Washington. . Plaudernder Komödiant im Blaumann: Jay Leno, Amerikas König der Spätabendunterhaltung, gibt nach über 20 Jahren die „Tonight Show“ ab. Kein Promi aus Unterhaltung, Sport und Politik, der nicht bei ihm gewesen wäre. Zum Abschied kommen Garth Brooks und Billy Crystal.

Bei den frühen Rolling Stones gab es einen Pianisten. Ian Stewart. Solide an den Tasten, aber kolossales Kinn. Passte nicht neben sexy Mick Jagger und Keith Richards, fanden die Manager. Und warfen ihn raus. Bei James Douglas Muir Leno, kurz Jay, erwiesen sich solche reinen Äußerlichkeiten als Segen. Weil der Sohn eines italienischen Versicherungsangestellten und einer schottischen Hausfrau mit einem dominanten Unterkiefer im verschmitzten Radio-Gesicht ausgestattet ist, verbannte der amerikanische Fernsehsender NBC den gelernten Automechaniker auf dem Bildschirm in die Zeit, wenn Kinder schon im Bett liegen. Volltreffer.

Über 22 Jahre hat Jay Leno die „Tonight Show“ zur einflussreichsten Kanzel der Spätabendunterhaltung geformt. Kein Promi aus Unterhaltung, Sport und Politik, der nicht bei ihm gewesen wäre. Heute schickt die Fernsehrepublik ihren ausgeschlafensten Hofnarren in Rente. Und lässt sich zum letzten Mal zu einem Gottesdienst-ähnlichen Ritual bitten.

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Den Anfang macht der schon von Vorgänger-Legende Johnny Carson gepflegte Monolog. Politische Witzeleien im Stehen, die zwicken, aber bei keiner Partei blaue Flecken hinterlassen. Danach wird Leno wie ein Psychiater hinter seinem Schreibtisch Platz und einen Schluck Kaffee nehmen, sich über Stilblüten in den Zeitungen mokieren und mit Rickey Minor blödeln, dem Boss der Studio-Band.

Zum Abschied kommen Garth Brooks und Billy Crystal

Ob er per Straßenumfrage wieder die Weltfremdheit seiner Landsleute durch den Kakao zieht, stand gestern noch nicht fest. Im Gegensatz zu Garth Brooks. Der Country-Star gibt den musikalischen Rausschmeißer. Vorher bittet der Hausherr wie in seiner ersten „Tonight Show“ 1992 den Komödianten Billy Crystal („Harry und Sally“) aufs Sofa und tut, was in Deutschland bis heute niemand hingekriegt hat: angenehm temperiert plaudern.

Leno hat es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht. Regelmäßig 3,5 Millionen Amerikaner bezogen zuletzt bei ihm werktags ab 23.35 Uhr ihre Weltanschauungen, ließen sich die schrägen und schaurigen Meldungen des Tages leicht verdaulich kredenzen und mit einem Lächeln auf den Lippen in die Kissen schicken. NBC brachte das jährliche Werbeerlöse von 200 Millionen Dollar. 15 davon, sagt man, kriegte zuletzt der Chef ab. Millionen. Dafür arbeitete Leno härter als die Konkurrenz.

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Jeden Sonntag ging der 63-Jährige in den Comedy & Magic-Club in Hermosa Beach, südlich von Los Angeles. Sein Versuchslabor. Auf der kleinen Bühne probierte er mit Spickzetteln aus, ob ankommt, was ihm Intuition und Gagschreiber eingaben. Wer dort war und tags darauf ein Ticket für die gegen 17 Uhr in Universal City aufgenommene Sendung ergattern konnte, weiß: gute Witze sind Schwerstarbeit. Ausschussware gehört dazu. Gefeilt wird immer. Gebuht trotzdem. Qualität halten ist alles.

So wird man zum Nationalheiligtum

Leno hält bis zum Schluss. Präsidenten kriegen die USA alle vier Jahre neu. Leno ist seit 60 Jahren erst der vierte Leithammel der „Tonight Show“, die jetzt unter der Führung des begnadet talentierten Jimmy Fallon nach New York rübermacht. Eine Zeitenwende. Als Leno anfing, war sein Haar dunkel und Präsident zuverlässig ein Weißer. Am letzten Arbeitstag ist er grau, und im Oval Office sitzt Barack Obama. Er war 2009 der erste Präsident, der in eine Late-Night-Show ging. Natürlich zu Leno.

Sein Erfolgsrezept? Keine Skandale. Leno raucht nicht, trinkt nicht und ist seit über 30 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet. Marvis. Mehr als vier Stunden Schlaf gönnt er sich nie. Statt Müsli frühstückt er Nachrichten. Politik, Sport, Kurioses. Ein Komödiant im Blaumann, der die kleinen Leute versteht. So wird man groß. Mit einer Viertelmilliarde Dollar ist Lenos Vermögen gut taxiert. Einziger Spleen: ein Wagenpark mit 130 Jaguars, Lamborghinis und seltenen Oldtimern.

Der private Leno ist dem im Fernsehen ähnlich. Anders als die quotenmäßig nachtrödelnden Mitbewerber, allen voran David Letterman, macht Leno nie den Grobian. Mr. Nice Guy will keinem übel. Nur Spaß, der funktioniert. So wird man zum National-Heiligtum. Auch mit so einem Kinn.