Berlin. Im Großen und Ganzen geht es den Familien in Deutschland gut. Zu diesem Ergebnis kommt die dritte AOK-Familienstudie, die die Krankenkasse am Donnerstag in Berlin vorgestellt hat. Danach zeichnet sich seit der letzten Umfrage vor gut drei Jahren in fast allen Bereichen ein positiver Trend ab.
In einer perfekten Welt wäre es so: Eltern bieten ihren Kindern ein festes Gerüst schöner Gewohnheiten, bewegen sich reichlich mit ihnen, haben regelmäßig Familienzeit, aber auch Zeit allein mit dem Partner und für sich.
Die AOK-Familienstudie 2014 zeigt aber, was die meisten der rund acht Millionen Eltern minderjähriger Kinder ohnehin wissen dürften: Die Welt ist nicht immer ideal. Was vielen vielleicht bisher nicht so klar war: Stress, Partnerprobleme und fehlende Rituale können direkt zu Gesundheitsproblemen bei den Kindern beitragen.
Jeweils mehr als eine halbe Stunde lang befragt wurden 1503 Menschen, die daheim mindestens ein Kind haben. Schon wen das von der AOK beauftragte Sinus-Institut dabei am Telefon erreichte, ist ein erstes Ergebnis: Nur jeder vierte Studienteilnehmer war ein Vater - bei der Vorgängerstudie vor vier Jahren war sogar nur jeder fünfte ein Mann.
Familie macht glücklich
Wenn die Erziehung also auch ungleich verteilt ist, ist ein Befund zunächst einmal für alle Beteiligten beruhigend: Familie macht anscheinend viele glücklich. 70 Prozent der Eltern in Paarfamilien sagen, sie fühlten sich gut oder sehr gut. 95 Prozent sind zufrieden.
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"Zufriedene Eltern sind auch gesünder", sagt die Hamburger Gesundheitspsychologin Ulrike Ravens-Sieberer. Und Eltern, die mit ihrem Familienleben zufrieden sind, haben nur zu 19 Prozent Kinder mit Gesundheitsproblemen - aber 35 Prozent der unzufriedenen Eltern.
In den Familien läuft aus Sicht der Eltern vieles rund. Schöne Momente gibt es bei rund 80 Prozent oft bei gemeinsamen Mahlzeiten und Gesprächen mit dem Kind - und bei zwei Dritteln oder mehr bei gemeinsamen Ausflügen, beim Vorlesen oder Spielen.
Immerhin noch 45 Prozent geben an, gemeinsam mit den Kindern Essen zu machen. Neun von zehn Eltern sagen auch, die Zeit der Kinder vor Fernseher oder Computer zu begrenzen. Immerhin zwei Drittel meinen, sie seien über die Mediennutzung ihres Kindes voll im Bild. Ist Familie in Deutschland heute also doch ein ziemlich perfektes Terrain?
Jedes fünfte Kind trotzdem krank
Die Antworten der Eltern geben auch starke Hinweise auf Probleme und werfen sogar ein Licht in Abgründe. Jedes fünfte Kind hat regelmäßig zwei oder mehr der folgenden Symptome: Gereiztheit, Einschlafstörungen, Nervosität, Bauch-, Kopf- oder Rückenschmerzen, Unwohlsein oder Schwindel. Sie gelten nach einer allgemein anerkannten Skala somit als betroffen von Gesundheitsbeschwerden. Woran liegt das?
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Die Studienautoren können keine systematische Ursachenanalyse liefern. Sozialschwächere sollen stärker betroffen sein. Die Elternbefragung gibt vor allem Hinweise auf Ursachen im Empfinden der Menschen. So sind zum Beispiel viele Alleinerziehende wenig zufrieden: zwei von zehn.
Und so ist bei fast der Hälfte der Eltern Stress zur echten Belastung geworden. "Das hängt unmittelbar damit zusammen, dass es schwierig ist, den Familienalltag so zu organisieren, dass man Beruf und Familie, aber auch den sogenannten Freizeitstress, zusammenbekommt", sagt AOK-Chef Jürgen Graalmann.
Flexibles Arbeiten und Anerkennung im Job
Allerdings hat erst vor einem Monat eine andere Krankenkassen-Studie gezeigt, dass Stress in der Rushhour des Lebens nicht unbedingt auf die Kinder zurückzuführen ist: Laut DAK-Gesundheitsreport spüren ein Fünftel der Frauen und etwas weniger Männer zwischen Mitte 20 und Anfang 40 chronischen Stress - egal ob mit oder ohne Kindern. Flexibles Arbeiten und Anerkennung im Job können da hilfreich sein.
Warum auch immer - viele Eltern machen laut der neuen Befragung traurig wenig mit ihren Kindern. Deren Krankheitsrisiken steigen so. Zwölf Prozent geben zu, dass sie mit ihren Kindern überhaupt keine schönen Rituale entwickelt oder Regeln vereinbart hätten.
Mehr als jeder zehnte geht höchstens einmal im Monat mit seinem Kind spazieren, fährt mit ihm zusammen Rad oder bewegt sich anders. Für Kinder aber, die in der einen oder anderen Weise vernachlässigt werden, eröffnet sich kaum eine perfekte Welt. (dpa)