feuerwehr prasselten im Sekundentakt ein.
Tausende Bäume umgeknickt
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Ein genaues Bild können sich die Helfer derzeit noch nicht machen. Alle Kräfte sind im Einsatz. Vor allem die umgestürzten Bäume - es müssen tausende in der Region sein - blockieren etliche Straßen. So war die A40 bei Essen-Holsterhausen in Richtung Duisburg gesperrt. Viele Verkehrsverbindungen stehen zudem unter Wasser - beispielsweise in Gelsenkirchen-Schalke. Die Polizei rechnet mit etlichen Verletzten. In Duisburg bittet die Feuerwehr die Anwohner dringend darum, in ihren Häusern zu bleiben, da immer noch Gefahr von herabstürzenden Ästen ausgeht.
Der gesamte Bahn-Verkehr in NRW kam ab 21.30 Uhr komplett zum Erliegen, da auch etliche Gleise von umgestürzten Bäumen blockiert wurden. In Mülheim-Holthausen krachte die Oberleitung der Straßenbahn auf die Straße. In Gelsenkirchen in der Ringstraße sind die Stromleitungen der Straßenbeleuchtung beschädigt und sorgen für Gefahr.
In mehreren Städten war zeitweise das Handynetz zusammengebrochen. Auch Feuerwehr und andere Rettungskräfte waren zeitweise wegen der überlasteten Leitungen und wegen der vielen Noteinsätze nicht erreichbar.
Der Düsseldorfer Flughafen hat zeitweise sämtliche Flüge storniert. Um 22 Uhr wurde der Flugbetrieb wieder aufgenommen.
Panik auf dem Festival
In Essen-Werden musste das Gelände des Pfingst-Open-Air-Konzertes blitzartig evakuiert werden. Dort feierten tausende Menschen ein bis dahin fröhliches Fest. Es gab Panik-Reaktionen und 20 Verletzte.
Die Schäden allein in Essen dürften insgesamt in die Millionen gehen, das volle Ausmaß wird erst am Dienstag sichtbar werden. Die Feuerwehr war pausenlos im Einsatz, konnte aber nur punktuell helfen. „Wenn Sie uns helfen wollen, ziehen Sie leichteres Geäst von der Straße“, bat die Feuerwehr auf Facebook. „Aber achten Sie auf Ihre Sicherheit!“
Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes wurde Essen besonders hart von Sturm und Regen getroffen, in Bredeney gab es Wind-Spitzengeschwindigkeiten von 120 km/h, in Stoppenberg kamen binnen einer Stunde 21 Liter Wasser pro Quadratmeter herunter.
Polizei sperrte "Birlikte"-Gelände in Köln
Die Gewitterfronten waren von der Eifel aus nach NRW hinein gezogen. Am Abend traf es dann das Ruhrgebiet. Sturzbäche ergossen sich in die Straßen, etliche Häuser wurden unter Wasser gesetzt. Blitze schlugen in Dächer ein.
In Köln musste zuvor die Kundgebung zum Gedenken an den Nagelbombenanschlag vor zehn Jahren wegen einer Unwetterwarnung vorzeitig beendet werden. Es seien Hagel und Sturmböen zu erwarten, wurde den 50 000 Besuchern am Montagabend mitgeteilt. Deshalb müsse die Veranstaltung leider abgebrochen werden - zwei Stunden früher als geplant. Udo Lindenberg und Peter Maffay konnten nicht mehr auftreten. Lindenberg winkte den heimwärts eilenden Besuchern noch von einem Fenster aus zu.
Als Zeichen gegen Rechts hatte Köln am Pfingstwochenende das Fest "Birlikte - Zusammenstehen" organisiert. Es erinnerte an den mutmaßlich vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) verübten Anschlag vom 9. Juni 2004. Dabei waren in der hauptsächlich von Migranten bewohnten Keupstraße 22 Menschen verletzt worden.
Warsteiner Pfingstschützen mussten in Deckung gehen, Schlammlawine in Messinghausen
In Warstein konnte das Vogelschießen beim traditionellen Pfingstschützenfest noch trocken über die Bühne gebracht werden. Der Jungschützen-Vogel fiel mit dem 203. Schuss. Minuten später zogen dunkle Wolken über dem Schützenplatz auf. Ein Gewitter mit Blitz, Donner, Regen und faustdicken Hagelkörnern entlud sich über der Bierstadt. Der geplante Schützenfestzug am späten Nachmittag wurde vorsichtshalber abgesagt. Allerdings schien da bereits wieder die Sonne über Warstein.
