Essen. Die Redtube-Affäre zieht immer größere Kreise: Es gibt es Indizien dafür, dass die Abmahner Tausende Nutzerdaten illegal abgefischt und die Kanzlei U+C möglicherweise unrechtmäßige Erfolgsvereinbarungen getroffen haben. Mehrere Anwälte ziehen nun vor Gericht, und auch Redtube schaltet sich ein.

Letztlich wirkt es wie ein Geschäft mit Scham und Angst: An Zehntausende hat die Regensburger Anwaltskanzlei Urmann und Collegen (U+C) Abmahnungen verschickt. Im Namen ihrer Mandantin, der Schweizer Firma The Archive. 250 Euro sollen die Abgemahnten zahlen, weil sie angeblich illegal urheberrechtlich geschützte Pornos beim Portal Redtube angeschaut haben. Zusätzlich sollen sie eine Erklärung unterschreiben, eine solche Urheberrechtsverletzung nicht mehr zu begehen.

Die bislang versendeten Abmahnungen seien nur die "Spitze eines Eisbergs", verkündete jetzt Thomas Urmann von U+C. Eine weitere Abmahnwelle rollt an, womöglich noch vor Weihnachten.

15 bis 40 Prozent der Abgemahnten zahlen sofort

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Einige der Adressaten dürften die 250 Euro bezahlt haben. Aus Angst davor, dass ans Licht kommen könnte, dass sie eine Erotik-Seite im Internet besucht haben. Um die Sache still und heimlich zu erledigen, bevor womöglich der Partner, die Familie etwas mitbekommt - selbst, wenn sie die Seite Redtube gar nicht besucht haben. Denn offenbar haben auch Internetnutzer Post von U+C bekommen, die das Pornoportal gar nicht kennen. "Die Quote der Direktzahler liegt erfahrungsgemäß in solchen Fällen bei 15 bis 40 Prozent", sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter. Auch bei ihm hätten sich einige gemeldet und erzählt, dass sie das Geld bereits überwiesen hätten. "Nehmen wir mal an, es würden 100.000 Abmahnungen verschickt, und nur zehn Prozent zahlten sofort. Dann kommen Sie auf eine Summe von 250.000 Euro", rechnet Vetter vor. Ganz schön lukrativ.

Urmann und Collegen sind keine Unbekannten, wenn es um Abmahnungen geht: 2012 planten die Kanzlei-Betreiber eine Art "Porno-Pranger". U+C wollte eine sogenannte "Gegnerliste" im Internet veröffentlichen, in der die Namen der Personen aufgeführt werden sollten, die von U+C abgemahnt worden waren. Vornehmlich offenbar Menschen, die angeblich illegal Pornographie heruntergeladen hatten. Das Landgericht Essen bremste den "Porno-Pranger" schließlich per Einstweiliger Verfügung in einem Fall aus.

Geschäfte mit Internet-Abzockern?

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In einem anderen Fall, ebenfalls 2012, hatte die Regensburger Kanzlei innerhalb kürzester Zeit massenhaft Abmahnungen an Onlinehändler versandt. Dabei ging es laut dem Portal Regensburg-Digital unter anderem um angeblich fehlerhafte Allgemeine Geschäftsbedingungen. U+C handelte damals wohl im Auftrag eines gewissen Frank Drescher, Geschäftsführer einer KVR Handelsgesellschaft. Frank Drescher wiederum soll als Geschäftsführer der Firma Paid Content in eine Abofallen-Affäre um diverse Internetseiten wie Mitwohnzentrale24.de verstrickt gewesen sein.

Einer der abgemahnten Onlinehändler wehrte sich, der Fall kam vor das Amtsgericht Regensburg. Das vertrat die Ansicht, dass Dreschers Firma nur als Fassade diene, um Händler abzumahnen. Ein solches Verhalten sei "nicht nur unmoralisch und unseriös, sondern auch rechtlich sittenwidrig".

Kann man noch gefahrlos Youtube nutzen?

Die Kanzlei hat offenbar eine Nische gefunden, in der womöglich schnell viel Geld zu machen ist. Der aktuelle Fall um die Porno-Abmahnungen wirft eine ganze Reihe neuer Fragen auf: Laufen Nutzer von Youtube jetzt ständig Gefahr, abgemahnt zu werden? Denn auch dort sind ja wie beim Portal Redtube Film-Streamings zu sehen. Rechtsanwalt Udo Vetter: "Wenn sich die Rechtsauffassung, dass das Ansehen solcher Filme illegal sei, durchsetzen würde, dann würde unsere Internetkultur, wie wir sie kennen, vollkommen zusammenbrechen. Denn dann müsse ja jeder, der sich ein Katzen-Video bei Youtube anschaut, damit rechnen, dass er abgemahnt wird."

