Essen. Die Betreiber der Kläranlagen an der Ruhr fordern eine Verschärfung der Rezeptpflicht. So soll die Belastung des Trinkwassers mit Arzneimittelrückständen gesenkt werden. Eine Erhebung hat ergeben, dass fast jeder Zweite Reste von Tabletten und Tinkturen über Klo oder Waschbecken entsorgt.

Antibiotika, Blutdrucksenker, Psychopharmaka oder Schmerzmittel: Was Ärzte verschreiben, landet tonnenweise in der Kanalisation. 47 Prozent der Deutschen kippen flüssige Arzneireste immer mal wieder in die Spüle oder die Toilette. Das zeigt eine Umfrage des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung, ISOE. Die Folge: Im Trinkwasser wabern Spuren von Arzneien.

Die Verbraucher müssten umdenken, meint Konrad Götz, der die Befragung von 2000 Bürgern geleitet hat. „Das heißt: die Medikamente, die nicht mehr gebraucht werden, müssen in den Hausmüll geworfen werden.“ Mit ihm würden sie dann verbrannt und alle Wirkstoffe „restlos zerstört“. Das machten aber gerade mal 15 Prozent immer richtig. Götz stützt sich auf eine Empfehlung der Bundesregierung.

150 Arzneimittelwirkstoffe im Wasser entdeckt

Viele Arzneien werden vom Körper ohnehin nur unvollständig aufgenommen. Substanzen werden wieder ausgeschieden. Die Belastung für die Umwelt wird umso größer, je mehr alte Arzneien darüber hinaus die Toilette runter gespült werden.

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Da kommt ein wahrer Medikamentencocktail zusammen. Mehr als 90.000 Arzneimittel sind in Deutschland zugelassen. Allein im Jahr 2013 wurden 1,4 Milliarden Packungen von Medikamenten in Apotheken verkauft. Die Wirkstoffe darin sind zumeist biologisch schwer abbaubar und hochwirksam. Die Reste von ihnen rauschen durch die Kläranlagen und halten sich im Wasserkreislauf: Mit dem gesäuberten Wasser fließen sie direkt in Flüsse und Seen, sickern ins Grundwasser, tauchen später auch im Trinkwasser auf. Etwa 150 Arzneimittelwirkstoffe haben Wissenschaftler in Flüssen, Bächen, Seen und im Trinkwasser schon entdeckt.

Ähnlich der Konzentration eines Zuckerwürfels im 50-Meter-Schwimmbecken

Zwar messen die Analytiker Werte, die für den Menschen kein akutes Risiko bedeuten. Heidrun Becker, Sprecherin von Gelsenwasser, Deutschlands größtem Wasserversorger, meint: „Die Rückstände sind so gering, dass sie zur Zeit kein Problem darstellen“. Auch der Sprecher des Umweltbundesamtes (UBA), Stephan Gabriel Haufe, erklärt: „Pro Liter Wasser handelt sich um Bruchteile von Mikrogramm.“ Das entspreche der Konzentration eines Zuckerwürfels in einem 50-Meter-Schwimmbecken. Aber über den Schaden, der nach längerer Zeit entstehen kann, ist sich niemand im Klaren.

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Forscher attestieren keine Unbedenklichkeit. Zumal Studien zeigen, wie Tiere und Pflanzen leiden: Die Verweiblichung von Fischen führen Experten auf Hormonreste der Pille zurück, Nierenschäden bei Karpfen und Forellen auf das schmerzstillende Mittel Diclofenac, das auch in Sportsalben steckt. Und Flussbarsche werden offenbar mutiger, wenn sie Rückstände des Medikamentes Diazepam fressen, das gegen Schlafstörungen helfen soll.

Das Problem werde größer, warnt NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne), da die Gesellschaft immer älter werde und der medizinische Fortschritt voranschreite. Schon vor gut zwei Jahren hatte sich das Land NRW mit den Versorgern geeinigt, die Wasserwerke entlang der Ruhr für mehr als 200 Millionen Euro aufzurüsten. Auch über die Aufrüstung von Kläranlagen mit Aktivkohlefilter und Ozonierung wird seit Jahren debattiert.

Neue Verfahren filtern 60 bis 90 Prozent der Substanzen

Zugleich werden neue Techniken erprobt. Etwa in Schwerte. Markus Rüdel, Sprecher des Ruhrverbandes, der die Kläranlagen in der Region betreibt, sagt: „Je nach Art der Substanz erreichen wir mit neuen Verfahrenstechniken Reduktionsleistungen von 60 bis 90 Prozent.“ Ein Rest bleibt also immer.

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Rüdel meint denn auch: „Man muss an der Quelle ansetzen“. Sein Beispiel Diclofenac. Das Schmerzmittel sei in allen Flüssen und Bächen zu finden. Kein Wunder, laut Rüdel: „Die Substanz steckt in Sportlersalben wie Voltaren, die frei erhältlich sind“. Nur eine „Rezeptpflicht“ für solche Salben könne die Menge reduzieren.

Die Frage, wohin mit alten Salben, bleibt. Am besten, so sagen Götz und Experten des Umweltbundesamtes, wäre ein „Zurück zum alten System“. Bis zum Jahr 2009 konnten Pillen und mehr in Apotheken zurückgegeben werden, die Pharmaindustrie kümmerte sich selbst um die professionelle Entsorgung. Doch dann brach die Finanzierung zusammen, das System wurde aufgekündigt. Apotheker bieten das allenfalls noch als guten Service an. Das Bundesumweltministerium erteilt einem flächendeckenden Sammelsystem in Apotheken aber eine Absage. Es gebe keine „ökologische Notwendigkeit“ dafür, erklärte eine Sprecherin, „wenn Medikamente im Hausmüll entsorgt werden“. Bleibt noch eins: Das eigene Medikamentenschränkchen nur mit dem Nötigsten zu füllen.