Darmstadt. “Sozialtourismus“ ist das Unwort des Jahres 2013. Das gab die Jury aus Sprachwissenschaftlern am Dienstag in Darmstadt bekannt. Zuvor hatten Bürger mehr als 700 Begriffe vorgeschlagen. Zu den Favoriten hatten auch “Supergrundrecht“ und “Armutszuwanderung“ gezählt.

Das "Unwort des Jahres 2013" lautet "Sozialtourismus". Das teilte die Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt mit. Mit dem Schlagwort "wurde von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht", begründete die Jury ihre Entscheidung.

"Das Grundwort 'Tourismus' suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit", führten die Sprachwissenschaftler weiter aus. Und das Bestimmungswort „Sozial“ reduziere die damit gemeinte Zuwanderung aufs Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Janich erklärte: "Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu."

Sprach-Jury entscheidet unabhängig von Zahl der Vorschläge

Mehr als 1300 Vorschläge waren in den vergangenen Monaten eingereicht worden - insgesamt rund 700 verschiedene Begriffe. In der engeren Wahl war auch die "Armutszuwanderung". Nach Ansicht der Unwort-Jury gehört auch dieser Begriff in ein "Netz weiterer Unwörter", die alle eine negative Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer" beförderten.

Frühere Unwörter des Jahres

2015: Gutmensch

Das Schlagwort in Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe diffamiere "Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischen Imperialismus", begründet die Jury.

2014: Lügenpresse

Diese pauschale Verurteilung "verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit", betonte die Jury.

2013: Sozialtourismus

2013 gab es eine Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland. Politiker und Medien nutzen dabei den Ausdruck "Sozialtourismus", um Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer aus Osteuropa zu machen.

2012: Opfer-Abo

Das Schlagwort hatte Wetter-Moderator Jörg Kachelmann geprägt. Er meinte damit, dass Frauen stets die Opferrolle zugesprochen wird. Die Jury kritisierte, der Begriff stelle Frauen "pauschal und in inakzeptabler Weise" unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterinnen zu sein.

2011: Döner-Morde

Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" der NSA-Mordserie würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, erklärte die Jury.

2010: Alternativlos

Das Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei.

2009: Betriebsratsverseucht

Damit würden Arbeitnehmer-Interessen in völlig unangemessener Weise als Seuche dargestellt.

2008: Notleidende Banken

Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf.

2007: Herdprämie

Diffamierung von Eltern, insbesondere von Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen, anstatt einen Krippenplatz in Anspruch zu nehmen.

2006: Freiwillige Ausreise

Damit werde suggeriert, dass viele abgelehnte Asylbewerber vor einer Abschiebung «freiwillig» in ihre Heimat zurückkehrten. Tatsächlich hätten sie keine Wahl.

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Ebenfalls erwähnt: Das Wort „Freizügigkeitsmissbrauch“, mit dem "denjenigen, die die in der EU (...) garantierte Freizügigkeit nutzen, ein kriminelles Verhalten unterstellt" werde. Die Jury erklärt, warum am Ende "Sozialtourismus" zum Unwort des Jahres gekürt wurde. Diese Formulierung "treibt die Unterstellung einer böswilligen Absicht auf die Spitze".

Das Gremium entscheidet unabhängig von den Vorschlägen und richtet sich nicht nach deren Häufigkeit. Das "Unwort des Jahres 2012" war "Opfer-Abo", 2011 "Döner-Morde".

Neben der unabhängigen, sprachkritischen Jury mit ihrer Sprecherin in Darmstadt wählt davon getrennt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das "Wort des Jahres". Für 2013 wurde im Dezember das Schlagwort "GroKo" bekanntgegeben. Der Kurz-Begriff für die große Koalition in Berlin charakterisiere am besten das zu Ende gehende Wahljahr. (dpa/WE)