Boston.. Terroristische Verschwörung, Einsatz von Massenvernichtungswaffen, mehrfacher Mord: Gegen den mutmaßlichen Bombenleger des Boston-Marathons, Dschohar Zarnajew, liegt eine lange Liste mit Anklagepunkten vor. Seine Anwältin ist Expertin darin, die Todesstrafe abzuwenden.
Vierfacher Mord, 260-fache, teilweise schwerste Körperverletzung, terroristische Verschwörung, Gebrauch von Massenvernichtungswaffen. Und so weiter und so fort. Auf 17 der 30 verlesenen Anklagepunkte, die Dschohar Zarnajew im Joseph Moakley Courthouse am Bostoner Hafen über sich ergehen lassen musste, steht im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe.
Wann der Prozess gegen den 19-jährigen mutmaßlichen Mit-Attentäter des weltweit registrierten Bombenanschlags auf den Marathonlauf von Boston am 15. April beginnt, steht noch in den Sternen. Schon heute zeichnet sich ab, dass der gebürtige Tschetschene der Maximalstrafe entgehen wird. Zum einen werden auf der Bundesebene in den USA zum Tode Verurteilte nur äußerst selten hingerichtet. Seit 1988 sind drei Fälle bekannt. Und zum anderen gibt es da Judy Clarke.
Ausnahmekönnerin Clarke
Die Anwältin gehört zu den Ausnahme-Könnerinnen ihres Fachs. Seit fast 30 Jahren kümmert sich die 60-Jährige um scheinbar hoffnungslose Fälle. „Ein Engel für die Teufel“, hat sie ein Reporter genannt.
Ob der Una-Bomber Ted Kaczynski, der zwischen 1978 und 1995 mit Paketbomben drei Menschen getötet hatte, oder Eric Rudolph, der 1996 an den Attentaten auf die Olympischen Spiele von Atlanta beteiligt war, ob Zacarias Moussaoui, einer der Drahtzieher für die Terror-Anschläge vom 11. September 2001, oder Susan Smith, die 1994 zwei Söhne ertränkt hatte – die aus Asheville in North Carolina stammende Juristin sorgte mit ihrer von Kollegen schlicht als „genial“ bezeichneten Arbeit immer wieder dafür, dass lebenslängliche Haftstrafen für ihre Mandanten herauskamen. Und nicht die Giftspritze.
Angehörige der Opfer von Boston, die dem ersten öffentlichen Auftritt Zarnajews nach seiner Festnahme zusahen, fordern genau Letzteres. „Ich hätte ihn am liebsten am Genick gepackt“, sagte ein Freund des von Zarnajew und dessen Bruder Tamerlan während der Flucht erschossenen Polizisten Sean Collier den Reportern des „Boston Globe“. Liz Norden, Mutter von zwei Jungen, denen die Detonation der selbst gebastelten Rucksack-Bomben der Zarnajews jeweils ein Bein abgerissen hatten, empörte sich: „Sein Anblick macht mich krank bis auf die Knochen.“
Sieben Mal plädiert Zarnajew auf "nicht schuldig"
Wie sich der Angeklagte bei der siebenminütigen Pflichtveranstaltung verhielt, trieb vielen die Zornesröte ins Gesicht. Keine Geste der Reue. Stattdessen Augen verdrehen, gelangweilt tun und den beiden Schwestern im Zuschauerraum Luftküsschen zuwerfen. Als der Staatsanwalt die Anklagepunkte verlas, und die Richterin in jedem Einzelfall nachfragte: „Wie bekennen Sie sich?“, gab Zarnajew sieben Mal regungslos zurück: „Not guilty“ – „nicht schuldig“.
Die Anklage kündigte an, mit Hilfe von bis zu 100 Zeugen das Gegenteil beweisen zu wollen. Dschohar und sein bei der Flucht ums Leben gekommener Bruder Tamerlan sollen aus islamistisch motivierter Rache für das Engagement des US-Militärs in Afghanistan und andernorts bewusst gemordet haben.
Ob Justizminister Eric Holder für den amerikanischen Staat die Todesstrafe beantragen wird, ist noch unklar. Mit dem verlangten Strafmaß würde eine Jury konfrontiert, in der ein einziger Geschworener ausreicht, um den Plan – im Falle einer Verurteilung – zu durchkreuzen. Und das in einem Bundesstaat, Massachusetts, der politisch als hochliberal gilt und zuletzt vor 66 Jahren die Todesstrafe exekutieren ließ. Judy Clarke wird sich auch das zu Nutze machen.