Köln. . Ein Film über Mobbing unter Schülern ist „Neufeld, mitkommen!“ im Ersten. Aber eigentlich ist er viel mehr: eine Tragödie von klassischem Ausmaß. Für die Figuren des Dramas gibt es kein Entrinnen. Regisseur Tim Trageser macht in dem Film klar, warum.
Vielfach und vielfach durchaus verdient hat das deutsche Fernsehen das Thema Mobbing behandelt. Und doch ist beim „Filmmittwoch im Ersten“ ein außergewöhnlicher Zugriff zu sehen. Denn „Neufeld, mitkommen!“ (ARD, Mittwoch, 20.15 Uhr) folgt in seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur großen Vorbildern. Gleich dem analytischen Drama von „Ödipus“ bis zu Kleists „Krug“ macht die Katastrophe den unsichtbaren Anfang. Wir sehen nur ihre Folgen, erst dann schält sich nach und nach heraus, wie alles geschah.
Und so fordert uns die auf Tatsachen basierende Geschichte des Schülers Nick Neufeld vor allem Geduld ab. Es ist alles so normal, so durchschnittsdeutsch und ruhig. Die Ruhe ist vielleicht der lauteste Hilfeschrei eines Jungen namens Nick, den Mitschüler im Schulgebäude über einen langen Zeitraum gefoltert haben, ohne dass es einem Erwachsenen auffiel.
Ruhig ist Nick, weil die Scham größer ist als der Mut. Ruhig ist er, weil das Gutgemeinte ihn noch mehr verschließt: Als ein Gericht die Täter mit Gartenarbeit straft, findet Nicks Vater, dass man die Sache nun auch mal gut sein lassen müsse und kauft ein schickes Rad. Die Mutter aber wird zur unerbittlichen Rächerin. Beide verfehlen das Ziel, beide forcieren die Isolation einer geschundenen Kinderseele.
Regisseur gibt Verzweiflung ein Alltagsgesicht
„Neufeld, mitkommen!“ zieht einen fast soghaft hinein in die Rat- und Hilflosigkeit einer Tragödie von nebenan. Das ist umso erstaunlicher als seine Mittel diskret, ja fast beiläufig sind. Weder nimmt uns Eckhard Jansens Kamera perspektivisch in moralische Geiselhaft, noch kommt das Buch von Kathi Liers und Jana Simon mit einfachen Lösungen.
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Im Gegenteil: Immer, wenn wir glauben, das Übel an der Wurzel zu haben, schlägt diese Erzählung eines Phänomens, das in Deutschland längst Schulalltag geworden ist, den nächste Haken. Es ist nicht nur reine Notwehr, als Mutter Neufeld Nicks junge Lehrerin mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde droht und die Pädagogin trocken sagt: „Sie haben doch auch nichts gemerkt.“
Tim Tragesers Regie findet einen unaufgeregten Ton für den Stoff. Das macht ihn nicht schwächer, es stärkt ihn. Trageser gibt der Verzweiflung, der Hilflosigkeit auf jeder Seite ein Alltagsgesicht ohne Horror-Schminke. Er nimmt sich Zeit, Schweigen bis zum Nichtaushalten zuzulassen, am Küchentisch, im Therapiezimmer. Es fügt sich, dass eher unverbrauchte Fernsehgesichter (allen voran Christina Große als Mutter) den Film bestücken. Sie geben ihm Glaubwürdigkeit und stehen für eine Realitätsnähe, die der Hauptsendeschiene ein kritisches, wertvolles Stück Fernsehen schenkt, das selbst dem finalen Frieden nicht ganz traut.