Komplett verweht und zerstört wurde bei einem kurzen, aber heftigen Unwetter im Sauerland die Hütten-Ausstellung am Baumarkt im Gewerbegebiet Meschede-Enste. An der früheren Rennstrecke in Nuttlar stürzten sieben Bäume um. Schlimmer traf es den Osten um Brilon: Dort stürzten 14 Bäume um, vier Straßen standen teilweise bis zu 40 Zentimeter unter Wasser. In Messinghausen rutschten 60 Tonnen Schlamm in einer Lawine auf eine Straße, in ein Haus in Obermarsberg schlug der Blitz ein.
130 Kinder mussten Pfadfinder-Lager räumen
Bereits am Sonntag war über Teile des Münsterlands ein Unwetter mit Starkregen, Hagel und Sturmböen hinweggezogen. Allein im Kreis Steinfurt wurde die Feuerwehr zu 25 Einsätzen wegen überfluteter Straßen und heruntergefallener Äste gerufen. In Rheine mussten 130 Kinder etwa eineinhalb Stunden ihr Pfadfinder-Zeltlager verlassen und in einer Turnhalle Unterschlupf suchen. Eine Sturmböe hatte ein leeres Zelt angehoben und umgekippt. Verletzt wurde aber niemand.
Der Bahnverkehr zwischen Greven und Rheine im Münsterland wurde durch einen umgestürzten Baum gestört. Auch auf einem Abschnitt der Bahnverbindung zwischen Aachen und Mönchengladbach blockierte ein umgestürzter Baum die Verbindung. Am Sonntagabend galten zeitweise für Teile des Hochsauerlandkreises und des Siegerlandes Unwetterwarnungen der höchsten Warnstufe.
Ein Blitz hat am Montag im rheinischen Erkelenz das Dach eines Einfamilienhauses in Brand gesetzt. Die Bewohner hätten sich unverletzt ins Freie retten können, teilte die Polizei im Kreis Heinsberg am Montag mit. An dem Dach sei ein erheblicher Brandschaden entstanden. Zudem sei durch die Löscharbeiten ein Wasserschaden in dem Gebäude entstanden. Der Gesamtschaden werde auf etwa 300 000 Euro geschätzt.
Schwül-heiße Luft als Wetter-Wundertüte
Die schwül-heiße Luft sei eine Wundertüte, erklärt Wetterexperte Jürgen Weiss von der Meteogroup in Bochum. Das bedeutet, dass Unwetter möglich sind - wann und wo genau sie herunterkommen, lässt sich aber nicht vorhersehen.
Am Sonntagmittag und -nachmittag streifte bereits ein Gewittergebiet den Westen des Ruhrgebiets, den Niederrhein, das Münsterland und - schlecht für die Holland-Urlauber - die Benelux-Staaten. Am Nachmittag wurde das Wetter in Nordrhein-Westfalen wieder freundlicher.
Am Pfingstmontag blieb das explosive Gemisch aus Hitze und Feuchtigkeit bestehen — in ganz NRW. Am Dienstag sinken dann zwar die Temperaturen, aber nicht das Gewitterrisiko: Es bleibt weiter gefährlich, bei immer noch schwülen 25 bis 29 Grad.
In Portugal war es kühler als in Deutschland
In Portugal war es am Sonntag laut DWD mit 22 bis 26 Grad deutlich kühler, in Spanien und Italien lagen die Werte mit etwas über 30 Grad ähnlich hoch wie in Deutschland. Hier war es am Samstag im Schwarzwald am heißesten: Rekordhalter war Emmendingen-Mundingen mit 32,8 Grad am Nachmittag. In der Nacht fielen die Temperaturen nirgendwo unter 15 Grad, am wärmsten blieb es mit 21,6 Grad im Weinbiet in Rheinland-Pfalz.
Seit 1961 führt der DWD eine Statistik über das Pfingstwetter. Das Datum ist nicht immer gleich: Pfingsten gehört zu den beweglichen Festen und ist immer sieben Wochen nach Ostern. Bisher war Pfingsten 1979 mit bis zu 33,9 Grad am heißesten, dicht gefolgt von den Jahren 2000 und 2003. (mit dpa)