Essen. Die Hormone der Schilddrüse steuern den Stoffwechsel des Körpers. Sie sind für alle wichtigen Prozesse in unserem Körper zuständig. Funktionsstörungen sind jedoch nicht immer leicht zu erkennen. Ein großes Problem: Auch die unterschiedliche Grenzwerte der Laboratorien schaffen Verunsicherung.
Unser Herz braucht sie, unser Gehirn, unsere Muskeln und Knochen – die Liste könnte noch endlos weitergeführt werden: Die Hormone, die die Schilddrüse (lateinisch: Glandula Thyreoidea) bildet, sind für sämtliche Stoffwechselprozesse in unserem Körper zuständig.
Das Trijodthyronin (kurz: T3) und Tetrajodthyronin (T4) sind wohl die bekanntesten Hormone des nur 15 bis 60 Gramm schweren Organs und unterscheiden sich durch ihre Ladung an Jod-Atomen. Das Spurenelement Jod ist unabdingbar für die Hormonproduktion, darum ist die Zufuhr von jodhaltigen Lebensmitteln auch in unserer Region immer noch wichtig, betont die Direktorin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Uniklinikum Essen, Professorin Dagmar Führer. Mittlerweile führt die Industrie zwar vielen Lebensmitteln Jodsalz zu, aber „es gibt einen Trend, dass Großkonzerne die Jodierung reduzieren, weil sie auch in andere Länder exportieren, wo dies nicht erwünscht ist“, sagt die Endokrinologin.
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Von der Schilddrüse aus finden T3 und T4 über die Blutbahn ihren Weg zu den Zielorganen. Vor allem T3 ist biologisch besonders wirksam, das ist auch der Grund, warum T4 in der Leber und den Zielzellen zu T3 umgewandelt wird. Gelangt es in den Zellkern, aktiviert es dort Gene und regt die Bildung von Eiweißen und damit den Stoffwechsel an. Doch bei einigen Menschen funktioniert dieser Kreislauf nicht einwandfrei. So bei einer Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse. „Bei der Unterfunktion stellt die Drüse zu wenig Hormone her, so dass sich der gesamte Stoffwechsel verlangsamt“, sagt Dagmar Führer. Meistens entwickelt sich eine Unterfunktion im Laufe des Lebens, nur selten ist sie angeboren.
Befehl von oben
Unterscheiden müsse man zwischen einer latenten und einer manifesten, also absolut erkennbaren Funktionsstörung, bei der die Schilddrüsenhormone erniedrigt sind. Der erste Schritt zur Diagnose ist dabei eine Blutuntersuchung, bei der freies T3 und T4 sowie das TSH bestimmt werden. TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) ist ein in der Hirnanhangdrüse produziertes Hormon. Es stimuliert die Schilddrüse, Hormone zu bilden und freizusetzen.
Bei der Blutuntersuchung ist der TSH-Wert ein wichtiges Kriterium, denn er verrät, ob eine Schilddrüsenunterfunktion oder -überfunktion vorliegt. Liegt der Wert über dem Normbereich, ist dies ein Hinweis dafür, dass zu wenig T3 und T4 in den Zellen ankommt. Deswegen wird verstärkt TSH ausgeschüttet, um der Schilddrüse zu signalisieren: Produziere mehr Hormone!
Bei der Unterfunktion gibt es allerdings einen großen Graubereich – aus verschiedenen Gründen: „In Deutschland kommen in den Laboratorien etwa 38 verschiedene Messverfahren für die Bestimmung des Hormonspiegels im Blut zur Anwendung“, so Führer. Je nach Testmethode des jeweiligen Labors, variiert aber der Normbereich des TSH. Absolute Werte können so zwischen den Laboren nicht immer verglichen werden. Ein weltweites Problem, das Patienten verunsichert. Hinzukommt, dass der TSH-Wert mit dem Lebensalter variiert. Es ist also ganz normal, dass ein 80-jähriger Mann einen höheren TSH-Spiegel hat als ein 30-Jähriger. Schwankt die Konzentration, kann dies natürliche Ursachen haben. Die Uhrzeit der Blutentnahme spielt eine Rolle, die genetischen individuellen Merkmale sowie Medikamente, die den Hormonhaushalt beeinflussen. „Wichtig ist immer, was der Patient selber empfindet, wie ist sein persönlicher Wohlfühlbereich?“, sagt Dagmar Führer. „Wir behandeln schließlich nicht Laborwerte, sondern Menschen.“
Gegenspieler entdeckt
Die Symptome einer Unterfunktion sind vielfältig und vor allem bei älteren Menschen nicht immer leicht der Schilddrüse zuzuordnen. Sie reichen von Müdigkeit bis hin zu Muskelschwäche, Fettstoffwechselstörungen und Haarausfall. Die Ursache für eine manifeste, dauerhafte Unterfunktion ist in vielen Fällen eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, die Hashimoto Thyreoiditis. „Ansonsten muss man noch an zurückliegende Schilddrüsenoperationen oder Radiojodtherapien denken, die Schilddrüsengewebe zerstört hat“, so Führer. Die Therapie besteht darin, die fehlenden Hormone zu ersetzen. In diesem Fall sind die richtige Einstellung der Dosis sowie eine konsequente Überwachung der Blutwerte entscheidend. „Schwangere müssen ihre Dosis zum Beispiel um 50 Prozent steigern.“
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Warum bei jedem Menschen die Hormongabe unterschiedlich wirkt, beschäftigt aktuell die Wissenschaft. „Wir sind dabei herauszufinden, welche Transport-Proteine die Hormone in die Zelle schleusen und welche Prozesse eine Rolle spielen“, sagt Dagmar Führer. Außerdem wurden neue Schilddrüsenhormone identifiziert, so genannte kalte Hormone, Gegenspieler von T3 und T4. Die Erforschung dieser Hormone sei wichtig, um Hormonmix-Therapien zu entwickeln und die Behandlungen verschiedener Erkrankungen der Schilddrüse zu optimieren.
Die Überfunktion
Die Überfunktion der Schilddrüse geht im Gegensatz zur Unterfunktion mit einer „Hormonüberdosis“ einher. Die Patienten schwitzen viel, sind unruhig, leiden an einem hohen Puls. „Die Gründe liegen bei älteren Personen oftmals bei heißen Knoten in der Schilddrüse, die überschießend Hormone produzieren“ , erklärt Dagmar Führer. Alles, was heiße Knoten noch „befeuert“, müsse unbedingt vermieden werden, sagt die Expertin. Dazu gehören jodhaltige Kontrastmittel bei radiologischen Untersuchungen.
Jüngere Menschen leiden eher an einer Überfunktion durch Autoimmunerkrankungen wie dem Morbus Basedow. Besonders problematisch sei hier die Augenmanifestation, die so genannte Endokrine Orbitopathie. „Diese Patienten brauchen unbedingt eine Behandlung beim Spezialisten.“