Essen. Vor fast genau drei Jahren verunglückte Samuel Koch bei „Wetten, dass...?“ – sein Kampf und seine Verzweiflung sind bis jetzt geblieben. Das zeigt ein 37-Grad-Film im ZDF. Aus dem Mann, der so gerne eine Publikumsattraktion sein wollte, wurde ein Mann, der nur noch Zuschauer des Lebens ist.
Samuel Koch liegt auf dem Bett. Mit vereinten Kräften schlagen die Pfleger auf seinen Oberkörper ein. Dann springen sie aufs Bett. Springen so lange, bis die Matratze in Schwung gerät und Samuel Koch hoch- und ‘runterfliegt. Es sieht bizarr aus. Dabei ist das die Therapie. Nur durch kräftiges Rütteln und Schütteln, Klopfen und Schlagen auf den Brustkorb kann Samuel Koch den Schleim, der seine Bronchien und Lungen verklebt, abhusten. Er braucht Hilfe von außen, denn seine Muskeln haben den Dienst eingestellt. Bleibt die Hilfe aus, droht ihm eine Lungenentzündung. Die häufigste Todesursache bei Menschen, die so wie er fast komplett gelähmt sind.
Es sind Bilder, die uns quälen, weil sie fremd sind. Weil uns ja fast alles fremd ist, was die Lebenswelt der Menschen angeht, die nicht auf ihren Beinen von A nach B laufen. Wir wissen ja nicht einmal, wie wir sie richtig ansprechen sollen. „Behinderte“? „Menschen mit Handicap“? Wir sehen die Leute in ihren Rollstühlen. Was sie erleben, sehen wir nicht. Das hat sich vielleicht ein wenig geändert, denn einer wie Koch (26) gibt Einblicke in das Leben, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – ob in seinem Buch „Zwei Leben“, in den vielen Talkshows, oder Dienstag im ZDF bei „37 Grad“ (22.15 Uhr).
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Natürlich gab es den Vorwurf, dass ein Mensch, der ja nur durch Zufall bekannt geworden ist, seinen Leidensweg larmoyant und mit Gewinn veräußert. Vielleicht ist da was dran. Aber ohne Samuel Koch wüssten noch weniger, wie viel Kraft es kostet, ein Leben im Rollstuhl zu führen.
Koch studiert jetzt Schauspiel in Hannover
Fast drei Jahre ist es her, als sich alles um ihn herum verändern soll. Am 4. Dezember 2010 versucht ein junger übermütiger Kerl bei „Wetten, dass...?“ mit Stelzen über Autos zu springen. Dann passiert das Unfassbare. Koch stürzt. Die Diagnose ist fatal: vierfacher Genickbruch. Koch wird vom Kopf an gelähmt bleiben. Anfangs noch reichlich flankiert von Promis wie Thomas Gottschalk muss und will er auch schon bald alleine klar kommen.
Doch der Weg zurück ins Leben ist ein Kraftakt und geprägt von Demütigungen. Samuel Koch, einst ein Mann wie ein Baum, kann auch drei Jahre nach dem Unfall nichts ohne fremde Hilfe tun. Ganz weit entfernt ist er vom normalen Leben. Dass er durch hartes Üben dann plötzlich einen Zeh bewegen kann, es sogar schafft, frei zu sitzen – ja, das ist viel. Doch ihm ist das alles viel zu wenig.
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„Jetzt sitz’ ich hier wie ein normaler Mensch, dabei bin ich ein kaputter“, sagt Samuel Koch in dem 37-Grad-Film von Doro Plutte. Keiner ahnt etwas von seinen Schmerzen und Muskelkrämpfen, von dem Gefühl, keine Luft zu bekommen. Nein, daran denkt man wirklich nicht, wenn man sieht, wie er mit dem Rollstuhl durch Hannover fährt. Koch studiert hier Schauspiel. So, wie er es immer gewollt hat.
Es gibt Bilder, wie ihm das Publikum applaudiert. Samuel Koch im Rollstuhl an der Rampe, umgeben vom fröhlichen Ensemble. Die Normalität jedoch scheint nur vordergründig. Koch weint fast, als er von „demütigenden Momenten“ spricht, die vor allem mit dem zu tun haben, was Menschen ihre Privatsphäre nennen. Weint fast, als er sagt, dass er nicht das Geringste selbstständig tun kann.
Samuel Koch hadert mit seinem Schöpfer
Dabei würde manch ein anderer, der Samuel Kochs Schicksal teilt, gerne tauschen. Weil Koch nicht nur die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern weil er auch noch gebraucht wird: Koch hat eine gute Stimme, er synchronisiert Filme. Es macht Spaß. Das kann nicht jeder sagen, der im Rollstuhl sitzt.
Aus dem Mann, der so gerne eine Publikumsattraktion sein wollte, wurde ein Mann, der nur noch Zuschauer des Lebens ist. Der Widerspruch ist das, was sein Leben beherrscht – nicht der Trost. Selbst mit seinem Schöpfer hadert Koch, der doch so sehr aus dem Glauben die Kraft nimmt. „Es ist ein Missverständnis. Ich bin der Falsche, weil ich wahrscheinlich einer bin, der am schlechtesten damit umgehen kann, seinen Körper nicht mehr zu benutzen.“