Washington. Nach 20 Jahren Erfolg mit Late-Night-Talker Jay Leno will der US-Sender NBC jüngeres Publikum locken: Komiker Jimmy Fallon soll den Sendeplatz übernehmen. Der Mann mit überdurchschnittlichem Humor-Potenzial macht selten Witze auf Kosten anderer - und zieht sich gern auf coole, unangestrengte Weise selbst amüsant durch den Kakao.

Es gibt Dinge in Amerika, die sind so vertraut, so erfolgreich und so berechenbar, dass man sie ewig so lassen könnte wie sie sind. Jay Leno zum Beispiel. Seit mehr als 20 Jahren steigt der Mann mit dem kolossalen Kinn montags bis freitags spätabends in ein paar Millionen Fernseh-Wohnzimmer und liefert mit einer onkelhaften Mischung aus einstudierter Comedy, prominenten Studiogästen und ein bisschen Live-Musik gediegene Zerstreuung. Wer danach nicht zeitnah einschlafen kann, sollte ernsthaft zum Arzt gehen.

Lenos Heimatsender NBC hat jetzt die Zeitenwende eingeläutet. Nach den Olympischen Winterspielen in Sotschi räumt der erfolgreichste Late-Night-Talkshow-Gastgeber der USA im nächsten Frühjahr den mit zweistelligem Millionensalär bezahlten Sessel hinter dem Großschreibtisch im kalifornischen Burbank. Notgedrungen. NBC legt die „Tonight Show“ in jüngere Hände. Jimmy Fallon (38), der sich seine Sporen einst in der Kult-Reihe „Saturday Night Live“ verdient hat und mit schauspielerischer Leichtigkeit selbst eine Spätabends-Show auf NBC aus New York führt, wird die graue Eminenz (62) beerben. Der in New York geborene Komödiant soll jüngere Publikumsschichten an einen der begehrtesten Sendeplätze binden.

FernsehenSender NBC will sich weiter verjüngen

NBC schreibt damit die Verjüngungskur fort, die der andere große Sender ABC mit dem 45 Jahren alten Jimmy Kimmel bereits vollzogen hat. Spekulationen über den Wechsel füllten seit Tagen die Nachrichten. Auslöser waren Indiskretionen aus NBC-Kreisen, die Leno wie ein Déjà-vu vorkommen mussten. 2009 sollte der Nachfolger des legendären Johnny Carson schon einmal in die Programmwüste geschickt werden. Als Ersatz hatten sich die NBC-Oberen den schrägen Rotschopf Conan O'Brien ausgeguckt. Das Manöver ging schief, die Quote stürzte ab. Nach tiefen Verletzungen und millionenschweren Abfindungen für O‘Brien war Leno wenige Monate später wieder an seinem angestammten Platz.

Mit Erfolg. Bis heute hält der steinreiche Liebhaber erlesener Autos die Spitzenposition in der Labertaschen-Liga, ohne die in Deutschland ein Harald Schmidt niemals möglich gewesen wäre. Sehr zum Leidwesen von Lenos Intimfeind David Letterman. Der andere Dinosaurier in der Branche gibt seinen Alterssenf zum Tage allabendlich auf dem Sender CBS dazu; nur nicht so milde.

Nachfolger Fallon hat überduchschnittliches Humor-Potenzial

Für Lenos Stammpublikum (Altersklasse: 55 und aufwärts) bedeutet die Personalie eine Revolution. Der Eröffnungsmonolog mit den bissigen Polit-Witzen, die albernsten Zeitungs-Schlagzeilen des Tages, die notorischen Einspieler, in denen Leno auf der Straße die Ignoranz seiner Landsleute bloßstellt, die Plauderrunden mit Promis aus dem Showgeschäft, die sich ständiger Samthandschuhbehandlung gewiss sein dürfen - alles bald perdu. Noch dazu zieht die komplette Show von Kalifornien an den Rockefeller Plaza in Manhattan um.

Fallon, ein Mann mit überdurchschnittlichem Humor-Potenzial, macht selten Witze auf Kosten anderer. Der in Brooklyn groß gewordene Spaßvogel verdankt seinen tadellosen Ruf der Fähigkeit, sich auf coole, unangestrengte Weise selbst amüsant durch den Kakao zu können. In einer mit den sozialen Medien und ihrer Videolastigkeit bestens kompatiblen Entertainer-Qualität erzeugt er das, was selten geworden ist im durchkonfektionierten US-Fernsehen: gute Laune ohne Beigeschmack. Jüngster Höhepunkt: Verkleidet als Mutti-Hausfrau und begleitet von seiner begnadet musikalischen Studioband „The Roots“ legte er mit Präsidenten-Gattin Michelle Obama einen grandiosen Tanz aufs Parkett. Fallon macht sich nicht lustig über andere. Er ist es.

Lenos verklemmte Sprödigkeit wird trotzdem vielen fehlen. Kinn hoch, Jay.