Essen. Zehntausende erhielten Post der Kanzlei U+C, weil sie illegal Pornos beim Portal Redtube angeschaut haben und dafür zahlen sollen. Jetzt erhärtet sich der Verdacht, dass hinter der Abmahnwelle gewerbsmäßiger Betrug in großem Stil steckt. Was bedeutet das für die Abgemahnten?

Hinter der Abmahnwelle rund um das Porno-Portal Redtube scheint ein Fall von perfidem Betrug zu stecken. Für diese Annahme mehren sich jedenfalls inzwischen die Anzeichen. An Zehntausende Internetnutzer hatte die Kanzlei Urmann + Collegen (U+C) Abmahnungen mit beschämenden Vorwürfen verschickt: Die Adressaten sollen sich, so heißt es in den Schreiben, Pornofilme beim Portal Redtube angeschaut und damit eine Urheberrechtsverletzung begangen haben. 250 Euro sollen sie an den Rechtverwerter, eine Schweizer Firma namens The Archive zahlen, und eine Erklärung unterschreiben, dass sie eine solche Urheberrechtsverletzung nicht mehr begehen.

Brisant ist die Frage: Woher hatten die Abmahner die IP-Adressen, mit deren Hilfe sie Namen und Anschriften der Internetnutzer herausfinden konnten? Angeblich hat die von The Archive beauftragte Ermittlerfirma itGuard eine Software namens Gladll benutzt, um die IP-Adressen abzufischen. Bei Filesharing-Portalen können von Rechteinhabern in bestimmten Fällen legal und relativ einfach IP-Adressen abgefischt werden.

Strafanzeige gegen Abmahner

Bei einem Streaming-Dienst wie Redtube allerdings müsste sich ein Spähprogramm direkt in die Kommunikation zwischen Portal und Nutzer einklinken - und das ist illegal. Der Kölner Anwalt Christian Solmecke, der mehrere Abgemahnte vertritt, hat jetzt Strafanzeige gegen die Abmahner erstattet.

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"Wir vermuten hinter der Abmahnwelle gewerbsmäßigen Betrug", so Solmecke. Mindestens die Hälfte seiner Mandanten habe glaubhaft machen können, dass sie die Internetseite Redtube nie besucht haben. "Offenbar wurden sie auf das Portal automatisch weitergeleitet". Einige der Nutzer seien unter anderem in Motorsport-Foren unterwegs gewesen, als sich Popup-Fenster öffneten; ob bereits in diesem Fenster einer der betreffenden Pornos gelaufen sei, lasse sich noch nicht ganz nachvollziehen.

IP-Adressen illegal abgefischt?

"Ich bin normalerweise niemand, der einfach gegen Kollegen Strafanzeige stellt. Aber in diesem Fall gehen wir von Betrug aus", betont Solmecke. Die Anzeige läuft gegen Unbekannt; denn noch sei nicht klar, wer genau die IP-Adressen der Nutzer möglicherweise illegal abgefischt habe - und wieviel die Kanzlei U+C sowie der ebenfalls involvierte Kölner Kanzleibetreiber Daniel Sebastian von den Vorgängen wussten.

Thomas Urmann von U+C verkündete jetzt in einem Interview mit Zeit-Online, dass es ihm "juristisch völlig egal" sein könne, ob die Adressen nun legal oder illegal beschafft wurden. Denn das Landgericht Köln habe ja aufgrund der Daten den Beschluss zur Herausgabe der Nutzer-Anschriften erlassen. "Von einem Gericht kann ich erwarten, dass es Verfahren prüft", so Urmann.

Verdächtige Internetseiten

Ganz so einfach könne sich Urmann nicht herausreden, findet indes Anwalt Christian Solmecke: "Man darf nicht einfach blindlings abmahnen. Auch die Kanzlei hätte prüfen müssen, ob es bei der Sache ihrer Mandantin, der Firma Archive, denn mit rechten Dingen zugeht".

Dass es eben nicht mit rechten Dingen zugeht, legt Blogger und IT-Experte Klemens Kowalski nahe. In seinem Blog Kowabit schreibt Kowalski, dass die Webseiten der Ermittlerfirma itGuards und des Porno-Rechteverwerters The Archive beide den Hostinganbieter wix.com nutzen und offenbar auf demselben Server liegen.

Darüber hinaus seien beide Seiten vom selben Nutzer angelegt worden. Ferner bezweifelt Kowalski, dass es die Software Gladll überhaupt gibt. Das alles nährt den Verdacht, dass itGuards und The Archive zumindest eng zusammenarbeiten - wenn sie nicht letztlich gar ein und demselben Personenkreis gehören.

Whistleblower liefert geheime Dokumente 

Verdächtig sei auch die Kostenauflistung in den Abmahnschreiben, glaubt Christian Solmecke: "169,50 stehen da unter Anwaltskosten. Diese Kosten sowie pauschale Ermittlungsgebühren sollen die Abgemahnten erstatten". Das aber setze voraus, dass diese Summen von der Mandantin tatsächlich entweder schon gezahlt wurden oder zumindest gezahlt werden sollten.

"Ich glaube, dass niemand vorhatte, diese 169,50 Euro zu bezahlen. Also kann auch niemand verlangen, dass der Betrag erstattet wird. Das wäre nämlich Betrug", so Solmecke.

Abmahn-Anwälte können zwar im Nachhinein auf Gebühren verzichten; heikel wird es, wenn schon im Vorhinein vereinbart wird, dass die jeweilige Abmahnkanzlei bei Summen, die nicht von den Abgemahnten eingetrieben werden können, auf Gebühren verzichtet. Eine ähnliche Vereinbarung soll U+C in einem älteren Fall mit einem Mandanten getroffen haben. Dabei ging es wohl um Filesharing. Die Piratenpartei hat entsprechende Dokumente, die offenbar ein Whistleblower weitergericht hat, veröffentlicht. "Ich vermute, dass es im Redtube-Fall auch so gelaufen ist", sagt Solmecke.

"Da kann sich keiner herausreden"

Die Luft für die Abmahner wird also dünner. Bleibt die Frage: Was bedeutet das für die Abgemahnten? Immerhin hat U+C angekündigt, weiterhin Abmahnungen zu versenden. "Das kann die Kanzlei jetzt nicht mehr machen", so Solmecke. "Denn spätestens jetzt wissen Urmann und seine Kollegen ja, dass das Abfischen der IP-Adressen möglicherweise illegal war. Da kann sich jetzt keiner mehr herausreden." Druck auf die Abgemahnten könne U+C jetzt jedenfalls nicht mehr ausüben.

"Ich rate allen Betroffenen, einfach und formlos Widerspruch einzulegen und bin sicher, dass von Urmann und Collegen dann nichts mehr nachkommt", so Solmecke.