Istanbul. . Im Osten und Südosten Anatoliens ist nach Schätzungen jede dritte Braut minderjährig. Bereits elfjährige Mädchen werden zwangsverheiratet. Nun starb eine 14-jährige unter mysteriösen Umständen - und es wird wieder über ein Verbot solcher Ehen diskutiert. Viel Hoffnung besteht nicht.
Der gewaltsame Tod einer minderjährigen Mutter, die gerade ihr zweites Kind bekommen hatte, wirft ein Schlaglicht auf die in der Türkei weit verbreitete Praxis der Zwangsehen. Vor allem im Osten und Südosten Anatoliens werden Mädchen häufig schon als Kinder verheiratet.
Anfang Januar hatte Kader E. ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Wenige Tage nach der Geburt starb das Baby. Am 10. Januar fand man die junge Mutter tot in der Wohnung ihrer Schwiegereltern in der Ortschaft Pervari in der südosttürkischen Provinz Siirt. Sie war selbst noch ein Kind: Ihr Alter wurde zunächst mit 14 angegeben. So steht es auch in ihrem Ausweis. Jetzt heißt es, sie sei 16 gewesen. Das Mädchen starb durch einen Schuss in den Kopf. Die Polizei ermittelt noch: Mord? Oder Selbstmord, wie die Schwiegereltern sagen?
Jede dritte Braut in Ostanatolien soll noch minderjährig sein
„Ein Mädchen, das im Alter von elf zwangsverheiratet wird und mit vierzehneinhalb stirbt, nachdem es zwei Kinder zur Welt gebracht hat – das ist eine Schande für uns alle“, sagt Esra Gürcan. Sie leitet die Zweigstelle der Nichtregierungsorganisation Kamer im osttürkischen Van, wo Kader herstammt. Die Organisation Kamer engagiert sich für Frauenrechte. Einer Kamer-Studie zufolge ist jede dritte Braut in den anatolischen Ost- und Südostprovinzen zum Zeitpunkt der Eheschließung noch minderjährig.
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Mädchen, die schon im Alter von elf oder zwölf von ihren Familien an einen Bräutigam verkauft werden: In der Türkei ist das keine Seltenheit. Zwar hat die Regierung das Mindestalter für Eheschließungen 2002 von 15 auf 18 Jahre angehoben. Es gibt allerdings Ausnahmen, die schon eine Heirat mit 16 ermöglichen. Doch die Gesetze, die im fernen Ankara gemacht werden, finden im feudal geprägten Osten des Landes wenig Beachtung. Hier gelten die Traditionen, denen zufolge Mädchen nicht in die Schule geschickt, sondern möglichst früh verheiratet werden. Oft werden Mädchen im überwiegend kurdisch besiedelten Südosten gar nicht bei den Behörden gemeldet, sie existieren also offiziell gar nicht. So muss man keine unangenehmen Nachfragen der Schulbehörde fürchten. Nach einer Studie der Universität Gaziantep können 82 Prozent der minderjährig verheirateten Frauen nicht schreiben und lesen.
Ein Tauschgeschäft mit dem Bräutigam
Er habe seine Tochter im Rahmen eines Tauschgeschäfts an den Bräutigam gegeben, von dessen Clan seine Familie im Gegenzug eine Braut erhalten habe, rechtfertigt sich Kaders Vater. Seine Tochter habe den Bräutigam übrigens „wirklich gemocht“, fügt er hinzu. Amtlich war die Hochzeit allerdings nicht. Sie wurde wohl, wie in solchen Fällen üblich, vor einem Imam geschlossen. Auch das erste, vor 18 Monaten zur Welt gekommene Kind des Paares wurde den Behörden nicht gemeldet.
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Der Ehemann wurde zum Wehrdienst eingezogen, als Kader im siebten Monat schwanger war. Er war nicht zu Hause, als Kader starb, glaubt aber nicht an Selbstmord, sondern an einen Unfall: Er habe Kader sein Jagdgewehr hinterlassen, während er bei der Armee war: „Sie hat das Gewehr gelegentlich gereinigt, dabei muss es passiert sein“, sagt er.
Seit Längerem gibt es in der Türkei Überlegungen, das Verbot von Kinderehen auch in der Verfassung festzuschreiben. Ob das viel ändern würde, bleibt dahingestellt. Aber ohnehin liegt die Verfassungsreform, über die seit vielen Jahren diskutiert wird, erst einmal auf Eis. Nach monatelangem Parteienstreit wurde der Parlamentsausschuss, der das neue türkische Grundgesetz ausarbeiten sollte, im vergangenen November aufgelöst.