Wie konnten die Abmahner legal an die IP-Adressen kommen? 

Eine weitere große Frage lautet: Woher haben denn nun The Archive und U+C die IP-Adressen, mit deren Hilfe sie an die Anschriften Tausender Nutzer gekommen sind? Offenbar hat die von The Archive beauftragte Ermittlerfirma itGuard eine Software namens Gladll benutzt, um die IP-Adressen abzufischen. Kann das überhaupt legal sein? "In Filesharing-Fällen wird schon lange so verfahren", sagt der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. Bei solchen Filesharing- oder Tauschbörse-Portalen bieten Nutzer Filme oder Musik anderen Nutzern an. Nicht selten sind darunter auch urherbergeschützte Werke, die illegal angeboten werden. Dabei sind die IP-Adressen der Nutzer öffentlich zugänglich, erklärt Solmecke: "Der Anbieter sagt ja: 'Schaut her, das ist meine IP-Adresse, hier könnt ihr euch nen Film runterladen' " Diese IP-Adressen können von Überwachungssoftware gespeichert und von Rechteinhabern gegen Anbieter illegaler Kopien verwendet werden.

Aber: "Es ist absolut schleierhaft, wie das bei einem Streaming-Portal funktionieren soll", so Solmecke. Denn um an die IP-Adresse eines Streaming-Konsumenten zu kommen, müsste das Spähprogramm sich direkt in die Kommunikation zwischen Portal und Nutzer einklinken. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das legal möglich ist", sagt der Anwalt.

Sollte sich herausstellen, dass die IP-Adressen illegal abgezapft worden sind, wären die Abmahnungen hinfällig - und die Abmahner müssten möglicherweise mit Strafanzeigen rechnen. Ein weiterer Knackpunkt sei die Kostenauflistung im Abmahnschreiben, so Solmecke: "169,50 sind da als Anwaltskosten angegeben. Diese Kosten sowie pauschale Ermittlungsgebühren sollen die Abgemahnten erstatten. So steht es in den Abmahnungen". Das aber setze voraus, dass diese Summen von der Mandantin tatsächlich entweder schon gezahlt wurden oder zumindest gezahlt werden sollten. Alles andere sei Betrug.

The Archive hätte Millionen an U+C zahlen müssen

Gehe man nun von geschätzten 20.000 Abmahnungen aus, hätte The Archive mehr als drei Millionen Euro U+C zahlen müssen - plus 1,3 Millionen Euro an Ermittlungskosten. "Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass diese Summen im Vorfeld geflossen sind", schätzt Solmecke. Es sei auch klar, dass wohl nie jemand beabsichtigt habe, diese Summen zu zahlen. Sollte das allerdings der Fall sein, dann müssten sie von den Abgemahnten auch nicht erstattet werden.

Der Trick: Die Abmahn-Anwälte können im Nachhinein auf Gebühren verzichten; heikel wird es, wenn schon im Vorhinein vereinbart wird, dass die jeweilige Abmahnkanzlei bei Summen, die nicht von den Abgemahnten eingetrieben werden können, auf Gebühren verzichtet. Eine ähnliche Vereinbarung könnte nun U+C in einem älteren Fall mit einem Mandanten getroffen haben. Dabei ging es offenbar um Filesharing. Die Piratenpartei hat entsprechende Dokumente, die offenbar ein Whistleblower weitergericht hat, veröffentlicht.

"Die Richter sollten hellhörig werden"

"Das ist ein sehr wichtiges Dokument zur Verteidigung der Abgemahnten im Redtube-Fall", so Solmecke. Denn die Richter sollten hellhörig werden, nachdem jetzt die heiklen Praktiken von U+C in dem früheren Fall bekannt seien.

In der Tat holen Abgemahnte jetzt zum Gegenschlag aus. So hat der Essener Anwalt Alexander Hufendiek, dessen Mandant eine Abmahnung erhalten hatte, eine negative Feststellungsklage eingereicht. Er will, dass die Abmahner vor Gericht darlegen, wie sie an die Adressen gekommen sind. "Wir wollen eine Grundsatzentscheidung", sagt er. Und der Berliner Anwalt Johannes von Rüden, an den sich mehr als 100 Betroffenen gewandt hatten, hat Anzeige gegen den Juristen Daniel Sebastian erstattet; der hatte beim Landgericht Köln die Herausgabe der Postanschriften Tausender Internetnutzer beantragt und arbeitet offenbar mit der Kanzlei U+C zusammen. Auch die Betreiber des Porno-Portals Redtube haben angekündigt, gegen die Abmahner vorzugehen und "alles Erforderliche zu tun, damit die Verursacher für den entstandenen Schaden aufkommen müssen".

Letztlich könnte sich das Geschäft mit Scham und Angst als Bumerang erweisen.